Sonntag, 31. Januar 2010

Herbst

Titel: Berge
Autor: callisto24
* * *

Herbst
Jeder Augenblick zählt


Herr Friedhelm Feddersen war genau die Sorte Arbeitskollege, die jeder Büroangestellte gerne zu seinen Mitarbeitern zählt. Er war freundlich, ausgeglichen und verlässlich, aber gleichzeitig auf eine angenehme Art und Weise zurückhaltend, so dass niemand in seiner Umgebung sich von seiner Anwesenheit gestört oder auch nur beeinflusst fühlen konnte.
Aber besonders auffallend war seine außerordentliche Pünktlichkeit. Er pflegte gerne zu erwähnen, dass Pünktlichkeit die Tugend der Könige sei und daher auch heutzutage nicht zu vernachlässigen.
Sein Leben verlief gleichmäßig und ereignislos wie ein perfekt funktionierendes Uhrwerk. Und bis zu diesem milden Herbstabend, Anfang November, war ihm noch niemals wirklich aufgefallen, dass darin etwas fehlte.

Vielleicht lag es an den letzten Sonnenstrahlen, die herabfallende, rote und gelbe Blätter leuchten ließen, vielleicht auch nur an dem finalen Aufblitzen des späten Herbstes, der zum letzten Mal gegen die drohende Kälte des Winters antrat. Vielleicht waren es auch nur die feierabendlich gestimmten Menschen, die ihm auf dem Weg aus dem grauen Bürogebäude zu seiner Bushaltestelle begegneten, die ihm die Einsamkeit in seinem Leben bewusst machten und ihn, ganz gegen seine Natur, dazu brachten, von seiner täglichen Routine abzuweichen. Nur hätte er es sich niemals träumen lassen, dass dieser eine Abend, an dem er seinen gewohnten Tagesablauf verließ, Kreise ziehen sollte, die sein geordnetes Leben in den Grundfesten erschütterten.

Es war eigentlich ein Tag wie jeder andere, ein Donnerstag. Das Wochenende rückte näher; für Friedhelm Feddersen bedeutete dies lediglich Zeit zum gründlich Staubwischen und Anzüge bügeln.
Bei diesem Gedanken klopfte er sorgfältig ein Staubkörnchen von seinem Jackenaufschlag. Ein korrektes Erscheinungsbild hielt er nach dem Verlassen des Arbeitsplatzes für ebenso wichtig wie bei der Ankunft. Doch an diesem Abend war Alles ein wenig anders. Sicher, er hatte die üblichen belanglosen Worte mit Kollegen, Pförtner und Busfahrer gewechselt, aber zum ersten Mal machte er sich Gedanken darüber, was für ein Leben all diese Menschen führten, die er zwar jeden Tag sah, aber im Grunde niemals richtig wahrnahm. Sie alle kehrten nach getaner Arbeit heim zu den Menschen, die sie liebten und von denen sie geliebt wurden.
Nicht, dass er es jemals bereute, allein zu sein. Es war ihm nur niemals so richtig bewusst geworden, dass im Grunde fast jeder wenigstens einen Menschen besaß, mit dem er etwas teilen konnte, und wenn es nur ein wenig Zeit war.
Gedankenverloren schüttelte Feddersen den Kopf. Einfach lächerlich, sich jetzt, mit beinahe 50 Jahren, solch absurde Gedanken zu machen. Sein Leben war perfekt eingerichtet, und jede Veränderung verursachte doch nur Probleme.
Aber nichtsdestotrotz konnte Feddersen nicht anders, er musste sich dieses Gefühl eingestehen, ein Gefühl, dass sich unweigerlich etwas Entscheidendes ändern werde. Nur ob sich daraus etwas Gutes entwickelte, das wusste er nicht.
Und so stieg er zum ersten Mal nicht in den Bus, Abfahrt 17 Uhr 33, um seinen gewohnten Platz einzunehmen, sondern er lief zu Fuß neben der Straße einher, auf dem Weg, den er sonst täglich aus den Augenwinkeln beobachtete, während sein Gesicht sorgsam hinter der Tageszeitung verborgen blieb. Er lief ruhig und gleichmäßig. Dabei formulierte er im Kopf bereits die Worte, die er sagen wollte. Der Herbstwind brachte seine Frisur durcheinander, aber zum ersten Mal versuchte er nicht, die grauen Strähnen wieder zu bändigen, sondern er fühlte, wie die Kraft der Windstöße eine längst verschüttet geglaubte Wildheit wieder aufleben ließ. Ein Tatendrang, der ihn das letzte Mal in seiner Kindheit erfasst haben musste, lange bevor Schule und Beruf sein Leben in eine Form gepresst hatten, die ihm bisher als die einzig akzeptable erschienen war.
Kurz vor seinem Ziel hielt er inne. Einen Moment zweifelte er noch an seinem Vorhaben, aber da erblickte er sie bereits.
Von seinem Platz im Bus aus sah er sie jeden Tag, am Morgen, beim Öffnen des Kiosks, und am Abend, wenn sie begann, die ausgelegten Zeitungen zu sortieren und wieder einzuordnen. Und er konnte schwören, dass sie ihn auch jeden Tag anblickte, manchmal mit einem kleinen Kopfnicken, manchmal sogar mit dem Anflug eines Lächelns, bevor sie wieder verschämt zur Seite blickte. Aber diesmal spräche er mit ihr, sogar wenn es nur war, um ein Magazin zu kaufen.
Ihre Haare, in denen wie in seinen die grauen Strähnen dominierten, flatterten lose um ihr helles Gesicht. Die große Brille drohte ständig ihr von der Nase zu rutschen, wurde aber zum Glück von seitlichen Bändern festgehalten, die das Schlimmste verhinderten. Als sie ihn sah, leuchteten ihre Augen wiedererkennend auf, und sie öffnete die Lippen zu einem Begrüßungswort.

