Freitag, 31. Juli 2009

Bauer

Titel: Bauer
Autor: callisto24

* * *

Martin langweilte sich. Er langweilte sich furchtbar. Seine Freunde mit ihren allzu vollen Terminkalendern waren an den seltensten Nachmittagen in der Lage, ihm auch nur für ein Stündchen Gesellschaft zu leisten.
Auch wenn Martin sich nach der Schule frei wie ein Vogel fühlte, sein eigener Herr sein durfte, und die volle Bandbreite des seligen Nichtstuns auskosten konnte, so ging ihm die erzwungene Einsamkeit hin und wieder doch gewaltig auf die Nerven. Das ging soweit, dass er manchmal sogar freiwillig seine Hausaufgaben bereits am frühen Nachmittag erledigte. Allerdings ging es auch nicht weiter. Vom freiwilligen Lernen hielt er schon gar nichts, und da seine Mutter eine recht lässige Arbeitsmoral vertrat, blieben ihm unnötige Quälereien wie diese in der Regel erspart.
Alle seine Freunde beneideten ihn um die Freiheit, der er sich erfreute. Doch natürlich sahen sie nicht die Schattenseiten seines Lebens.
Martin hatte niemanden, der ihn abfragte, der ihn ermutigte, oder ermunterte mehr zu tun. Seine Mutter war kaum interessiert daran, dass er die Aufgaben erledigte, sie durchzusehen, zu kontrollieren, oder gar mit ihm zu lernen, kam ihr gar nicht erst in den Sinn.
„Du hast echt so ein Glück“, sagte Stephan manchmal mit einem Seufzer und blickte neiderfüllt Martins hübscher Mutter hinterher, wie sie ihren Friseurkoffer zusammenpackte, und sich auf den Weg machte, die Mütter anderer Söhne in deren eigenem Heim zu verschönern. Natürlich fand diese Arbeit meistens dann stand, wenn die diversen Mütter aus den Klauen von Arbeit oder Schulpflichten befreit sich ihrer Schönheit auch widmen konnten.
Also zu Zeiten, an denen Martin eigentlich nichts zu tun hatte, und ein wenig Gesellschaft, oder jemanden, der für ihn kochte, durchaus zu schätzen wüsste.
Er hatte allerdings schon vor langer Zeit gelernt, dass er sich derartigen Hoffnungen besser gar nicht erst hingab.
Damals fand sich noch hie und da Gesellschaft – in der Siedlung – auf dem Spielplatz oder auf dem Fußballfeld.
Doch jetzt, wo sie alle bereits so groß, so zielstrebig, so orientiert sein sollten, gingen seine Freunde ihren eigenen, sorgsam für sie ausgewählten Hobbies nach.

Und neben Tennis, Klavier, Jiu-Jitsu, Basketball, Englisch oder Französisch, beziehungsweise der bereits in der Grundschule eifrig frequentierten Nachhilfestunden, blieb letztlich nicht genug Zeit, für lange Erkundungen der Welt, für Entdeckungsreisen, die weder einen offensichtlichen Sinn, noch ein spontan auftretendes Ergebnis aufwiesen.
Natürlich wurde ungern über Themen wie Nachhilfe gesprochen, ebenso wie der Begriff Ergotherapie nur von den Lippen übereifriger Mütter purzelten, die sich trotz ihrer vor Scham in den Boden zu versinken drohenden Kinder öffentlich und freimütig über die Möglichkeiten austauschten, aus dem Potential ihrer Sprösslinge das Beste herauszuholen.
Dabei handelte es sich definitiv wieder um Momente, während derer Martin froh war, dass seine Mutter sich aus Dialogen wie diesen geflissentlich heraushielt.
So konnte er sich doch sicher sein, dass sie seine Schmerzgrenze in Bezug auf die Erduldung von Peinlichkeiten nicht allzu sehr strapazierte.
Jedoch in Momenten wie diesem half ihm diese Überzeugung nicht. In Momenten der Einsamkeit und Langeweile war er fast bereit auch eine Herde schwatzender und nervender Mütter zu akzeptieren. Hauptsache sie ließen ihn nicht alleine. Hauptsache, sie versorgten ihn mit der Ablenkung, die er nach einem quälend langen Schultag und in Aussicht auf einen einsamen, öden Abend vor dem Fernseher benötigte.

Aber auch an diesem Nachmittag blieben seine Hoffnungen unerfüllt. Und so schlenderte er weiter als an anderen Tagen, über die Straßen, die er gewohnt war mit seiner Anwesenheit zu beehren, hinaus, bis er an den Rand des Ortes kam, an den Feldweg, der zwischen zwei Feldern direkt zu der großen und dicht befahrenen Straße führten, von der sich fernzuhalten ihm bereits im Kindergarten eingebläut worden war.
Eigentlich sollte er auch den Feldweg nicht betreten, aber Martin beschloss, dass er mittlerweile alt genug war, um Entscheidungen wie diese selbst treffen zu können. Und auf einem Feldweg konnte einem nichts Gefährliches begegnen. Mit Ausnahme eines Hundes vielleicht, der beschloss sich als Beschützer von Land und Leuten aufzuspielen und deshalb Entgegenkommende nach Leibeskräften verbellte.
Martin zuckte mit den Schultern. Selbst wenn. Ein Hund war niemals alleine unterwegs, und außerdem blieb er selbst immer noch größer, als das Größte dieser Exemplare.
Und was wäre das Leben ohne ein wenig Aufregung, ein hin und wieder eingegangenes Risiko?
Nichts, so beschloss Martin, und kickte aufmüpfig einen der lose liegenden Steine vom Wegrand.
Aufmerksam spähte er nach allen Seiten. Zu dumm, dass die meisten Felder schon abgeerntet waren oder sich gerade im Begriff befanden, abgeerntet zu werden. Noch dümmer, weil ihn diese Tatsache daran erinnerte, dass der Herbst eine Unvermeidlichkeit darstellte, und damit miserables Wetter, das ihn zwänge innerhalb der langweiligen vier Wände auszuharren, die er sein Zuhause nannte.

Zu seiner Linken erstreckte sich der kahle braune Boden hässlich bis hinaus zu den Zuggleisen, über die in regelmäßigen Abständen ein Schnellzug donnerte.
Zerfurcht wirkte die dunkle Erde, gleichmäßig durchpflügt, als habe die Erntemaschine gerade erst ihre Arbeit vollendet.
Vermutlich am Vormittag, dachte Martin, und blinzelte über das Feld hinweg. In einigem Abstand glaubte er Gestalten auszumachen, die über die Furchen kletterten, sich hin und wieder bückten, um eine liegengelassene Kartoffel aufzuheben.
Martin wunderte sich jedesmal wieder darüber. Warum sollte sich jemand durch Feld und Matsch kämpfen, wenn er die Kartoffeln doch viel einfacher und sogar bereits praktisch abgepackt aus dem Supermarkt holen konnte.

Ein ähnliches Phänomen wie es im Frühsommer die Erdbeerplantagen darstellten. Martins Mutter hatte ihm mehr als einmal deutlich erklärt, dass sie es nicht einsähe sich in brütender Hitze einer solchen Arbeit auszusetzen. Keine noch so schöne Erdbeere auf der Welt könnte es wert sein, sich den Rücken zu verrenken, indem man selbst pflückte.
Dennoch fragte sich Martin jedes Jahr wieder, wenn er Mütter seiner Freunde und manchmal vereinzelt sogar diese selbst erblickte, wie sie große, prall gefüllte Plastikeimer nach Hause schleppten, und aufgeregt erzählten vom Marmelade-Einkochen oder Biskuitböden-Belegen, ob seine eigene Mutter nicht vielleicht zumindest in diesem speziellen Fall unrecht habe.
Natürlich gab Martin sich lässig. Weder er noch seine Mutter hatten es eben nötig sich mit dem Pflücken von Lebensmitteln oder gar mit der komplizierten Zubereitung derselben auseinanderzusetzen.
Er war sehr zufrieden damit, dass es ihm inzwischen bereits selbst erlaubt war, eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben, oder ein Stück Kuchen vom Bäcker zu holen. Mehr Selbstständigkeit brauchte ein Mann dieser Tage nicht, oder eine Frau, wenn man seine Mutter mitzählen wollte.

Nichtsdestotrotz wog an diesem Tag die Langeweile schwerer als sein natürliches Unbehagen beim Anblick der freiwilligen Erntearbeiten.
Martin verzog sein Gesicht zu einer zugleich entschlossenen und doch leicht angewiderten Grimasse, als er mit den neuen Turnschuhen breitbeinig in das Feld sprang.
Der Boden erwies sich als unnachgiebiger als Martin geglaubt hatte, und beinahe tat es ihm leid, dass er nicht mit dem erwarteten, schmatzenden Geräusch einsank und einen mittelschweren Kampf anstrengen musste, um die am Boden klebenden Füße von ihrer Haftung zu befreien.
Außerdem war es immer wieder ein lustiger Anblick, wenn der Blick seiner Mutter auf verkrustete Schmutzränder an Schuhen und Hosen fiel, sie ihre Augen verdrehte, und mit spitzen Finger und zusammengepressten Lippen versuchte zu retten, was zu retten war.

Doch an diesem Tage sollte es nicht sein. Erstaunlich leichtfüßig kletterte Martin über die aufgeworfene Erde. Von Zeit zu Zeit bückte er sich, wenn auch nur um festzustellen, ob zu seinen Füßen ein besonders hübscher Stein oder gar eine übrig gebliebene Kartoffel lag.
Nicht dass er diese aufhob, oder gar den Stein, aber sie entdeckt zu haben verlieh ihm doch ein wenig Befriedigung, selbst wenn er sich nicht erklären konnte, woher diese rührte.
Martin lief weiter, genoss es mit der Zeit sogar, sich über das unebene Gelände vorwärts zu kämpfen. Es besaß etwas Abenteuerliches, fast Verbotenes, und verbotene Aktionen sorgten doch immer wieder für einen angenehmen Nervenkitzel.