Banner

Titel: Banner
Autor: callisto24
* * *


Da stand ich nun vor der leeren Leinwand und bemühte mich vergeblich um Inspiration. Der Augenblick war günstig. Gerade hatte ich die kleine Chantal in ihr Bett gelegt, in dem sie, gottlob, noch die meiste Zeit ihres gerade mal vierwöchigen Lebens verbrachte. Ich hätte nie gedacht, dass so ein kleines Wesen so viele Nerven kosten könnte. Und angeblich war das erst der Anfang. Dabei reichte es mir wirklich schon. Keine Nacht durchschlafen und wahrscheinlich auch keine Chance mehr, die überschlanke Figur, mit der ich als junges Mädel um jeden Preis Model werden wollte, jemals wiederzuerlangen. Schauspielerin wäre ich auch nur allzu gerne geworden. Dafür hatte ich mir sogar einen Künstlernamen zugelegt: „Claire Valaire“. Damals konnte es mir gar nicht französisch genug zugehen. Und es hörte sich doch auch bei weitem bedeutender an als „Julia Oberstein“.
Wahrscheinlich war es auch die französische Herkunft, die mich an Jacques so fasziniert hatte und mich dazu gebracht hatte diese Katastrophenehe einzugehen. Aber zwei Schauspieler ohne ernstzunehmende Ausbildung, die vergeblich auf den großen Durchbruch warteten, das konnte nicht gutgehen. Da war ich mit Philip schon besser dran. Ihn kannte ich eigentlich schon aus dem Kindergarten, und die ganzen Witze unserer Eltern, dass wir noch eines Tages als Brautpaar enden würden, hatten sich schließlich doch bestätigt. Und was konnte ich mir auch mehr wünschen als einen liebevollen, treuen Ehemann, der mit Freude seiner Arbeit als Mechatroniker nachging. Dass er dazu noch in der Werkstatt meines Vaters arbeitete, konnte mir eigentlich nur recht sein. Wenn da nur nicht dieser ungute Beigeschmack gewesen wäre. Als ob alle zusammen etwas ausgeheckt und mich in die Falle gelockt hätten. Sollte ich vielleicht im Windeln Wechseln und Fläschchen Zubereiten die Erfüllung meines Lebens finden?
Ich sah von der kahlen Leinwand weg und blickte in den Spiegel. Mit etwas Training und viel Tennis bekäme ich vielleicht doch eines Tages wieder meine alte Figur zurück. „Ach ja, Tennis“, entrang sich mir ein Stoßseufzer. „Bis ich wiederauf dem Platz stehen kann, bin ich wahrscheinlich schon alt und grau geworden.“
Aufmerksam durchforstete ich mein Gesicht nach kleinen Fältchen, aber dank der zahlreichen Cremes und Feuchtigkeitspräparate, die man mir während meiner Arbeit als Mannequin aufgedrängt hatte, sah ich, mit ein wenig Fantasie, trotz der Übermüdung noch immer aus wie 17. In den Discos und Clubs konnte ich mich immer noch sehen lassen. Jedoch auch das konnte ich wahrscheinlich fürs erste vergessen. Philip meinte ohnehin schon, dass ich zu wenig Zeit mit dem Baby verbrächte und