Er sprang über einen Erdhaufen, jedoch nicht hoch genug. Sein Fuß verfing sich in ungewohnt breit aufgetürmter Erde und Martin stolperte, landete unsanft auf den Knien.
Er blinzelte, rappelte sich wieder auf. Nachdem er sich den Schmutz von den Knien gewischt hatte, kniff er die Augen zusammen und sah nach vorne.
Komisch, von diesem Punkt aus konnte er die Eisenbahnlinie gar nicht mehr erkennen.
Martin verzog die Lippen. Auch egal. Spätestens wenn der nächste Zug über die Schienen rappelte würde er wissen, wo diese sich befanden.
Doch als er sich weiter umsah, stieß ihm noch etwas anderes merkwürdig auf.
Nicht nur, dass die vereinzelten Gestalten mit ihren Plastiktüten, die soeben noch so ernsthaft damit beschäftigt gewesen waren zurückgelassene Erdäpfel einzusammeln auf geheimnisvolle Art verschwunden waren, er fand sich auch mit einem Mal Auge in Auge mit einem seltsamen Mann, der ihn unverblümt anstarrte.
Martin starrte zurück, obwohl im zugleich all die Warnungen durch den Kopf rasten, die man ihm eingebläut hatte. Ratschläge darüber, wie man sich möglichst weit entfernt halten sollte von merkwürdig aussehenden Männern mit undefinierten Absichten.
Und doch schien ihm der Mann ebenso entgeistert zu sein, wie er selbst es war. Nein, eigentlich noch entgeisterter.
Martin bemerkte auch, dass sich diese Ecke des Feldes offenbar verändert hatte. Von den gleichmäßigen Furchen war nichts zu sehen. Stattdessen ragten trockene Blätter in die Höhe und wie Martin jetzt erst auffiel, lehnte sich der Fremde gegen einen großen Spaten, als sei er gerade dabei, ein Loch in die Erde zu graben und lege nur eine kurze Pause ein.
Schließlich ergriff der Mann das Wort.
„He, Junge.“ Er musterte Martin von oben bis unten. „Was tust du hier und dann in dieser ausgefallenen Kleidung?“
Erst jetzt fiel Martin auf, dass diesmal nicht er selbst, sondern in Wahrheit der fremde Mann es war, der einer ausgesprochen seltsamen Mode zu folgen schien.
Ein brauner Schlapphut hing ihm weit ins Gesicht und sowohl Hemd als auch Hosen wirkten mehr oder weniger notdürftig zusammengebunden.
Auch der Stoff erschien Martin gröber und von einer Machart, die ihm gänzlich unbekannt blieb, so genau er auch hinsah.
Und doch sah der Fremde ihn an, als sei er es, der sich merkwürdig, oder besser gesagt, vollkommen unangemessen kleidete.
Martin streckte seinen Rücken und verschränkte die Arme vor der Brust. Der Typ konnte ihm gar nichts.
„Ich geh spazieren“, antwortete er frech.
Der Mann runzelte die Stirn. „Spazieren“, wiederholte er skeptisch. „Du.“
Martin nickte leicht verunsichert.
Doch der Fremde beachtete ihn nicht. Stattdessen hob er seinen Blick und starrte in den Himmel.
„Das Wetter hält nicht mehr lange“, murmelte er dann. „Ich muss noch soviel ernten wie ich kann.“
Martin räusperte sich. „Sie dürfen hier nicht einfach so graben“, stellte er fest. Irgendjemand musste diese komische Figur schließlich in ihre Schranken weisen.
„Das Feld gehört dem Bauern.“
Der Fremde neigte seinen Kopf wieder zu ihm, biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor er antwortete.
„Aber ich bin der Bauer.“
Martin kniff die Augen zusammen. „Wirklich?“, erkundigte er sich zweifelnd.
„Aber wo ist Ihr Traktor? Und diese Maschine zum Kartoffeln-Auflesen und Boden-Umgraben?“
Der Bauer räusperte sich, und sah Martin dann an, als habe er seinen Verstand verloren.
„Wovon redest du, Junge?“, fragte er dann und schüttelte gleichzeitig seinen Kopf, als erwarte er keine vernünftige Antwort auf diese Frage.
Martin zog seine Augenbrauen zusammen und schickte dem Mann einen bösen Blick, bevor er sich umdrehte, um nach landwirtschaftlichen Fahrzeugen Ausschau zu halten, die ihn früher einmal brennend interessiert hatten, aber mittlerweile nur noch langweilten.
Aber nicht nur, dass er nichts dergleichen sehen konnte; das soeben noch kahle, abgeerntete Feld sah aus wie ein wildes Gestrüpp, in dem zwischen Unkraut hin und wieder eine Kartoffelpflanze hervor sah.
„Was…?“ Martin starrte verblüfft in das Grün, und wandte sich dann wieder zu dem Bauern um. „Was ist passiert?“, fragte er entgeistert.
Dieser schüttelte nur ebenso ratlos den Kopf.
Dann streckte er seinen Arm aus, und wies auf den Jungen. „Du“, sagte er. „Du gehörst nicht hierher.“
Martin schluckte. „Wieso… ich meine, ich wohne hier.“
Der Mann schüttelte erneut seinen Kopf. „Sieh dich um“, empfahl er dann. „Du wohnst nicht hier. Ich kenne jeden und dich habe ich noch nie gesehen. Du trägst fremdartige Kleidung und redest seltsam. Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass du nicht zu uns gehörst.“
Martin presste die Lippen zusammen. Er atmete ein paar Mal durch die Nase ein und aus, bevor er sein Kinn in die Höhe reckte.
„Ich gehöre genauso hierher, wie Sie.“
Der Bauer räusperte sich und unterdrückte ein Grinsen. „In diesem Fall solltest du gleich mit anpacken, unpassende Kleidung hin oder her.“
Er sah prüfend an dem Jungen hinunter. „Groß genug bist du. Stark scheinst du auch zu sein. Ich wette du kannst wenigstens dafür sorgen, dass in den nächsten Tagen die Suppe auf den Tisch kommt.“
„Die Suppe?“
Martin klappte der Mund auf.
„Sicher“, nickte der Mann. „Fällt die Ernte zu mager aus, gibt es nichts auf dem Tisch. Vor allem im Winter ist das nicht zu empfehlen.“
„Und da soll ich was?“ Martin starrte ihn immer noch verblüfft an.
„Ernten? Was denn?“
Der Mann grinste. „Alles, was essbar ist. Viel Zeit bleibt uns nicht. Fang an mit den Kartoffeln. Und wenn du fertig bist, denk an das Wurzelgemüse.“
Martin verzog das Gesicht. „Und was krieg ich dafür?“
Der Mann schüttelte den Kopf. „Du verhungerst nicht, Junge. Das sollte dir reichen.“
„Ich… äh…“ Martin hustete, sah sich erneut um. Doch nichts an seiner Umgebung hatte sich geändert. Er musste sich wohl ganz ordentlich verlaufen haben, und Martin verwünschte seine mangelnde Vorsicht.
„Ich verhungere schon nicht“, behauptete er, als er sich wieder an den Mann wand. „Ich… gehe was kaufen“, fügte er unsicher hinzu und beobachtete wie sich der erstaunte Ausdruck im Gesicht des Mannes in ein breites Grinsen verwandelte, nur einen Augenblick bevor dieser in Lachen ausbrach.
In ein tiefes, dunkles und lautes Lachen. Der Bauer lachte ihn aus. Einfach so. Inmitten dieser Wildnis lachte ihn ein Mann in seltsamer bis peinlicher Kleidung, der mit einem Stock im Boden herumstocherte, einfach so aus.
Martin drehte sich um und rannte los. Er sah nicht vor sich und blickte nicht zurück. Er rannte einfach weiter, schlug Blätter und Zweige beiseite, die sich ihm in den Weg stellten, sprang über Hügel und plötzlich auftauchende, quer vor ihm liegende Baumstämme. Er schrammte sich seine Arme auf und sogar die Beine, als seine Jeans zerrissen.
Und trotzdem rannte er immer schneller, floh in steigender Panik vor dieser seltsamen Welt, die sich hinter ihm auftat.
Er floh solange, bis er stürzte, bis er kopfüber in eine Furche stürzte, in der er keuchend liegen blieb.
Sein Mund war voller Erde, seine Hände aufgerissen während des vergeblichen Versuches sich abzustützen, und seine Füße schienen fest zu stecken.
Martin strampelte sich frei, die Panik übermannte ihn, als er für einen Moment glaubte festgehalten zu werden. Mit einem Schrei kam er auf die Knie, spuckte Sand, Erde und Steine, bevor er wild um sich blickte.
Doch nur um auf entgeisterte Augen zu treffen, die ihn aus einiger Entfernung fragend ansahen.
Taumelnd erhob Martin sich, schwankte einen Moment, wartete bis sein Herzschlag sich beruhigte, der Schrecken nachließ.
Und als er nun um sich blickte, so befand er sich wieder auf dem braunen Feld, umgeben von kahler Erde. Gleichmäßige Furchen zogen sich über den Boden und in der Ferne ratterte ein Zug über die Gleise.
„Gottseidank“, stöhnte Martin auf. Und als er vor sich die Autos bemerkte, die unermüdlich über die Schnellstraße rasten, da lachte er beinahe auf, drehte sich um, sprang über die Gräben, hetzte in Richtung des Feldweges, zurück durch die Siedlung, entlang der Straßen, bis er vor seinem Haus die Mutter sah, die vielleicht etwas vergessen hatte, oder früher als sonst ihre Arbeit beenden konnte. Es spielte keine Rolle, denn als er auf sie zu rannte, da breitete sie ihre Arme aus, fing ihn auf und umarmte ihn.
Martin wischte sein Gesicht an ihrer Jacke ab, und seufzte erleichtert auf. „Das war schräg“, murmelte er, leise genug, dass sie ihn nicht hören konnte. ‚Sehr schräg‘, dachte er noch bei sich, bevor er die Erinnerung beiseite schob, und den Kopf hob, um seine Mutter verschmitzt anzusehen.
„Was gibt’s zu essen?“, fragte er und zwinkerte ihr zu. Ob sie ihn verstand oder nicht, spielte keine Rolle, sie nickte, lachte und hielt ihn fest. So wie es sich gehörte. So wie es sein sollte.

Donnerstag, 30. Juli 2009

König

Titel: König
Autor: callisto24
Genre: Märchen
* * *


Der Thronsaal quoll über vor reich geschmückten Gästen. Sie alle hatten weder Kosten noch Mühen gescheut, um sich in ihrem besten Lichte zu präsentieren.
Schließlich handelte es sich um eines der wichtigsten Ereignisse ihrer Zeit: um die Krönung ihres neuen Königs.

Das Land trug an einem schweren Erbe. Kriege und Krankheiten hatten an seinen Kräften gezehrt, die letzten Reserven aufgebraucht.
Auch der alte König, ein weiser und gütiger Herrscher, war der Seuche zum Opfer gefallen.
Und doch hatte es den Göttern gefallen, mit seinem Tode einen Wandel einzuleiten. Als könnten sie von diesem Augenblick an Schlimmeres nicht mehr vollbringen, als hätten sie mit diesem letzten Verlust auch jeden Trumpf ausgespielt, jede Strafe verhängt, jede Rache ausgekostet.

Als wüssten sie, dass ein Land wie dieses nicht noch mehr ertragen könne, unabhängig davon, wie sehr die Bewohner diesen Schrecken verdient, das Unheil herbeigerufen hatten.
Doch wollen wir hier nicht von Sünden und Verfehlungen allzu menschlicher Natur sprechen, von der Gier nach mehr, von den Prioritäten, die jedermann sich zu setzen bequemt, sobald die Zeiten schlecht werden. Auch nicht von jenen gerade in diesen vergangenen Jahren gesetzten Prioritäten, die allesamt lediglich dem Zwecke des Eigennutzes huldigten.

Nein, dieses Kapitel war abgeschlossen.

Richten wir unsere Augen auf die Zukunft, auf den Hoffnungsträger dieser Tage, auf den jungen König, dem es bestimmt war, ein neues, ein besseres Zeitalter einzuläuten.

Dass ihm dieses gelingen sollte, stand außer Frage. Davon sprachen allein sein königlicher Wuchs, die aufrechte Haltung und der Blick, der stets nach vorne gerichtet, eine bessere Welt bereits zu sehen schien. Es galt nun nur noch, eine solche aufzubauen, und Jeremias war bereit und willens sich einer Aufgabe wie dieser zu stellen.

Fanfaren ertönten. In reichhaltigen Samt und in aufwendige Seide gekleidete Damen adeliger Herkunft sanken in die Knie. Würdenträger, Hofangestellte und weit gereiste Vertreter der unterschiedlichen Gefilde, die das Land innerhalb seiner Grenzen vereinte, neigten respektvoll ihre Köpfe, als er eintrat.

Ein verhaltenes Lächeln auf den Lippen, sich seiner Verantwortung ebenso bewusst wie der Feierlichkeit des Augenblicks, schritt Jeremias an den Reihen der Menschen vorüber, hob niemanden durch einen Blick hervor, schloss zugleich niemanden aus.

Ein Teil seines Zaubers, seiner Beliebtheit im Volk, bestand in der Ausschließlichkeit, mit der er sich jedem Gegenüber, unabhängig davon welchem Stande dieses angehörte und welcher Grund seinem Auftauchen zugrunde lag, widmete.
Obwohl noch nicht in Amt und Würden hatten ihm sein Charme und seine Freundlichkeit bereits die Herzen aller gewonnen.

Schwarze Locken fielen ihm in die Stirn und Jeremias strich sie in einer unbedachten Bewegung und ungemäß des strengen Protokolls aus den Augen, eine Geste, die ob ihrer Unschuld dem einen oder anderen der Gäste je nach seiner Natur ein leichtes Augenrollen oder einen entzückten Seufzer entlockten.

Es sollte hier nicht unerwähnt bleiben, dass Jeremias sich aufgrund seiner angenehmen Erscheinung, der schlanken, hochgewachsenen Gestalt und der Eleganz mit der er sich zu bewegen wusste, der Aufmerksamkeit der Damenwelt erfreute, insbesondere derjenigen ihrer Vertreterinnen, die sich im heiratsfähigen Alter befanden, und denen der Gedanke an ein Leben als Königen ansprechend, um nicht zu sagen erstrebenswert erschien.

Bislang allerdings war nicht bekannt, ob überhaupt und wenn ja zu welcher der reizenden und kostbar geschmückten jungen Damen, die an seinen Lippen hingen, obwohl diese noch kein Wort gesprochen hatten, Jeremias sich hingezogen fühlte.

Und die meisten der Menschen, die ihn umgaben, die ihn begleiteten, erachteten ihn als zu jung, zu unbedarft, als dass er sich bereits fest zu binden gedenken sollte.
Obwohl die Stimmen lauter wurden, die ihn drängten. Und obwohl Jeremias bislang Verständnis und Einsicht in Bezug auf jede einzelne der Forderungen, die sein Stand und seine Verantwortung ihm auferlegten, gezeigt hatte, gab er sich in dieser einen Hinsicht bedeckt, zog sich auf Fragen hin ausweichend zurück oder verwies auf Prioritäten, die geklärt werden mussten, lange bevor die Diskussion über sein Privatleben eröffnet werden konnte.

Jeremias war beileibe nicht der erste oder einzige, dessen Krönung einer Familiengründung und der Frage der Erhaltung des Stammbaumes vorausging. Seine Blutlinie prägten Vernunftehen, die aus politischen und praktikablen Gründen vollzogen wurden.
Und die Zeichen standen gut, dass Jeremias gedachte, diese Tradition fortzusetzen.

Der junge Thronanwärter hatte seinen Weg vollendet. Er drehte sich um, so dass der halblange königliche Umhang in eine Schwingung versetzt wurde, die seinen Oberkörper umschmeichelte, als er innehielt, und wandte sich an seine zukünftigen Untertanen.

In wenigen, schlichten Worten dankte er ihnen für ihr Erscheinen und für die Ehre, die sie ihm erwiesen und verlieh zugleich der Hoffnung Ausdruck, dass die Sünden der Vergangenheit gesühnt worden und das Land endlich bereit sei, besseren Zeiten entgegenzusehen.

Der Sänger stimmte die uralte Weise an, welche die Zeremonie einleiten sollte, und Jeremias sank auf seine Knie, während die Erzbischöfe auf ihn zu schritten, Krone und Zepter auf samtenen Kissen vor sich trugen.

Die Musik schwoll hinauf zu den funkelnden Leuchtern, und die Menge hielt ihren Atem an, als das Oberhaupt der Weisen die Krone in seine Hände nahm und sie hoch über den Kopf des jungen, zukünftigen Königs hielt.

Doch noch bevor er sprechen konnte, unterbrach den Weisen ein Windstoß, der die Kleider der Anwesenden aufwirbelte, Sand und Staub in den Thronsaal trug.
Die Menschen husteten und wandten sich ab. Sie bedeckten Augen, Münder und Gesichter, suchten sich zu schützen, als der Sturm nicht nachließ, als er im Gegenteil, an Intensität nur zunahm.

„Was geht hier vor?“, rief Jeremias. „Was ist so wichtig, dass es diese Zeremonie unterbrechen dürfte, die doch den Beginn einer neuen Zeit markiert.“

„Du weiß, was so wichtig ist.“ Eine heisere Stimme, dennoch laut genug, um in den entferntesten Winkel des Thronsaales vorzudringen, erklang, als sich der Wirbel beruhigte und aus seiner Mitte eine Gestalt hervorging.

Die weiße Maske glänzte im Licht der Kronleuchter, und die Menge zuckte zusammen, als sie erkannte, wer es war, der sich ihnen hier offenbarte.

Torrensoling der Zauberer, letzter seiner Zunft, und somit der mächtigste Magier im Land. Böse Stimmen behaupteten, dass Torrensoling nicht unbeträchtlich an der Strafe beteiligt war, die sie eingeholt hatte.
Und fürwahr umgab diesen Mann etwas Furchteinflößendes, eine Aura der Gefahr, die jeden erschreckte, der sich in seiner Gegenwart aufhielt. Was vielleicht erklärte, wieso Torrensoling die Einsiedelei vorzog. Dies, oder seine tief sitzende Abneigung gegenüber Menschen.

Und auch jetzt blitzten die Augen unter seiner weißen Maske nicht nur ungeduldig, sondern verärgert. Schlicht verärgert aufgrund der Tatsache, dass er gezwungen war, sein Leben der Meditation und spirituellen Erfüllung aufzugeben, um der Welt, die ihn umgab, seine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, obgleich sie diese nicht verdiente.

„Die Zeichen sind deutlich“, sprach er und richtete seinen finsteren Blick auf den jungen Thronanwärter, der sich langsam aufrichtete.

„Runen und Innereien sprechen eine deutliche Sprache.“
Torrensoling drehte sich zu der Gästeschar. „Dieser Mann…“ Er wies auf den Prinzen. „Dieser Mann wird nie euer König sein.“
Ein Raunen ging durch die Menge, und Torrensoling nickte, als wollte er sich selbst bestätigen.

„Die Zukunft zeigt mir keine Frau an seiner Seite.“ Er neigte den Kopf. „Und wir alle wissen, dass ein Herrscher nicht allein bleiben darf. Die Gefahr des Machthungers, der Diktatur, der Schreckensherrschaft steigt mit jedem Moment, den er ohne Unterstützung, ohne Widerpart, ohne Entsprechung seiner Seele auf dem Thron verbringt.
Wir dürfen dies nicht zulassen, dürfen die Gefahr nicht akzeptieren.“

Der Hofmarschall trat vor den Prinzen. „Aber was schlägst Du vor? Was sagen die Runen über die Thronfolge? Jeremias ist der einzige Sohn. Er muss König werden. Und er wird seinen Pflichten nachkommen, heiraten und Nachkommenschaft zeugen. Weil es sich dabei um seine Aufgabe handelt. Ist es nicht so, mein Prinz?“
Er drehte sich zu dem jungen Mann um, wiederholte die Frage. „Ist es nicht so?“

Der Prinz schluckte trocken. Sein Blick schweifte über die Menge, von der unterschwelliges Murmeln hinauf an sein Ohr klang. Erwartungsvoll ruhten aller Augen auf ihm, und Jeremias konnte sie nicht mehr ertragen, nicht ertragen wie sie sich in seinen Körper bohrten mit der Frage, die er selbst sich stets geweigert hatte zu stellen.

Langsam schüttelte er den Kopf. „Ich weiß es nicht“, sagte er ehrlich und blickte zu Boden. „Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage sein werde.“
Er sah wieder auf, über die vielen Gesichter, die sich ihm zuwandten, erstaunt, erschüttert oder verwirrt, und dann wanderte sein Blick zur Seite, über die Köpfe seiner engsten Vertrauten hinweg bis er den Heikos traf, den seines besten Freundes, seines Begleiters von Kindesbeinen an.
Torrensoling folgte dem Blick, bevor er mit seinem Stab auf den glänzenden Marmor stieß, bis ein helles, penetrantes Geräusch die Menge aufschreckte.

„Davon spreche ich“, sagte er und drehte sich zu den Gästen um. „Wir brauchen eine Lösung, und wir brauchen sie schnell.“

„Ich werde ihn heiraten.“ Eine junge Frau trat vor. Langsam sank sie in die Knie, blickte dann auf zu Torrensoling. „Es wäre mir eine Ehre.“

Torrensoling schüttelte den Kopf. „Ach liebes Kind“, murmelte er. „Ich weiß Dein Angebot zu schätzen, aber ebenso sicher bin ich, dass es nicht von großer Hilfe sein wird.“
„Dann melde ich mich.“ Eine weitere Dame trat hervor, gefolgt von einem jungen Mädchen, das ihrerseits beinahe gewaltsam zur Seite gedrängt wurde. Mit einem Mal schoben und stießen sich die Frauen gegenseitig aus dem Weg, jede nur noch von dem Gedanken beseelt, soweit sie es konnte, nach vorne zu gelangen, sich dem Prinzen anzupreisen.

Der junge Mann trat zurück, seine Augen weiteten sich mit jedem Schritt.
Heiko streckte die Hand nach ihm aus, doch als Jeremias beinahe nahe genug war, um diese zu ergreifen, fuhr Torrensoling dazwischen.
„Ich bin bereit, diese Zeremonie mit all meinen Kräften zu verhindern, solange das Schicksal des Landes ungewiss bleibt.“
Er wirbelte seinen Stab und ein Nebel stieg auf, verhüllte ihn ebenso wie Jeremias. Und als der Nebel verflog, blieb dort, wo sie gestanden hatten, nichts anderes übrig als leerer Raum.

„Wo ist er hin?“, fragte der Hofmarschall, noch bevor die Verwirrung die Menge erreichte. „Was ist passiert?“

„Unser König… wir brauchen ihn doch“, weinten die ersten, und einige der heiratswilligen Kandidatinnen warfen sich schluchzend zu Boden.
„Wo ist er?“

„Torrensoling hat ihn mitgenommen.“
Heiko, blass geworden, ging nach vorne. Er starrte einen Augenblick auf die Stelle, an der Jeremias eben noch gestanden hatte.
Er blinzelte, sah dann hilfesuchend zum Hofmarschall. „Wir brauchen ihn wieder“, stellte er fest. Keine Frage war es, sondern eine Feststellung und der Hofmarschall nickte.

Er richtete sich auf, gebot den Gästen mit einer Handbewegung zu schweigen.
„Gibt es Stimmen, die sich auf Torrensolings Seite schlagen? Die dagegen sind, dass Jeremias, der rechtmäßige Erbe, Sohn eines guten Königs, dessen Nachfolge antritt?“

Die Menschen schüttelten ihre Köpfe, erst vereinzelt und langsam, doch dann mit steigender Heftigkeit.
„Nein“, riefen einige. „Wir haben Verfehlungen begannen, gelogen, betrogen und gesündigt. Unser eigenes Wohl über das unserer Nächsten gestellt. Doch Jeremias gab uns Hoffnung, er sprach aus, was wir alle dachten. Wenn er uns führt, wird alles besser.“

Der Hofmarschall nickte, und sah zu Heiko. „Ich werde ihn zurückholen“, sagte dieser, und ein brausender Jubel erhob sich im Thronsaal.
Und als er an den Reihen der Gäste vorüber eilte, verbeugten sich der eine oder andere, obwohl Heiko weder einen Rang bekleidete, noch einen bekannten Namen trug.
Wie im Rausch eilte der junge Mann in Richtung des Stalles, wo sein Pferd bereit stand, wo die Stallknechte ihm aufmunternd auf die Schulter klopften und ihm Glück wünschten auf seinem Weg.

Jedermann kannte die Einöde, in der Torrensoling hauste. Und jedermann kannte die Gefahren des Weges, die es zurückzulegen galt.
Wo Torrensoling sich mit Hilfe seiner Zauberkraft durch die Luft teleportieren konnte, benötigten normal Sterbliche Tage bis sie das Ziel erreichten, sofern das Glück auf ihrer Seite stand.

Heiko durchquerte Wüsten und Dschungelgebiete. Er kämpfte mit Drachen und Schlangen, die Torrensoling ausgesandt hatte, ihm den Weg zu erschweren.
Langsam aber stetig bewegte er sich vorwärts, durchdrungen von der Hoffnung, getrieben von der Sehnsucht nach dem Freund, der ihm Zeit seines Lebens zur Seite gestanden hatte.

Und je weiter Heiko reiste, desto klarer wurde er sich über die Gefühle, die er für den Prinzen hegte, über das Band, das sie seit ihrer Kindheit verknüpfte.
Während Heikos Weg ihn immer weiter vom Palast fortführte, so wanderten seine Gedanken zurück in der Zeit.

Jeremias und er waren gemeinsam aufgewachsen. Als des Prinzen Adjutant war es stets seine Pflicht gewesen, diesen zu begleiten, zu unterstützen, seine Gedanken zu teilen. Er lieh ihm die notwendige Schulter, wenn diese vonnöten war, schob ihn an, wenn er in seinem Ehrgeiz nachließ, forderte ihn, wenn immer es darum ging, das Beste aus sich herauszuholen.


Wenn Jeremias zu dem König geworden wäre, der er sich angeschickt hatte zu sein, so war dies nicht zuletzt Heikos Verdienst.
Doch lag in diesem Wissen nicht der Grund für Heikos Eile, die ihn vorwärts trieb. Weder Staatsraison noch der Gedanke an das Wohl des Volkes, das einen König wie Jeremias brauchte, zwang Heiko dazu, seine Kräfte bis zur letzten Grenze zu erschöpfen.

Nein – etwas anderes bewog ihn weiterzugehen, so schwer und anstrengend, manches Mal unmöglich es ihm erschien, auch nur einen einzigen Schritt weiter zu tun.
Es war die Unruhe, die Furcht, die Heiko tief in sich spürte.
Furcht vor dem, was mit dem Prinzen geschah, was mit ihm geschähe, wenn Heiko ihm nicht zur Hilfe käme.

Denn er wusste sehr wohl, dass außer ihm selbst niemand es wagte, Torrensoling die Stirn zu bieten. Nicht auf dessen Gebiet. Nicht in einem Fall wie diesem, in dem es um das Wohl des Landes ging, um das Wohl der Bevölkerung. Und das zu einer Zeit, während der ausgerechnet dieses Wohl auf wackeligen Füßen stand, während der niemand erwarten konnte, dass ein Risiko eingegangen wurde.

Und so ritt Heiko weiter, unermüdlich und voller Hoffnung, und doch getrieben von der Unruhe, der Frage, was es war, worauf er zuritt.

Jeremias befand sich in einer Blase. Zumindest kam es ihm so vor. Er konnte nicht über die Ränder des Ballons in dem er gefangen war, hinaussehen. Und hinter diesen lag nichts außer Dunkelheit.
Er war allein in dieser Blase, allein mit Torrensoling und mit einer blauen Flamme, die vor ihm loderte.

Wie hypnotisiert starrte Jeremias in die Flamme hinein, beobachtete deren vage, zuckende Bewegungen, folgte mit dem Augen ihren seltsamen Sprüngen oder den Funken, die sie ausstieß, als sei sie ein lebendiges Wesen, das unter gelegentlichen Hustenanfällen litt.

In Torrensolings glänzender Maske spiegelten sich ihre Bewegungen. Zu hören war kein Laut, mit Ausnahme eines gelegentlichen Knisterns, das Jeremias jedesmal zusammenzucken ließ.

Er hob den Kopf und bemerkte erst in diesem Augenblick, dass er auf dem Boden kauerte, auf der nachgiebigen und doch glatten Substanz, die er für den Boden hielt, die jedoch nichts anderes, als einen der Wände der Blase darstellten.
Die Augen Torrensolings bohrten sich aus den Höhlen der Maske in Jeremias‘ eigene, der den Blick nicht lange aushielt, sondern seine Lider niederschlug.

„Was willst du von mir?“, brachte er schließlich mühsam hervor. „Hat es dir nicht gereicht, den Krönungstag zu zerstören?“
Jeremias ahnte Torrensolings Grinsen unter der Maske, doch dieser antwortete nicht.

„Zeige mir wenigstens dein Gesicht“, forderte Jeremias. „Solltest du mich töten wollen, so habe ich zumindest den Respekt verdient, der mir gebührt.“

Der Zauberer schüttelte langsam den Kopf. „Du warst schon immer ein verwöhnter Knabe. Bereits damals, als ich dich in den heiligen Künsten unterrichtete. Du wolltest den Traditionen nie die Ehrfurcht erweisen, die sie verdienten. Du wolltest nie anerkennen, dass unbedingter Gehorsam eine Tugend ist, der es um jeden Preis zu folgen gilt.“

„Und ich glaube immer noch nicht daran.“
Jeremias hob sein Kinn, sah Torrensoling direkt an. „Es gibt Regeln, die es wert sind, gebrochen zu werden. Ja, die gebrochen werden müssen, damit aus dieser Welt ein besserer Ort werden kann. Wir alle befinden uns nur zu dem einen Zweck auf Erden – um zu lernen uns zu entwickeln, neue Lösungen zu finden für unlösbar erscheinende Aufgaben.“

Torrensoling schnaubte. „Gesprochen wie ein Rebell, ein Freigeist, der bereit ist alles zu opfern, was unser Land, unser Leben und unsere Werte ausmacht.“
Jeremias schüttelte seinen Kopf. „Wenn wir erkennen, dass ein Weg nicht funktioniert, so ist es unsere Pflicht einen besseren zu suchen. Denkst du nicht auch so, Torrensoling?“

Der Magier prustete. „Ganz gewiss nicht. Ideale existieren, die älter sind als wir, die bereits vor uns bestanden und auch nach unserem Dahinscheiden noch Bestand haben werden.“
Jeremias räusperte sich. „Doch nicht alles, was du als ein Ideal ansiehst, gehört auch wirklich zu den Werten, welche die Ewigkeiten überdauern sollten.“

Torrensoling streckte sich. Seine Augen sandten Blitze aus. „Du wagst es, meine Macht anzuzweifeln.“
Nun richtete sich auch Jeremias auf. Jedoch stand er still und bescheiden vor dem Zauberer, neigte den Kopf, als er ruhig weitersprach. „Ich wage es, deine Überzeugung anzuzweifeln“, sagte er leise. „Wir alle sind letztendlich nur Menschen, die sich damit abfinden müssen, dass sie hin und wieder irren können.“

Torrensoling lachte blechern. „Auch du, junger König?“
Torrensoling nickte. „Auch ich – und ich noch viel mehr als jeder andere. Die Verantwortung, die ich tragen soll, macht mich nicht unfehlbar. Meine Pflicht ist es, ständig darauf zu achten, dass meine Fehler entlarvt werden, meine Irrtümer aufgedeckt und ein falscher Kurs korrigiert wird.“

Torrensoling stieß seinen Stock in die Höhe, und die blaue Flamme folgte der Richtung, indem sie nach oben züngelte.
„Warum verweigerst du dich dann der ersten aller Verneigungen vor der Schönheit des Lebenszirkels? Warum hast du dir in deinem Alter noch keine Braut gesucht, keine Nachkommen gezeugt, keinerlei Anstrengungen unternommen, dein Geschlecht zu erhalten? Du bist der letzte Nachkomme. Es wäre deine Pflicht.“

Jeremias schluckte, senkte dann seinen Kopf. „Ich weiß“, antwortete er, und fügte dann leise hinzu. „Ich konnte es nicht… konnte es mir niemals überhaupt vorstellen.“
Torrensoling schnalzte mit der Zunge. „Und wie glaubst du dann, die Bedürfnisse deines Volkes über deine eigenen stellen zu können, wenn du noch nicht einmal zur Erfüllung der geringsten aller Aufgaben imstande bist?“

Jeremias holte tief Luft und hob seinen Kopf wieder. „Ich weiß, dass ich dazu imstande bin“, sagte er fest. „Ich weiß, dass ich trotzdem ein guter König sein kann. Und ich weiß, dass es für einen König keine Rolle spielt, ob oder wie viele Kinder er zeugt. Seine Taten sind es, die zählen, auf die dereinst die Geschichtsschreiber zurückblicken werden.“

Torrensoling schüttelte den Kopf. „Aber du lässt dein Land ohne Thronfolger, ohne Regierung zurück, ohne legale Ansprüche. Chaos und Anarchie werden ausbrechen, sollte die Blutlinie unterbrochen werden.“

Jeremias räusperte sich. „Es kann nicht nur um das Blut gehen. Wenn es auf dieser Welt gerecht zu gehen soll, dann zählen ein starker Charakter und die Fähigkeit zu regieren. Denke nicht, dass ich mir nicht bereits gründlich Gedanken über eine neue, eine verbesserte Form zur Ermittlung eines Herrschers gemacht habe. Nur die Besten, nur die Weisesten und die Begabtesten, sowie die, deren Herz am rechten Fleck sitzt, sollen eine Chance erhalten. Und das unabhängig von ihrer Geburt oder ihrem Stand. In einem Müllerburschen kann ein besserer König stecken, als in jedem Adeligen von einer Grenze bis zur anderen.“

Torrensoling keuchte. „Das ist aufrührerisches Gedankengut. Es ist verboten, dieses auszusprechen.“
Jeremias schüttelte den Kopf. „Mein Vater verbot es genau so wenig, wie ich es verboten hätte. Eine neue Zeit ist angebrochen, Torrensoling. Und du hast es nicht bemerkt.“

Er schluckte, ging dann einen Schritt auf die Flamme zu, fröstelte als er deren Kälte spürte. „Über kurz oder lang werden deine Spielereien, deine leeren Rituale niemanden mehr beeindrucken. Ob du mich tötest oder nicht, es wird ein anderer kommen und meinen Platz einnehmen. Irgendwann – und du wirst es nicht verhindern können.“

„Schweig still.“ Torrensoling hob den Stab über seinen Kopf und dieser sandte violette Blitze aus, die an den Wänden der Blase abprallten, bevor sie zurückgeschickt wurden, Jeremias wie Nadeln aus Eis durchfuhren, bis dieser zu Boden fiel und sich in Schmerzen wand.

Torrensoling lachte blechern. „So ist es, mein Prinz. Letztendlich sind wir alle nur Körper, Opfer unserer fleischlichen Begierde und unserer Gebrechen. Eine kleine Verletzung verwandelt dich von einem angeberischen Heuchler der große Worte schwingt, in ein jammerndes Häufchen Elend. Es ist an der Zeit, dass du das einsiehst, und dich meinem Willen fügst.“

Jeremias stieß einen Schmerzenslaut aus. „Und welches wäre dein Wille?“, flüsterte er erschöpft.
„Befolge die Regeln“, forderte Torrensoling. „Lehne dich nicht auf gegen die Bestimmungen der Natur, die Tatsachen, die in Stein gemeißelt wurden, noch ehe auch nur einer von uns begann zu existieren.“

„Ich befolge die Regeln“, wisperte Jeremias entkräftet. „Ich befolge jene, die ich für wert erachte, befolgt zu werden.“
Ein weiterer eisiger Blitz traf ihn, und Jeremias erzitterte, krümmte sich zusammen, bevor er das Bewusstsein verlor.
Torrensoling lachte, ein dunkles grausames Lachen, das seinen Weg durch die Einöde suchte.

Heiko hielt sein Pferd an und lauschte. Als das Lachen an sein Ohr drang, erschauerte er und begann zu frösteln.
„Jeremias“, flüsterte er. Heiko fühlte, nein, er wusste mit absoluter Sicherheit, dass es um den Freund ging, dass es sein Leiden war, das er miterlebte. Und er verwünschte sich selbst, verwünschte die erzwungene Langsamkeit seiner Reise, als er das Tier antrieb und vorwärts preschte in Richtung des Prinzen, von dessen Aufenthaltsort er nun eine sichere Ahnung erhalten hatte.

„Niemals werde ich aufgeben“, seufzte Jeremias entkräftet. „Niemals. Du wirst nicht erhalten, was du von mir forderst.“

„Das werden wir sehen“, lachte Torrensoling boshaft und richtete einen weiteren Blitz auf den jungen Mann.
Der Hall des Donners erschütterte die Blase, und Torrensoling warf den Kopf in den Nacken in einem jubilierenden Schrei.
„Dann werde ich dich töten“, rief er voller Enthusiasmus. „Du wirst wie eine Fliege vor mir im Staub kriechen und um Gnade winseln, wenn ich es will. Und ich werde die Befriedigung erhalten, einen König zu entthronen, der niemals auch nur in die Nähe einer Königskrone hätte gelangen dürfen.“

„Das wirst du nicht.“

Torrensoling fuhr herum. Die durchsichtigen Wände der Blase gaben den Blick frei auf eine Gestalt, die sich durch die Dunkelheit vorwärts kämpfte, durch das Nichts ihren Weg fand.
„Heiko“, keuchte Jeremias, und versuchte sich zu erheben. Doch eine Bewegung von Torrensolings Stab drängte ihn erneut zu Boden, presste ihn wie eine Druckwelle herab.

„Wer ist dieser Wicht?“, lachte Torrensoling. „Wer wagte es in mein Gebiet einzudringen, die Unberührtheit meiner Einsamkeit zu beschmutzen?“
Seine Stimme wurde schriller mit jedem Wort. Verärgerung und zugleich unverhohlenes Erstaunen schwangen in den Lauten mit, die Jeremias‘ Trommelfell unangenehm durchdrangen bis er mit schmerzverzehrtem Gesicht seine Hände gegen die Ohren presste.

Heiko näherte sich unaufhaltsam. Weder Torrensolings Schrei noch seine Drohgebärden hielten ihn davon ab, sich Jeremias zu nähern.
Er sah nur ihn, war einzig beseelt von dem Wunsch, den anderen aus diesem Gefängnis zu holen, ihn zurückzubekommen und wieder bei sich zu haben, für sich zu haben.

Heiko zog sein Schwert. Doch als er begann mit diesem gegen die gläsernen Wände der Hülle einzuschlagen, die ihn von Jeremias trennten, vibrierten die Schläge in seinen Armen und Beinen, rieselten schmerzhaft durch seinen ganzen Körper, zeigten jedoch keine Wirkung.
Lediglich ein scharfes Klirren ertönte, fuhr über die Außenwände der Blase und erleuchtete diese in einem violetten Schimmer, doch ohne das Gebilde auch nur im Geringsten zu erschüttern.
Kein Spalt, kein Riss zeigte sich, obwohl die Klinge des Schwertes scharf genug war, dass sie ohne Schwierigkeiten Stein durchtrennen konnte.

Doch der Schutz, der Torrensoling und Jeremias umhüllte, gab nicht nach; Torrensolings Zauber hielt ihn unabhängig von jeder Erschütterung, jeder nur möglichen Gewalteinwirkung in seinem Platz.

Jeremias öffnete die Augen und sah hinaus zu dem Freund, der unablässig auf die Wände einhob, diese von allen Seiten bearbeitete, während Torrensoling zu kichern begann, schließlich die Arme in die Seiten stemmte, seinen Kopf in den Nacken warf und laut hinaus lachte.
„Mein armer Junge“, brachte der Zauberer schließlich mühsam und unter Glucksen und Hicksen hervor. „Deine Anstrengungen werden dir nicht helfen. Mein Zauber ist zu mächtig, meine Macht zu groß, als dass du schwaches Menschlein sie nur ankratzen könntest.“

Jeremias stützte sich auf seinen Arm, sah Torrensoling an. „Du bist auch nur ein Mensch“, sagte er ruhig. „All deine Macht wird einst verblassen, so wie die Kräfte eines jeden Menschen, ob klein oder groß, dereinst ins Nichts übergehen werden.“

Torrensoling lachte immer noch. „In ein Nichts, das eine neue Welt gebärt“, sagte er leutselig. „Meine Macht wird übergehen in etwas Größeres, verschmelzen mit der Unendlichkeit des Seins.“

„Lass mich gehen“, sagte Jeremias. „Wenn dein Einfluss so groß ist, was willst du dann von mir? Was kann ich ausrichten, das wichtig genug ist, als dass du dich darum kümmern müsstest?“
Torrensolings Kopf fuhr herum. Die unablässig flackernde Flamme inmitten der Blase zeichnete furchterregende Muster auf seine Maske.

„Unterschätze mich nicht“, grollte er. „Unterschätze mich niemals, Prinz. Ich weiß, wer du bist. Und ich weiß von dem Einfluss, den du auf die Menschen ausübst, die deine Untertanen sind. Ich weiß von den Fehllehren, die du imstande bist, ihnen zu verkünden, von den falschen Wegen, die du sie führen wirst.“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst?“, keuchte Jeremias, und kämpfte um auf seine Füße zu kommen. Er strauchelte, stürzte wieder und kniete. Sein Blick wich von Torrensolings furchteinflößender Gestalt ab und wanderte zu Heiko, der seine letzten Kräfte mobilisierte, um die fruchtlosen Bemühungen fortzusetzen.
Doch dessen Hiebe richteten immer noch nichts aus, weder schwankten die Wände, noch bebten sie, noch zeigten sie auch nur die geringsten Anzeichen einer Verletzung oder Erschütterung.

Mit einem verzweifelten Stöhnen hob Heiko das Schwert ein letztes Mal an und ließ es krachend gegen die Hülle fallen, die standfest und hart blieb wie bei jedem seiner vorigen Versuche.
Heiko keuchte, und das Schwert glitt aus seinen Händen, während er auf die Knie sank. Er blickte auf und befand sich in Augenhöhe mit Jeremias, der ihn schmerzerfüllt ansah.

„Du bist gekommen“, flüsterte der Prinz. „Ich danke dir.“
„Ich musste es tun“, antwortete Heiko. „Ohne dich kann ich nicht sein.“
Jeremias hob eine seiner Hände, legte sie gegen das Glas, das sich überraschend kühl und glatt anfühlte.
„Und ich nicht ohne dich“, sagte er schlicht. „Jetzt weiß ich es.“

Er blinzelte. „Wieso haben wir es nicht früher gesehen?“, wisperte er leise, und doch laut genug, dass Heiko ihn über alle Hindernisse, über das Rauschen in seinen Ohren hinweg hören konnte.
„Wir sehen es jetzt“, antwortete er, und legte seine eigene Hand auf die andere Seite der Glashülle, gerade gegenüber der von Jeremias, so dass nur noch die kühle Substanz sie trennte.

Sie sahen sich an, ihre Augen trafen sich. Blicke tauchten ineinander und Lippen öffneten sich in gegenseitigem Verstehen.
Der violette Schimmer, der von Zeit zu Zeit über das hauchzarte Glas gewandert war, wurde dunkler, intensivierte sein Leuchten. Jeremias und Heiko sahen sich unverwandt an, ihre Hände gegen das Glas gepresst, das sich unter ihnen verformte, bog, während ihre Gesichter sich unmerklich der Scheibe näherten.
Das Glas, das sie voneinander trennte, erwärmte sich, sei es durch die Hitze ihres Blickes oder durch die Wärme, die durch ihre Finger strömte, sie durch die Scheibe hindurch miteinander verband.

Ihre Augen tranken den Anblick des anderen, ihre Körper kribbelten im Bewusstsein der Nähe, die bereits zu greifen war, und doch unmöglich zu erreichen schien.
Zu lange waren sie getrennt, länger als jemals zuvor in ihrer beider Leben. Weiter voneinander entfernt, als sie es jemals gewesen waren.

Das Glas erwärmte sich, die Hitze drang aus ihren Augen, aus ihren Händen in die Hülle, durchströmte diese, ließ sie sich erweichen.
Das Glas verformte sich unter ihren Fingern. Die Blase wackelte, die Hülle schmolz mit einem Seufzer.

„Neiiiin“, kreischte Torrensoling. „Das darf nicht sein, es geht nicht. Es ist unmöglich.“
Doch er besaß keine Macht mehr über die Hülle, über die gläsernen Wände. Sie schmolzen, sie sanken in sich zusammen, zerflossen in glasige Fäden, die emporstiegen und in der Dunkelheit verdampften.
Die Barriere zwischen ihnen bröckelte, brach zusammen, noch ehe sie sich dessen bewusst werden konnten.
Doch was sowohl Heiko als auch Jeremias spürten lag in dem Zauber der körperlichen Anziehung, die beide erzittern ließ.

Hände streckten sich aus, Arme fanden sich und Körper schmiegten sich aneinander. Heiko zog den jungen König näher, und dieser fiel mit einem Seufzer gegen ihn, schlang seine Arme um des Größeren Schultern, legte seine Wange gegen die seines Freundes.

„Was soll das?“, schrie Torrensoling. „Was geht hier vor? Das kann nicht sein.“
Er versuchte dazwischen zu gehen, doch sein Stab schmolz ebenso wie die Hülle, in die er Jeremias und sich vermeintlich endgültig eingeschlossen hatte, geschmolzen war.

Heiko stütze Jeremias, als dieser sich erhob. Sie ließen nicht voneinander, blieben umschlungen, glücklich, zufrieden in der Wärme des anderen.
„Was geht hier vor?“, keuchte Torrensoling, und wich einen Schritt zurück. „Was tut ihr?“

Endlich drehte sich Jeremias zu ihm. „Siehst du das nicht?“, flüsterte er, bewegt von den starken Gefühlen, die ihn durchdrangen. „Kannst du es nicht sehen?“
Er erschauerte.
„Ich weiß es auch nicht“, flüsterte Heiko und küsste Jeremias‘ Hals über dem königlichen Kragen. „Was ist geschehen. Sag es mir.“

Und Jeremias lächelte. „Es ist die Liebe“, antwortete er. „Sie ist stärker als alles andere, stärker und wahrhaftiger als jede Zauberkraft, die doch nur ein schwacher Abglanz dessen sein kann, was in diesem Universum von Bedeutung ist.“

„Liebe?“, wisperte Heiko und Jeremias lächelte.
„Du fühlst sie doch auch“, sagte er leise. „Nur die Liebe ist stark genug um Mauern niederzureißen, um Entfernungen zu überwinden, die unüberwindbar scheinen, um Festungen zu stürmen, die von jeher uneinnehmbar wirkten.“

Heiko nickte und presste sein Gesicht in die Kurve zwischen Jeremias‘ Hals und Schulter. Seine Stimme klang erstickt, als er weitersprach.
„Dann ist es also wahr, wirklich wahr?“
„Das ist es.“ Jeremias küsste Heikos Haar.

„Das ist es nicht“, schrie Torrensoling erbost. „Das ist keine Liebe. Das ist schwarze Magie, verbotene Hexerei. Es ist unmöglich, gefährlich und falsch. Falsch in jeder Hinsicht.“

„Aber wieso?“ Jeremias drehte sich zu Torrensoling um, behielt jedoch seinen Arm um Heiko gelegt, so wie jener seine Arme um Jeremias‘ Körper schlang.
Jeremias‘ Stimme klang leise, jedoch fest, bestimmt und entschlossen.

„Ist es nicht das, was du gefordert hast? Einen Menschen an der Seite des Königs, der ihm genug bedeutet, dass dieser seine Entscheidungen in der Gemeinschaft abwägt. Der ihn erdet, seinem Leben ein Fundament gibt, seine Welt ordnet, ihm Halt und Sicherheit verleiht und gleichzeitig davon abhält, den Boden unter seinen Füßen zu verlieren, sich in Wirren zu verstricken, die für seine Untertanen die fatalsten Folgen hätten.“

„Aber…“ Torrensolings Stimme überschlug sich. „Es muss eine Frau sein. Zu einem König gehört eine Königin, zu jeder Königin der König. So ist es bestimmt, so lautet die uralte Regel.“

„Wer hat das bestimmt?“, fragte Jeremias ruhig. „Von Menschen erschaffene Gesetze unterliegen Irrtümern. Und solange wir leben, lernen wir. Auch du, Torrensoling. Auch du lernst dazu.“

„Niemals“, bellte der Zauberer. „Das ist nicht richtig, nicht wahr.“
Heiko hob seinen Kopf. Er ließ seinen Blick über die Ödnis schweifen, die er so mühsam durchquert hatte, richtete ihn auf die Dunkelheit, die sie umgab. Und in diesem Augenblick falteten sich die letzten Überreste der gläsernen Hülle wie eine sich öffnende Blüte auseinander.

Durchsichtige Blätter sanken hinab, suchten Kontakt mit dem Grund, und in dem Moment, in dem sie diesen gefunden hatten, breiteten sie sich aus, flossen auseinander, dehnten sich in die Ferne.
Und mit ihnen glitt ein mattes Licht über den Boden, das Wärme und Leben mit sich brachte, dessen Quelle inmitten der verschlungenen Gestalten Jeremias‘ und Heikos entsprang.

„Siehst du?“, flüsterte Jeremias, ohne zu wissen, ob er zu Heiko oder zu Torrensoling sprach.
„Ja.“ Heikos Augen wanderten zu dem Zauberer, der mit geöffnetem Mund beobachtete, wie das schimmernde Licht die Dunkelheit vertrieb, wie die Ödnis erfüllt wurde von Bewegung, von Geräuschen, Gesängen und Musik.

Duftende Wiesen streckten sich in die Ferne aus. Helles Grün sprach von einem neuen Anfang.
„Ich sehe es.“ Heiko lächelte und legte seine Hände auf Jeremias‘ Wangen, bevor er dessen Lippen zu den seinen zog. „Ist das der Beweis?“

Jeremias küsste ihn. „Es ist der Beweis, dass wir richtig liegen. Dass wir das Richtige tun.“

Torrensoling schüttelte wild seinen Kopf. „Das kann nicht sein“, krächzte er. „Ich glaube das einfach nicht. Ich will es nicht glauben.“

„Aber warum denn nicht?“, fragte Jeremias, und sein Gesicht leuchtete im Schein der aufsteigenden Sonne.

„Weil… weil…“ Torrensoling hustete, beugte sich vorwärts, zuckte in heillosen Krämpfen. „Weil es eine Frau sein muss… eine… weil wir sonst nichts haben… nichts außer…“

Er erschauerte. „Ihr begeht einen unverzeihlichen Fehler. Die Blutlinie wird aussterben, die rechtmäßige Nachkommenschaft angezweifelt. Krieg und Chaos unvermeidbar.“

„Das ist nicht wahr“, sagte Jeremias sanft. „Wir werden rechtzeitig und sorgfältig auswählen, welcher Mensch, welches Kind zur Herrschaft bestimmt sein wird.
Durch seine Adern muss nicht unser Blut fließen. Unser Geist, unsere Erziehung, unsere Lehren sind es, auf die es ankommt.“

„Nein…nein.“ Torrensoling schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

Dann stürzte er zu Boden, und die Maske rutschte von seinem Gesicht.
Jeremias sog erstaunt die Luft ein und Heiko blinzelte verdattert.

„Torrensoling?“, fragte Jeremias unsicher.
Graues Haar ringelte sich lang über Torrensolings Kragen. In langen Wimpern hingen Tränen. „Ihr seht richtig“, krächzte die Frau. „Ich bin kein Zauberer. Ich bin eine Hexe. Und ich bin die letzte Bastion, das letzte Wesen auf Erden, das für die Rechte des schwachen Geschlechtes eintritt. Ohne mich sind die Frauen verloren, armselige, abhängige, bedeutungslose Wesen…“

Sie schüttelte sich. „Ohne mich wird die Menschheit aussterben, wird niemand mehr wissen, was der Kreislauf des Lebens bedeutet.“
„Wir werden es wissen“, versprach Jeremias sanft.

„Ich werde dies nicht zulassen“, kreischte Torrensoling und sprang auf. Sie richtete beide Hände auf die blaue Flamme, die immer noch unverändert vor ihnen brannte. „Töte sie“, kreischte die Hexe. „Du bist mein Geschöpf. Entferne sie vom Angesicht dieser Erde.“

Die Flamme zischte. Sie erhob sich und fuhr in Richtung der Liebenden.
Sie griff Jeremias an, der zurückwich. Und in diesem Moment warf Heiko sich vor ihn, breitete die Arme aus und beschützte den Prinzen mit seinem Körper.
Blaues Licht leuchtete grell, doch es verharrte, zögerte.
Die Flamme tanzte langsam von links nach rechts, als versuche sie an Heiko vorbeizukommen. Doch als hielte sie eine Kraft, die stärker war, als der Grundstoff, der die Flamme entzündete und am Leben ließ, zurück.

„Was ist los“, kreischte Torrensoling erbost. „Worauf wartest du?“
Die Flamme zischte, flackerte in die Höhe, ballte sich zusammen zu einem blitzenden Feuerball, der auf einmal ohne Vorwarnung explodierte. Die Druckwelle presste Heiko gegen Jeremias und warf beide zurück, weiter zurück, bis sie zu Boden stürzten.

Auch Torrensoling stürzte, schrie. Ihre Schreie stiegen hinauf, bevor sie verblassten, zerbröckelten, ebenso wie ihre Gestalt verblasste.
„Was geschieht hier?“ Jeremias rappelte sich auf. Heiko reichte ihm seine Hand, half ihm sich zu erheben.
„Wir sind stärker“, sagte der Größere schlicht. „Unsere Liebe ist stärker als der Hass und als die Vorurteile, die sich durch die Jahrhunderte erhalten haben.“

„Das ist nicht wahr“, kreischte Torrensoling, noch während ihre Gestalt durchsichtig wurde und dann zerfiel, auseinander staubte, und schließlich von einem Windstoß in winzige Flusen geteilt und so in alle Richtungen getragen wurde.

Heiko hielt Jeremias fest, als der Sturm aufkam. Er beschützte ihn wieder, erdete ihn auf dem Grund, wartete bis der Wirbel, der sie umgab, sich verzogen hatte, aufgelöste ins Nichts.

Und immer noch hielt er Jeremias fest, wiederholte: „Unsere Liebe ist stärker.“
Und Jeremias nickte in seine Umarmung. „Ja“, flüsterte er, richtete sich auf, sah um sich. Seine Blicke glitten über die Streifen Licht, die das saftige Gras zum Dampfen brachten, über die Wärme, die vom Erdboden aufstieg, der einst eine Ödnis gewesen war, hinaus in die Ferne, zum Horizont, an dem alle Farben des Regenbogens miteinander tanzten.
„Ja“, wiederholte er, und sah zu Heiko hinauf. „Lass uns nach Hause gehen.“

Er löste sich von dem Größeren, und genau in diesem Moment tauchte Heikos Pferd auf, wieherte froh, als es seinen Herrn erblickte, beugte dann seinen Kopf vor dem jungen König.

Sie bestiegen das Tier und durchquerten das Land in einem Rausch der Geschwindigkeit, erreichten ihr Ziel weitaus schneller, als sie es erwarten konnten.

Im Thronsaal drängten sich immer noch die Menschen, die ihres Königs harrten, die eine Antwort erwarteten, wo es keine Antwort geben konnte.
Und als Jeremias und Heiko Hand in Hand den Saal betraten und durch das Spalier der Menschen ihren Weg zum Thron antraten, da brandete der Applaus auf.

„Es lebe unser König“, riefen die Menschen. „Ein Hoch auf das neue Zeitalter.“
Und Jeremias blieb stehen, noch ehe er sein Ziel erreicht hatte, und sah Heiko tief in die Augen.
„Ich danke dir“, sagte er schlicht.
Und Heiko lächelte. „Nein“, antwortete er leise. „Ich danke dir. Für alles.“

Dienstag, 28. Juli 2009

Heroes - Spoiler

Spoiler-Warnung für Heroes Staffel 4, Volume 5 und die auf der Comic Con gezeigte Vorschau!

Laber-Warnung – endloses Gelaber zum Zwecke der Selbsttherapie!

* * *



Jetzt bin ich wirklich ernsthaft beunruhigt.
Dabei sollte ich doch im Grunde daran gewöhnt sein. Aber mittlerweile wächst sich das leichte Unwohlsein zu ernsthafter Besorgnis aus.
Wie immer dreht sich meine Sorge um wichtige Dinge, beziehungsweise Persönlichkeiten, beziehungsweise um eine ausgesprochen bedeutende Persönlichkeit, um Nathan Petrelli.

Ich gebe ja zu, dass ich zur Zeit der Sichtung der ersten Staffel noch nicht so recht von der Serie oder Nathan an sich überzeugt war. Auch Staffel 2 ließ sich gut ertragen, da inzwischen im gelobten Land, also in den USA, die 3.Staffel bereits begonnen und ich mich somit beruhigt in dem Wissen zurücklehnen konnte, dass Nathan Petrelli trotz tödlicher Schüsse eben nicht tot war.
Vage erinnere ich mich an Diskussionen zum Thema warum eigentlich, doch diese wurden sofort von Auseinandersetzungen zu den sich permanent überschlagenden Ereignissen in der Serie verdrängt.

In Heroes geschieht schließlich ständig etwas Verrücktes, Übernatürliches, weshalb eine weitere, unerklärte Auferstehung eigentlich keine Rolle spielen sollte.

Aus diesem Grund entlockte mir auch das Finale der 3.Staffel nicht mehr als ein müdes Lächeln. Sollten sie doch versuchen, Nathan umzubringen. Ich räumte ihnen keine wahren Erfolgschancen ein.
Obwohl mich nach und nach die Meinungen gleichgesinnter Fans einholten, die den guten Nathan für tatsächlich verstorben hielten, und sein Ableben ernsthaft betrauerten.
Doch ich selbst klammerte mich immer noch an die stille Hoffnung, dass die Transplantation von Nathans Seele in Sylars Körper und die nachfolgende Übernahme desselben ein deutlicher Hinweis auf die Weiterexistenz meines über alles geliebten Petrellis sei.
Mohinder Sureshs weise gemurmelte Worte und aufgeworfene Frage, ob es sich bei einem menschlichen Wesen um die Summe seiner Erinnerungen handele oder ob mehr vonnöten sei, gaben mir zusätzliche, wenn auch im Nachhinein betrachtet, wohl durchaus trügerische Hoffnung.

Aber damals, besser gesagt vor erst wenigen Monaten, war ich ernsthaft davon überzeugt, dass in der verrückten unsinnigen Welt der Heroes eine durchschnittene Kehle kein endgültiges Todesurteil bedeuteten. Vor allem wenn der Ermordete in der Voranzeige zur nächsten Staffel munter, wenn auch leicht verwirrt, durch sein Büro spaziert.
Oh, was war ich naiv.

Aber stirbt nicht die Hoffnung zuletzt? Klammert man sich nicht an jeden Funken, der aufflackert, auf welch dünnen, wackeligen Beinchen dieser auch stehen mag?
Zumindest – und ich war nicht die Einzige, die sich damit tröstete – konnte der passionierte Zuschauer sich auf weitere Szenen mit seinem Lieblingshelden freuen, selbst wenn dieser nicht ganz er selbst war.
Ganz im Gegenteil: Bot die Aussicht auf den angedeuteten, inneren Zwiespalt des Charakters oder der Charaktere eine Vielzahl erfreulicher Möglichkeiten, was sowohl die Spannungssteigerung der Handlung angeht, als auch die Vielfalt der Interpretationen, die dem talentierten Darsteller offenstanden. Den talentierten Darstellern, denn es sind ja nun ihrer zwei, die sich einen Körper teilen – und eine Seele – und was auch sonst noch.

Nun gut, mit dieser vergnüglichen Aussicht konnte ich durchaus leben. Vielleicht etwas weniger Nathan, aber dafür einer der interessanten Art.

Insofern stellte auch die Überbrückung der Sommerpause kein größeres Problem für mich dar, kein allzu Großes zumindest.
Doch dann geschah es – Die Comic Con.

Zugegeben, ich hatte mich wirklich darauf gefreut, soweit man sich als ferner Beobachter auf ein Ereignis wie dieses freuen konnte. Als relativer Neuling im Fandom-Gewerbe fragte ich mich zwar eine Weile vergeblich, worum es sich eigentlich handelt, wo Sinn und Zweck liegt, und warum ich mich dafür interessieren sollte. Aber diese Frage war schnell geklärt, nachdem offenbar wurde, dass Nathan, oder sein Darsteller – also ein und derselbe – dort auftauchen würde. Mein Herz schlug sofort höher und erhoffte sich Fotos, Videos, Berichte, Gerüchte und Spekulationen – einfach all die Dinge, die das Leben lebenswert machen, und für die wunderbare Zeitverschwendung im Internet sorgen.

Doch für Zweifel war es längst zu spät. Der Zug war abgefahren. Als Heroes-Besessene musste ich mich der Sache stellen.
Ich harrte also der Dinge, die da kommen sollten, quälte mich nicht mit der unnötigen Frage, was eigentlich ein Panel sei oder wozu man es brauche.
Nein – ich durchforstete, sobald möglich, die mir bekannten, einschlägigen Quellen nach Informationen, nach Futter für meinen Affen.

Und ja – Nathan war da. Peter war da – Sylar war da und sogar T-Bag, außer Konkurrenz.
Noch viel besser: eine Preview wurde gezeigt – mehr Futter für den Affen, Nahrung für die Seele, Quelle der Inspiration.

Nun – um ehrlich zu bleiben – eindeutig zu wenig Nathan. Mag sein, dass jedem Charakter ein fairer Anteil an Bildschirm-Zeit zugestanden wurde, und Nathan seinen Teil abbekam, doch dem Hardcore Fan war dies nicht genug.
Also mir – ich wollte mehr.
Ach – hätte ich mich doch mit dem zufrieden gegeben, was geboten war, denn der Schrecken näherte sich unaufhaltsam. Einen Tag später und mit einem Paukenschlag tauchte die zweite, verlängerte Vorschau auf.
Es wäre besser gewesen, gleich bei der Beschreibung meine neugierigen Finger von dem Unheil zu lassen. Aber so ist der Mensch – seit Adam und Eva.
Ich klickte also an.
Und sah.

Wie Nathan starb – schon wieder.
Verstehen konnte ich zwar nichts, und die Bildqualität war auch bescheiden, aber solche Kleinigkeiten konnten mich noch nie abhalten.
Denn was ich auf jeden Fall und nur allzu deutlich erkennen konnte, war Nathan, wie er erwürgt, entführt, in ein tiefes Grab geworfen und dann auch noch erschossen wurde. Mehrmals! Mehrmals – wirklich! Bevor der finstere Mörder – diesmal nicht Sylar, weil Sylar war ja auch Nathan, den guten Nathan gründlich verbuddelte.
Wie viel kann ein Fan ertragen? (Und ich glaube, ich habe mich das schon öfter gefragt.)

Gut – es sollte mich noch nicht schockieren – schließlich ist Nathan ja irgendwo Sylar und Sylar irgendwo sowas wie unsterblich.

Aber als wären dies der Schrecken nicht genug, so rumort es in der Erde und aus dem finsteren Grab erhebt sich eine Gestalt – nicht Nathan sondern Sylar!
Wieso?
Wieso nur?
Hat die wiederholte Ermordung Sylars romantische Seite geweckt und er Nathan aus seinem Körper geschubst?
Einfach so? Ohne Vorwarnung?

Ist Nathan diesmal nun wirklich – endgültig tot, weggeflogen, in anderen Gefilden gelandet?
Ich glaube meine Grenze ist hiermit erreicht.

Die Vorschau schließt mit dem Bild Sylars, der vor sich hin grummelt, dass er seinen Körper wieder haben will. An sich eine gute Zeile, aber nicht für mich.
Und vor allem anderen – er hat ihn doch schon – den Körper.
Es ist schließlich Sylar auf dem Bildschirm, der irgendein Baby hält – als ob mich das erschrecken könnte. Soll er doch mit Klein-Matt machen was er will. Schlimmer kann es schließlich nicht mehr werden. Er hat Nathan umgebracht, und ihn dann aus seinem Körper geschubst, und jetzt werden wir ihn nie wiedersehen.

Ich bemühe mich sehr, die Fassung zu bewahren, aber es gelingt mir kaum. Ich hasse den Kerl – Sylar. Soll er doch im Weltraum bleiben. Unverzeihlich, dass er es wirklich gewagt hat, Nathan zu töten. Und der nun tatsächlich – vielleicht – wenn ich Pech habe – auch noch tot bleibt.
Das bedeutet, fort ist, verschwunden, ex und hopp. Vielleicht noch einen schäbigen Gastauftritt hinlegen darf – in der Erinnerung irgendeines der anderen, dusseligen Charaktere.

Oh ja, es hat lange gedauert. Verleugnung der Realität dient doch stets als perfekter Selbstschutz – für eine Weile.
Umso schmerzhafter, wenn der ausgelieferte Fan der Wahrheit ins Auge sehen muss.
Ich kann es immer noch nicht. Nicht so richtig.
Ich klammere mich an die Vorstellung, dass Nathan vielleicht mit Hilfe magischer Beschwörungsformeln oder merkwürdiger wissenschaftlicher Experimente am Leben erhalten wird. Von mir aus benötigt dieses Phänomen auch keinerlei logischen Erklärung – ich bin weit darüber hinaus, alles logisch erklären zu wollen.

Nein – was zählt ist nur das eine – Nathan, und dass er zurückkommt. Meinetwegen auch als sein eigener Zwillingsbruder – im Labor gezüchteter Klon – was auch immer. Hauptsache, ich habe meinen Nathan wieder.

Doch wann hat mir das Fernsehen schon gegeben, was ich wollte.
Vielleicht sollte ich mich doch mehr mit dem wahren Leben beschäftigen, mag sein, dass dort die Chancen größer sind.
Aber nicht – solange noch der Funke einer Hoffnung besteht.

Immerhin war Nathan bei diesem Heroes-Panel. Er befand sich sogar ziemlich in der Mitte des Geschehens. Bedeutet das vielleicht, dass seine Rolle weiterleben darf? Kann der Nathan – Fan hoffen?

Oder befinden wir uns, wie jemand so klarsichtig bemerkte, in einer Variante von South Park, in der letztlich innerhalb jeder Folge, einer der belanglosen Nebendarsteller aufsteht, und ruft: „Verdammt, sie haben Nathan getötet!“ Worauf Peter kontert: „Diese Schweine!“?

Das Schöne an dieser Möglichkeit ist, dass Nathan dann ohne weitere Erklärung in der nächsten Folge wieder dabei ist.
Allerdings, und wenn ich mich recht entsinne, ging das für Kenny nicht lange gut. Irgendwann musste auch er in den sauren Apfel beißen.

Und ich hoffe, hoffe wirklich, dass es für Nathan noch nicht soweit ist.
Eigentlich komisch – ich mag den Charakter gar nicht. Er ist fies, verschlagen, bewegt sich innerhalb gleich mehrerer moralischer Grauzonen, stellt seine Karriere über alles und ist insgesamt kein netter Typ.
Aber vielleicht macht ihn das zu einem von uns.

Denn wenn es hart auf hart kommt, zeigt er immer wieder den so gründlich verborgenen guten Kern. Sei es, dass er Peter unter Einsatz seines Lebens und seiner Zukunft aus der Gefahrenzone fliegt, nur weil er weiß, dass es für seinen Bruder keine andere Wahl gibt. Oder dass er, bärtig und gebrochen seine Kinder vermisst.
Auch wenn man es der Frau nicht unbedingt verübeln kann, wenn sie sich und die Jungs aus seinem Umfeld entfernt.
Umgibt er sich doch allzu oft und gerne mit langbeinigen, blonden Schönheiten. Aber auch das ist doch nur menschlich. Ja, Nathan ist wie du und ich, ein Mensch mit Schwächen, mit Ecken und Kanten.

Gut, der Durchschnittszuschauer strebt weder die Präsidentschaft an, noch besitzt er ein respektables Vermögen oder schickt private Söldnertrupps durch die Gegend.
Was jedoch nicht bedeutet, dass der Durchschnittszuschauer nicht gerne so gutaussehend wäre, oder erfolgreich, oder charismatisch.
Allerdings nicht erschossen, begraben und aus dem Körper geschubst.

Es ist wahrlich eine Katastrophe.
Nathan ermordet. Die Fanwelt verstört.

Und keiner merkt es. Keiner außer mir. Bis jetzt noch nicht. Haben die wahren Nathan-Anhänger ihre Trauerarbeit bereits beendet? Oder befinden sich in einer weiterführenden Phase?
Denn ich höre keine entsetzten Aufschreie. Diese gab es nach Nathans merkwürdiger Persönlichkeitsverwandlung, und nach seiner Ermordung durch Sylar.

Wahrscheinlich liegt darin der Grund. Sogar Adrian Pasdar selbst hat zugegeben, dass Nathan wirklich tot ist. Nur wollte ich es nicht glauben. Und jetzt bin ich am Verhandeln.
Ich suche nach Auswegen, flehe den Erlöser an, mich zu erhören, biete meine unzerstörbare Treue zu der Serie, wenn nur Nathan erhalten bleibt.

Doch vergeblich. Es scheint, als nähere ich mich dem Punkt der Einsicht, als könnte ich mit der Depression anfangen. Und ich brauche ehrlich keine Extra-Depression.

Nun gut – vielleicht lebt Nathan ja in anderen Serien weiter. Vielleicht wendet sich der Schauspieler blühenden Ufern zu, die ihm mehr Sendezeit gewähren.
Aber es wäre nicht dasselbe. Es wäre nicht Nathan.

Und so wird dies zu einem Schwanengesang und meinem Abschiedslied an Nathan. Für den Moment, denn vielleicht – vielleicht kommt er ja doch wieder.
Vielleicht beschwört Matt Parkman ihn herauf, kickt Sylar mit elegantem Schwung aus seinem Körper, und schickt ihn zurück auf die Enterprise wo er hingehört.
Vielleicht – doch da bin ich schon wieder beim Verhandeln. Es dauert wohl noch ein wenig mit der Akzeptanz.
Ich sollte mich in Geduld fassen und nehmen, was ich von Nathan kriegen kann. Vielleicht in Erinnerungen schwelgen – Wiederholungen ansehen wie andere, wirkliche Menschen Fotoalben.
Einmal wird er ja noch kommen.
Die Vorschau beweist, dass wir wenigstens seine Sterbeszene ansehen dürfen, seine vierte inzwischen? Mindestens.

Den Abschied etwas hinauszögern, die Aufmerksamkeit auf andere Charaktere lenken. Weiß Gott, dass Heroes davon ausreichend anbietet.
Alles keine wahre Alternative zur stillen Hoffnung.

Besorgniserregend erscheint mir zu guter Letzt noch, die so auffallend zur Schau getragene Dankbarkeit des Darstellers gegenüber seinen Fans. Weiß er, dass seine Zeit abgelaufen ist? Dass die Verabschiedung droht und diesmal die Endgültige?
Endgültig genug, dass sogar Ungläubige wie ich einsehen müssen, dass Nathan wirklich zur Vergangenheit wird, zu einem staubigen Überrest vergangener Größe.
Es hilft wohl nichts.
Solange sie nicht seinen Klon aus dem Company-Keller ins Spiel bringen, könnte das Spiel für ihn aus sein. Damit werde ich leben müssen. Wenn auch ungern.
Um es mit Bernd dem Brot zu sagen: Mist!

Sonntag, 26. Juli 2009

Lagerhalle

Titel: Lagerhalle
Autor: callisto24


Ich wollte ihr den Geburtstagstisch schmücken. Das tue ich gerne, sehr gerne. Ich schmücke, dekoriere, verziere eine kalte, nackte Oberfläche mit filigranen Kleinigkeiten, die das Auge verwöhnen, wenn auch keinen durchschaubaren Sinn und Zweck erfüllen.
Doch stellte sich die Aufgabe der Dekoration dieses Mal als weitaus schwieriger dar, als ich sie in Erinnerung hatte.
Das lag nicht nur daran, dass ich mich im Traumzustand befand, sondern auch daran, dass mir in eben jenem Zustand die Mittel ausgingen.
Ich fand keine Papierherzen, keine glänzenden Schmucksteine, keine Luftschlangen, Karten oder Teelichter. Nichts davon.
Und gerade als ich begann zu verzweifeln, öffnete sich die Lagerhalle vor mir und ich tauchte ein in deren Kühle. Dort, in der Abgeschiedenheit eines Raumes, dessen Funktion lediglich darin bestand unnötige Gegenstände zu horten, sollte ich finden, wonach mir das Herz stand.
Geduldig schritt ich an den Regalreihen entlang, langsam und sorgfältig abschätzend wo sich finden ließe, was ich suchte. Doch je weiter ich mich in die Tiefe der Halle hinein bewegte, umso erfolgloser erschien mir mein Bemühen. Jeden Schritt begleiteten neue Enttäuschungen, jede Bewegung führte mich tiefer in drohende Dunkelheit.
Denn besaß ich zu Beginn noch einen guten Blick auf die Innereien des Gebäudes, so versickerte die Helligkeit, die mich begleitete, je weiter ich vorwärts drang.
Und ich fand immer noch nicht, was ich suchte. Meine Ansprüche sanken. Ich verlangte nicht mehr den überwältigenden Glanz des ersten Anblickes meiner Dekorationskunst. Ich verlangte nicht mehr, dass der erste Eindruck dem Betrachter zwangsläufig ein breites Lächeln entlocken sollte, wenn nicht gar das Strahlen, das dem Geburtstagskind angemessen wäre.
Ich verlangte nicht mehr, dass sich mir unvermutet eine Überraschung offenbarte, die mir mit ihrer Schönheit selbst den Atem raubte.
Ich wäre zufrieden mit einer Kerze, mit ein wenig Schmuck, der Chance darauf, dass es mir gelänge, den trostlosen Anblick eines leeren Tisches wenn auch nur um ein Weniges zu mildern.
Doch nicht einmal diese war mir vergönnte. Statt Kerzen, anstelle von wenigstens Teelichtern, die mit ihrem silbernen Rand doch ein wenig zur Zierde beitrügen, fand ich nur Staub.
Und je weiter ich lief, desto tiefer versickerte ich im Staub der Halle. Ich atmete ihn ein, er umgab mich, drohte mich zu verschlucken.
Doch ich konnte nicht aufgeben, niemals aufgeben. Der Gedanke an die Rettung der Schönheit hielt mich wach, hielt mich aufrecht, hielt mich in Bewegung.
Meine Ansprüche sanken tiefer, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.
Meine Ansprüche befanden sich im Keller eines Kellers.
Aber ich lief weiter, suchte weiter, ließ mich nicht entmutigen.
Die Herausforderung wollte angenommen werden, und ich war bereit, sie anzunehmen.
Ich begann zu husten, als die Welt sich in eintöniges Grau verwandelte, verschluckte mich und keuchte, während ich mich weiter vorwärts kämpfte.
Die Halle – sie nahm kein Ende. Je weiter ich ging, desto tiefer erstreckte sie sich in die Ferne. Ich konnte weder ein Ende erkennen, noch die Wände an ihren Seiten. Links und rechts von mir ragten Regale auf, in denen sich unförmige Nichtigkeiten befanden. Schäbige Blumentöpfe, staubige und zerbrochene Teller, Tassen und Schüsseln, Überbleibsel aus einer Zeit der Zerstörung, für die es keine Erklärung gab.
Niemand dürfte hier unten gewesen sein, niemand für eine sehr lange Zeit. Keine Notwendigkeit existierte dafür, sich soweit vorzuwagen, in ein Gebäude in dessen Inneren nichts aufzufinden war, was für irgendjemanden, irgendwann jemals von Bedeutung gewesen war. Ein Abstellraum, eine Rumpelkammer von überdimensionalen Ausmaßen, und für einen Augenblick wusste ich auch nicht, was ich dort verloren hatte, was der Sinn und Zweck meines Unterfangens war.
Den Gedanken daran, die Schönheit zu bewahren, hatte ich bereits aufgegeben. Er führte nicht weiter, enthielt weniger Substanz als die Farben eines Sonnenunterganges. Warum sich das menschliche Herz daran klammerte, blieb ein Rätsel. Warum in einer Welt wie dieser die Schönheit zu bewahren suchen? Oder noch weitaus unsinniger – sich bemühen, eben jene Schönheit erst zu erschaffen.
Dennoch konnte ich nicht davon lassen. Ich schluckte Staub, hustete Staub. Ich stolperte, griff in Watte und schrammte mir am Regal die Handinnenflächen auf.
Inzwischen sandte der Staub ein milchiges Licht aus, das die Trostlosigkeit der Umgebung nur verstärkte.
Ich gab auf, oder ich stand kurz davor, endgültig aufzugeben.
Als ich sie sah. Die einzige, langstielige Kerze, befestigt auf einem ausladenden Teller, dessen Griff dazu einlud, ihn mit sich zu nehmen und die Welt mit der Kerzenflamme zu erleuchten.
Ich streckte die Hand nach der Kerze aus, zögerte einen Augenblick. Sie war die einzige, wahrhaftig die einzige Kerze, und der einzige Gegenstand, der wenn auch nur entfernt, an Tischschmuck erinnerte.
Und als ich die Kerze berührte, meine Finger ihre Staubschicht durchdrangen, da fühlte ich den Sog, der unter mir entstand. Ein Sog, der mich tief in seinen Schlund zog, dem ich nicht entweichen konnte.
Ich wollte schreien, doch es gelang mir nicht. Ich wollte mich wehren, mich festklammern an der spärlichen Sicherheit, die sich mir bot.
Doch ich war in einer Lagehalle. Hier existierte keine Sicherheit. Keine Griffe, an denen ich mich halten konnte, kein Anker, der mich in der Wirklichkeit hielt. Die Welt bestand nur noch aus Staub, und wohin ich in meiner Verzweiflung auch griff – alles zerfiel, rieselte unter meinen Händen hinab und wurde in die Tiefe gesaugt. Ebenso wie ich. Ich taumelte, wirbelte, rutschte. Und trotz allem hielt ich die Kerze. Ich verlor sie nicht. Meine Finger weigerten sich loszulassen, sich auch nur zu lockern.
Und so fiel ich umgeben von Asche und dem Staub, der diese Asche umgab in die Tiefe, wo mir endlich – endlich die Kerze entglitt.
Und in diesem Augenblick stoppte mein Fall. In diesem Augenblick kam ich hart auf dem Boden auf. Doch zuvor noch vernahmen meine schmerzenden Ohren das Klirren des stürzenden Kerzenständers.
Und erst als ich meine Augen zögernd wieder öffnete, erblickte ich die Veränderung um mich. Der Sturm, der mich umgab, hatte sich gelegt. Der Sturm, der mich umweht hatte, bestand nur noch aus einem lauen Lüftchen.
Und die Dunkelheit wich einem milchigem Licht. Direkt vor mir, schlicht und einfach, stand der Kerzenständer.
Doch sah er nicht mehr aus wie zuvor. Als wäre er durch einen metallenen Regen getaucht, so schimmerte er nun in silbernem Glanz, versprühte perlmutternen Zauber.
Und auf dem Teller lagen silberne Kugeln. Keine vollständigen Kugeln. Nein, zerbrochene, zarte Gebilde, Hälften oder Splitter aus Christbaumschmuck, gedacht für eine Zeit des Winters und des Friedens, katapultiert trotz allem in einen Kerker unter einer Lagerhalle, zu einer Zeit, die weder an Winter noch an Weihnachten erinnerten.
Und diese glimmernden Christbaumkugeln zerflossen auf dem Teller, erstarrten während des Prozesses des Schmelzens, bis nur noch Teile ihrer vergänglichen Zierlichkeit fragil, zart und gleichzeitig beschädigt, zerstört hervortraten.
Über dem einzigartigen Gebilde gefrorener Bewegung flackerte die auf magische Weise entzündete Kerzenflamme, verlieh dem schrägen Ambiente den merkwürdigen Anschein von Gemütlichkeit, der in Widerspruch zu dem kühlen Glanz des Silbers stand.
Ich wagte mich näher. Fein und zart wirkte die Gestaltung, perfekt in all ihrer Fehlerhaftigkeit. Eine der Kugeln war bereits keine Kugel mehr, sie sah aus wie eine Birne, lief nach oben hin schmal zu, und kam mir in dem Augenblick, in dem ich sie bemerkte wie ein zweifelsfrei einzuordnender Hinweis aus der Richtung göttlicher Gefilde vor.
Birnen waren die Lieblingsfrüchte meiner Mutter. Mit einem Kerzenständer, der sie an diese Liebste all ihrer Früchte erinnerte, konnte ein Geburtstagstisch nur ein Erfolg werden, eine Überraschung, eine Erfüllung all ihrer Geburtstagsträume.
Ein helles Klingen ertönte, und erst als ich es in meiner Kehle vibrieren fühlte, wurde mir klar, dass es sich um mein eigenes Lachen handelte.
Ich hatte den Schmuck gefunden, den ich gesucht hatte. Und ich griff zu, während mich noch in diesem Augenblick der Wirbel erneut erfasste, in die Höhe warf, durch das Lagerhaus schleuderte, in die Lüfte trieb, wie eine Schneeflocke hinauf und wieder hinunter lenkte, bis ich immer noch mit der Kerze, mit dem Kerzenständer in festem Griff, direkt vor dem Tisch landete. Dieser war bereits mit weißer Seide bedeckt und fing die Kerze sanft aus ihrem Fall.
Wie durch ein Wunder hatte sie nicht damit innegehalten zu brennen, brannte weiter, ohne die Höhe des Wachses zu vermindern.
Sie war wunderschön. Aus der Luft fing ich ein goldenes Band und wand es um den Teller, den Ständer, um die weiße Kerze und führte es über den glänzend bekleideten Tisch.
Die Dekoration blieb einzigartig.

Mittwoch, 22. Juli 2009

Dschungel

Titel: Dschungel
Autor: callisto24


Die Welt ist ein Dschungel. Ella betete diesen Satz vor sich hin. Jeder Schritt bot eine mögliche Gefahr, jede Bewegung zog unauslöschliche Konsequenzen nach sich.
Unabhängig davon, ob sie sich inmitten des Regenwaldes, umgeben von giftigen Pflanzen und Getier, oder im heißen Wüstensand befand, auf der verzweifelten Suche nach Wasser oder Nahrung – jeder Schritt konnte ihr Ende bedeuten. Oder Schlimmeres.

Der vielzitierte Schmetterling der Chaostheorie bezeichnete nur eine der Möglichkeiten, die Erklärung bot für Zusammenhänge, die weitaus komplexer waren, als der menschliche Verstand es zu begreifen vermochte.

Die Sache um die es ihr ging war weitaus persönlicher, zog vielleicht nur kleine, äußerst private Kreise, und dehnte sich doch über Länder und Kontinente hinweg aus, suchte neue Wege der Verbindung, knüpfte Bänder, die von zukünftiger Bedeutung sein konnten.
Und doch fürchtete sie gerade diese Bänder, fürchtete die Möglichkeit, dass eines von ihnen sie aus dem Dschungel, den sie ihr Leben nannte, weiterführte in denjenigen, welcher der Bedeutung des Wortes entsprach. In den Dschungel, der ihr gänzlich fremd war, eine unbekannte und furchteinflößende Welt, erfüllt von Wesen, die Gefahr darstellten, die einem Menschen wie ihr, der nie gelernt hatte auf sich selbst zu achten, unendlichen Schrecken einflößten.

Sie hatte ihn gesehen, in Filmen und auf Bildern. Sie hatte darüber gelesen, und wusste sehr gut, dass die Ängste mit denen sie in ihrer beschützten Welt zu kämpfen hatte, nichts darstellten im Vergleich zu den Gefahren, die in der Wildnis, die dort allen Widerständen zum Trotze noch existierte, lauerten.

Die Nähe zum Äquator alleine, die unerträglichen Temperaturen, die schlummernden Krankheiten erhöhten ihre Besorgnis nicht mehr, als die dort stattfindenden Kriege es konnten. Doch dies lag in erster Linie daran, dass ihre Besorgnis sich unmöglich noch steigern ließ.

Vor allem jetzt, wo sie Klarheit gewonnen hatte, vor allem jetzt, wo sie wusste, wer er war, woher er kam, und nur ahnen konnte, wohin er wollte.
Ella hatte darauf bestanden. Sie musste sicher sein, ob das Kind von ihm war. Sie brauchte den Beweis schwarz auf weiß, in ihren Händen.
Und so machte sie den Test, schickte die Proben ein, wartete das Ergebnis ab.
Und nun kannte sie die Wurzeln ihres Kindes. Doch inwieweit diese Wurzeln das Leben, die Zukunft, das Schicksal dieses Kindes bestimmen sollten, wusste sie nicht.
Lediglich, dass sich mit dem Ergebnis Möglichkeiten eröffnet hatten, an die sie nicht zu denken wagte.
Denn auch in diesem Leben, in der Welt, in der sie und ihr Kind ausharrten, mussten sie kämpfen. Vielleicht nicht mit der Machete, vielleicht nicht mit Messern und Waffen, jedoch mit allen Kräften, die ihr zur Verfügung standen.
Und sie kämpften, ihr Sohn kämpfte. Er kämpfte in der Schule, in der Freizeit, innerhalb der Grenzen, die ihn ausmachten und darüber hinaus.

Unvorstellbar einen weiteren Dschungel dazu zu addieren. Den Dschungel des fernen Kontinents, in dem seine Vorfahren darauf warteten, ihn andere Wege lehren zu dürfen, als die längst eingeschlagenen. Obwohl diese eingeschlagenen Wege zwangsläufig in die Irre führen mussten, obwohl Ella sich sicher war, dass auch ihre eigene Welt mit ihren Zielen, den Mechanismen dieses Systems nicht weiter existieren konnte, so wusste sie doch zugleich, dass ihr Sohn nicht bereit war, einen fremden, einen abweichenden Pfad auch nur in Erwägung zu ziehen.

Auch wenn sie selbst auf eine seltsame und unwirkliche Art die Weisheit aus der Ferne lockte, so blieb doch das Risiko zu groß, zu unüberschaubar, als dass sie sich selbst oder ihr Kind wissentlich diesem aussetzen würde.

Und dann gab es da noch den anderen Dschungel, den im Nachbarland, und die verschlungenen, verbotenen Schritte, die in dieses oder aus demselben heraus führten.
Ein Dschungel aus Papier und Bürokratie, nicht minder gefährlich als jeder andere.
Ein Dschungel, dessen Gefahren sich weniger offensichtlich, doch umso weitreichender auswirkten, gerade weil sie sich von ihrer Warte aus nicht im Geringsten abschätzen ließen.
Papiere wurden zum Problem, wenn man sie nicht besaß. Und er besaß sie nicht. Er lebte illegal im Nachbarland. Nachdem er vor den Gefahren, der Armut, dem Dschungel am Äquator geflohen war, versteckte er sich dort, kämpfte seinen eigenen Kampf im Verborgenen.
Sich in das Chaos der Behörden zu begeben glich einer Expedition in unbekannte Gefilde, umso mehr, als die drohenden Folgen der Ausweisung oder schwererer Strafen nicht abzusehen waren.

Blieb für sie das Wagnis, sich auf den bloßen Verdacht hin, dass es ihr hülfe, oder ihrem Kind, oder sogar ihm – dem Vater - auf die Reise zu begeben. Und sie hatte dies wahrhaftig nicht vor. Sich oder ihr Kind einem Risiko auszusetzen widersprach allem wonach sie lebte.

In dem Dschungel ihrer eigenen, vertrauten Welt fand sie sich auch nach Jahrzehnten nicht zurecht. Wie sollte sie es dann in einem anderen schaffen? In einem Dschungel, der Gefahren barg, die sich auszumalen, sie nicht wagte.

Ella sah auf. Ihr Blick richtete sich auf den Horizont.
Doch vielleicht lag darin, und genau darin auch ihr Problem. Sie wusste es nicht. Sie kannte die Gefahren nicht, konnte sie sich nicht vorstellen, nicht einmal schemenhaft umreißen.
Gefahren, die vielleicht nur in ihren eigenen Gedanken existierten, die nicht wirklich waren, nicht so aussahen, wie ihr Verstand es ihr weismachen wollte.

Denn lebten nicht andere Menschen in diesen Dschungeln? Menschen, die sich dort auskannten, denen es gutging, denen es gelang sich durchzukämpfen, denen es gelang unter Bedingungen zu leben, an die sie und ihr verwöhnter Verstand nicht denken wollten.

Natürlich könnte sie es. Natürlich könnten sie es.
Auch sie wäre in der Lage dazu, inmitten einer Kriegszone zu leben. Ihre Großeltern hatten dieses überstanden, ihre Eltern die Nachwehen von Zerstörung und unvorstellbarer Grausamkeit überlebt. Der gefährlichste Dschungel war immer noch der vom Menschen geschaffene.
Sie könnte es, inmitten der Gefahr existieren, kämpfen, so wie sie in der Luxus-Gesellschaft um ihr Überleben kämpfte.
Hier wie dort gab es Strudel, denen man nicht mehr entrinnen konnte, die einen unweigerlich in die Tiefe zogen.
Hier wie dort wusste niemand von ihnen vorherzusagen, wie viel Zeit auf dieser Welt einem Menschen beschieden war, geschweige denn, wie diese Zeit aussähe.

Und wenn sie zwischen Waffen und Seuchen leben konnte, dann auch in einem Land, in dem Sprache, Sitten und Gebräuche von den ihren abwichen, in denen alles fremdartig erschien, wenn auch weniger fremdartig, als die Äquatornähe anmutete.

Ella richtete sich auf. Dies musste der erste Schritt sein. Zu wissen, dass sie dazu in der Lage war, dass sie ihren Weg auch durch Gewirr, über Hindernisse und Barrieren hinweg machen werde, öffnete ihr die Welt.
Sie konnte es, sich frei entscheiden. Sie konnte sich durch jeden Dschungel kämpfen. Für ihren Sohn und für sich. Ob alleine oder in Gemeinschaft, sie würde kämpfen, solange bis ihr Lebenszweck erfüllt war, bis sie erkannte, aus welchem Grunde diese Welt ihr so schwer fiel, aus welchem Grunde der Weg für sie so lang, zu unübersichtlich, so erschreckend aussah, wo er sich doch verlockend, einladend und voller Hoffnung vor ihr ausbreiten sollte.

Vielleicht lag der Grund darin, dass sie dann diesen Weg nicht gegangen wäre, dass ihr Leben gerade in diesem Augenblick eine andere Hürde nähme und die Bedeutung ihrer selbst eine unwirkliche und ihrer Seele nicht entsprechende Schleife wände.

Vielleicht lag der Grund auch nur einfach daran, dass Ella Ella war, eine Frau, die sich ihren Weg bahnte durch unerforschte Gebiete, die zu wenig Bindung an ihre Gesellschaft, ihre Familie, ihre Zeit oder an die Menschen verspürte, als dass sie dem geraden, dem einfachen, dem vorgeschriebenen Pfad folgte.

Ella erhob sich. Der Dschungel jagte ihr keine Angst mehr ein. Sie würde es nicht zulassen, nicht erlauben, dass ein Wort, eine Vorstellung sie und ihren Sohn von der Wirklichkeit und von dem, was das Leben ausmachte, trennte.

Dienstag, 21. Juli 2009

Twittering

Und nun zu etwas bei weitem Haarsträubenderen -
dem Twittern

Selbstredend bin ich auch in Twitter, das versteht sich ja wohl von selbst. Allerdings bin ich kein Maßstab, weil ich mich in jeden Quark einlogge, den mir irgendjemand irgendwie, irgendwo, irgendwann vor die Nase hält.

Das Prinzip oder besser gesagt, der Sinn des Ganzen hat sich mir allerdings bislang noch nicht erschlossen.
Ganz ehrlich – was soll das sein? Mit 140 Zeichen kann ich gerade mal erfahren, was eine fremde Person zum Mittagessen hatte, geschweige denn selbst der Welt mehr oder weniger Tiefsinnigeres mittteilen.

Nicht dass ich sonst philosophisches Gedankengut verbreite, aber in einen Satz dieser Länge passt kaum ein Zitat, oder irgendetwas nur halbwegs Interessantes.

Weiß der gewöhnliche Twitterer an sich nun nichts Spannendes zu vermelden, so bleiben ihm noch zwei Gründe, warum er nicht umgehend den unsinnigen Account auflösen sollte.

Punkt Eins: Es handelt sich um eine hervorragende Möglichkeit Prominente jeder Art zu stalken. Da stellt sich nur die Frage, warum um alles in der Welt, Prominente sich die Zeit nehmen, der Welt in 140 Zeichen mitzuteilen, dass sie auf dem Weg ins Fitnessstudio sind.

Ganz im Ernst. Natürlich besitzen sie vielleicht Freunde, die das brennend interessiert, die aus mysteriösen Gründen weder des Telefonierens noch des Briefe Schreibens mächtig sind, sondern sich lieber durch die Kurzbotschaften der Leute, die sie heimlich und im Stillen online verfolgen, wühlen, bis sie die Erkenntnis vom Fitnessstudio erhalten.

Spaßig wäre es natürlich, wenn der Prominente stattdessen kleine Fiesheiten losließe, oder seine unverblümte Meinung äußerte zur hirnverbrannten Serie/Film/Musikstück oder an welchem Kunstwerk auch immer er gerade werkelt.
Aber so dämlich ist natürlich keiner, zumal Verhalten wie dieses vertraglich untersagt sein dürfte.

Warum tut der Prominente also so etwas - twittern?

Ich habe ernsthaft keine Ahnung.
Hat er zu viel Zeit, zu wenig zu tun? Füllt ihn seine kreative Tätigkeit nicht genug aus? Oder sind die Gerüchte wahr, dass es sich bei der Schauspielerei nur in Ausnahmefällen um künstlerische Leistungen handelt, sondern eher um das Auswendiglernen und Interpretieren anderer Menschen Gedankengutes, gepaart mit unstillbarem Geltungsdrang?

Natürlich lassen sich auch für die Prominenz hin und wieder Gründe aufdecken, die zugunsten des Twitterns sprechen. Zum Beispiel und in erster Linie wäre da die Werbung.
Wo wir unter anderem auch gleich bei Punkt zwei wären. Schließlich muss man nicht prominent sein, um Werbung machen zu wollen. Allerdings ist es viel schöner über Celebrities zu lästern, die sich nicht wehren können.
Betätigt sich also besagter Prominente noch auf anderen, vielleicht sogar unbekannten Schaffensgebieten, so bietet Twitter die Möglichkeit dezent darauf hinzuweisen.

Nehmen wir Greg Grunberg, Darsteller aus Heroes oder Alias. Ein toller Kerl, sehr engagiert, und bekannt als passionierter Twitterer. Er promotet nicht nur seine Charity-Band „The Band From TV“, sondern auch „Talk about it“, seine Organisation zum Thema Epilepsie. Dafür reichen auch 140 Zeichen. Es lässt sich der Link zur Werbeseite angeben und zusätzlich noch erwähnen, dass einer seiner Co-Stars sich dort für die gute Sache einsetzt.
Zusätzlich wirbt er wie verrückt für etwas, das sich Yowza nennt, und das mir ebenso unklar geblieben ist, wie der Sinn des Twitterns. Aber Yowza hat irgendetwas mit Handys zu tun, und ich vermute fast, dass er beabsichtigt, es zu verkaufen.

Vielleicht liegt auch genau dort der Hase im Pfeffer. Twittern ist etwas für Handybenutzer. Saß man früher noch gemütlich in der S-Bahn, oder eingequetscht inmitten einer Meute Leidensgenossen, die zur Schule/Uni/Arbeit/Wasauchimmer unterwegs waren, und bemühte sich ein gutes Bauch zwischen sich und dem Vordermann so unterzubringen, dass man ein klein wenig lesen konnte, so wird heute das Handy gezückt. Klein, niedlich und es gibt Geräusche von sich.
Und hat man niemanden, dem man erzählen will, dass die S-Bahn gerade sehr voll ist, dann twittert man die Botschaft eben an die Welt. Vielleicht antwortet ja ein Mitleidender.

Es ist also kein Wunder, dass ich das Twittern nicht begreife, schließlich handelt es sich bei mir um das letzte Exemplar einer aussterbenden Rasse, dem pathologischen Handy-Verweigerer. Nein – es hat nichts mit Strahlung zu tun, oder mit dem Verbauen der Landschaft durch merkwürdige Sendetürme. Auch nicht mit einer Verweigerungshaltung bezüglich der in unserer Gesellschaft zunehmend auftauchenden, wenngleich nach wie vor unsinnigen Überzeugung, dass der Mensch unbedingt überall und ständig erreichbar sein muss.

Eher handelt es sich um eine simple Geldfrage, kombiniert mit dem traurigen Bewusstsein, dass der Handy-Boom ausreichend Gründe liefert für gewisse Zustände, die zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo herrschen.
Ein reiches Land, ein Land voller Bodenschätze. Traumhaftes Klima, fruchtbare Erde, ein wahres Paradies. Und genau aus diesem Grund bemüht sich unsere westliche Welt – die mit den Handys, den Computern und der Twitterei – möglichst viel Reichtum aus diesem Land herauszuschaffen, ohne der Bevölkerung allzu viel davon abgeben zu müssen.

Das funktioniert wie? Genau – nachdem Kolonialismus und Imperialismus dummerweise nicht mehr so recht zur Diskussion stehen – arbeiten wir subtiler. Mit Bürgerkrieg, Gewalttätigkeiten, Korruption, Bestechung und der stets beliebten Ausbeutung der Bevölkerung.
Nur so lässt sich erklären, dass Kinder (und für mich sind auch junge Männer, die eigentlich in die Schule gehörten noch Kinder) in den Coltan-Minen schuften, ihre mühselig erarbeitete Ausbeute an bewaffneten Rebellentruppen vorbeischmuggeln, um schließlich einen Hungerlohn von irgendeinem dubiosen Zwischenhändler zu kassieren, der dann mit etwas mehr Gewinn an eine Firma verkauft, die auf dasselbe Coltan angewiesen ist, um ihre Billig-Handys produzieren zu können.

Diejenigen, die einem dann nachgeworfen werden.
Habe ich erwähnt, dass Coltan unbedingt notwendig ist zum Bau eines Handys, und dass dieses Metall hauptsächlich und praktisch nur im Kongo existiert?

Zu komisch, dass der Kongolese nichts davon hat, außer Krieg, Gewalt und Zerstörung.
Und wie soll ich meinem kongolesischen Bekannten, der unter Lebensgefahr vor den Zuständen in seiner Heimat geflohen ist, und sich nun in Europa mehr schlecht als recht über Wasser hält, nur weil es dort trotz allem besser ist, als in dem Land seiner Väter, - wie soll ich ihm klarmachen, dass es sich bei dem Handy, das er mir stolz präsentiert, um eine der Wurzeln des Übels handelt?

Aber ich schweife ab. Hauptsächlich weil diese Handy-Problematik niemanden interessiert, außer mir, und kehre zurück zu den wichtigen Dingen des Lebens, zum Twittern.

Ein weiterer Grund für den gewöhnlichen Twitter-User, sich dieser Sache überhaupt auszusetzen, ist der Hauch des Anscheins, man wäre nun in der Lage mit den wirklich wichtigen Menschen auf dieser Erde zu kommunizieren.
Was man natürlich nicht kann, aber es eröffnet sich zumindest die Möglichkeit Obama zu folgen.

Oder jedem Star nach dem eigenen Herzen, der so nett ist, sich an diesem geheimnisvollen Ort zu offenbaren.
Manche stellen sogar großzügig Fotos hinein, Ashton Kutcher von seiner Frau Demi-Moore, Heroes-Crew-Mitglieder vom Heroes-Cast?
Manche tun so, als interessierte sie die Fanmeinung zu Themen wie: Wen küsste Peter Petrelli in der ersten Staffel?
Und da ich gerade bei Peter Petrelli bin: Milo Ventimiglia ist interessanterweise nicht so dämlich, einen Twitter-Account zu unterhalten. Nein, er beauftragt seine Freunde damit, und taucht hin und wieder werbewirksam auf. Schließlich gilt es Comics und T-Shirts zu verkaufen.

Die Motive anderer lassen sich schwerer durchschauen. Jedoch erfuhr auch ich einen tiefschürfenden, lebensverändernden Moment der Prominenten-Nähe, als ich Lou Diamond Phillips beim Tweeten entdeckte. Und nicht nur das. Er verwies auf seine Frau, welche nebenbei ausplauderte, dass sie Deutsche ist. Worauf ich sie natürlich sofort schamlos anquatschte. Und die Gute antwortete mir!!! Ja, jetzt bin ich auch prominent. Irgendwie.
Nach besagter Antwort der Ehefrau eines ruhmbedeckten Darstellers und beflügelt von diesem überwältigenden Erfolg, ließ ich jegliche Zurückhaltung sausen. Ich begann mein finsteres Werk, indem ich dem bemitleidenswerten Greg Grunberg öffentlich vorschlug Amber Benson (welche mir eine PM schickte, als ich ihr folgte – und wenn ich mir das so recht überlege, gehöre ich schon seit dieser denkwürdigen Stunde zur Prominenz) – alias Tara aus Buffy – für seine Band zu engagieren, weil sie so hübsch singt, und ein wenig PR sicher brauchen kann.
Wo ich schon dabei war, schreckte ich auch nicht davor zurück, Lou Diamond Phillips zu erklären, dass er ebenfalls in der Band auftreten solle – da ich einmal sehen wollte, wie Adrian Pasdar und er sich zusammen auf der Bühne machen – und er ziemlich gut singen kann – nebenbei gesagt.
Ich teilte Eric Roberts mit, dass ich sein Fan sei, sicher wollte er das schon immer wissen, und antwortete dem armen Grunberg in Bezug auf seine Titel-Suche mit der Ballade von Mackie Messer.
Der Rest des Abends verflog in einem Anfall von Größenwahn.

Aber zumindest hat sich mir nun ein Grund offenbart, warum ich weiter twittern sollte: Prominente ärgern. Was gibt es Schöneres? Wie wir aus ihren Mittagessen/Fitnessstudio-Beiträgen wissen, handelt es sich schließlich auch nur um Menschen wie du und ich.

Schlimmer noch – sie brauchen Verrückte, die sie auf Schritt und Tritt verfolgen, und ihnen seltsame, unverständliche Botschaften in fremden Zungen schicken, wie ihr täglich Brot.

Ergo tue ich ja nur ein gutes Werk.

Als nachteilig stellt sich dusseligerweise heraus, dass die Twitterei und das Durchsuchen unzähliger belangloser Twitter-Botschaften zu viel Zeit kostet.

Wer schafft das schon? Vielleicht Schauspieler, die ihren Text gelernt haben und nun stundenlang auf ihren Einsatz warten müssen, die nicht zum Auftritt kommen, weil der Regisseur, der keine Zeit zum Twittern hat, die vorige Szene wieder und wieder wiederholt, bis Cast und Crew am Rande des Nervenzusammenbruchs stehen. Und diese armen Schauspieler fangen nun verzweifelt an, nur um sich irgendwie zu beschäftigen, auf ihren Bürgerkriege-verursachenden Handys herum zu tippen.
Wer bin ich, sie zu verurteilen?

Eine weitere Merkwürdigkeit fiel mir allerdings auch auf. Und zwar die komischen Leute, die mir auf einmal aus heiterem Himmel folgen. Klicke ich sie an, entpuppen sie sich, als die Art von Reklametafeln, auf die man ohne Reue verzichten kann. Nichts gegen Porn – aber ich bin altmodisch und ziehe eine gute Fanfiction allemal vor.

Twitter – eine Werbeplattform. Aber trotzdem, wenn ich über zehn Ecken herum mit Milo Ventimiglia sprechen will, dann nehme ich die Gelegenheit doch wahr, oder nicht?