Babysitter kamen für ihn nicht in Frage. Aber der hatte leicht reden. Außer Autos kannte er gar nichts. Nur ich wollte einfach noch nicht zum alten Eisen zählen. Wenn ich eine meiner Rockplatten anhören wollte, hieß es sofort: „Leise, das Baby! Aber ich konnte doch nicht nur Wiegenlieder hören, von morgens bis abends. Das musste doch auch irgendwie anders gehen. Vielleicht wäre ja Rockmusik genau nach Chantals Geschmack?
‚Ich sollte einfach nicht so viel auf Philip hören“, beschloss ich, während ich mit dem Pinsel Kreise in die Luft malte. Schließlich würde mein Name mit Sicherheit eines Tages bei Weitem bekannter sein als seiner.
Deswegen wollte ich mit der Malerei anfangen. In großen Lettern über der teuersten Galerie der Stadt sollte mein neuer Künstlername prangen. Natürlich nur ein Wort wie bei allen großen Künstlern. Ich schwankte dabei noch zwischen ‚Juliette‘, um meinen Vater zu erfreuen, und ‚Roxanne‘, denn dem Englischen gehört die Zukunft.
Aufmunternd sah ich meinem Spiegelbild in die braunen Augen. Worauf wartete ich denn noch?
Schon als Kind hatte mich alle Welt wegen meiner hübschen Zeichnungen gelobt. Und jetzt sollten sie sich wegen meiner Ölgemälde ebenso begeistert zeigen. Der Haken war nur: Es gab noch gar keine Ölgemälde. Mir fiel einfach nichts ein. Und kaum hatte ich die rettende Idee und begann die Farben auf meiner Palette zu mischen, schon ertönte das grässliche Geschrei wieder aus dem Baby-Phon, und die Pause war erst einmal beendet.
Aber dieses Mal nicht. Denn an diesem Tag geschah etwas ganz Besonderes, etwas, das meine Kindheitsträumereien auf einen Schlag beenden sollte.
Und wer hätte je gedacht, dass ich jenes üble Geschrei eines Tages tatsächlich vermisste.

Samstag, 30. Januar 2010

Band

Titel: Band
Autor: callisto24
* * *

Ich sah Rudolf Nordheim zum ersten Mal an einem trüben Novembernachmittag in der Hamburger Altstadt. Als ich wie an jedem Tag mein kleines Geschäft seltener und antiker Bücher aufschloss, bemerkte ich ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es war offensichtlich, dass er auf etwas wartete, eine Tatsache, die mich etwas beunruhigte, da es in letzter Zeit zu einigen Einbrüchen und schlimmeren Vorfällen in dieser Gegend gekommen war. Ich betrat schnell den Laden und begann ihn unauffällig zu beobachten, während er nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Sein Mantel schien viel zu dünn zu sein für dieses Wetter, und wenn mich nicht alles täuschte, trug er zwei verschiedene Socken an den Füßen.
Mit sachkundigem Blick identifizierte ich ihn sofort als Junggesellen der unauffälligen Art:
Normal groß, um die fünfzig, ein wenig untersetzt, dunkle bis dunkelgraue Haare.
Die Zeiten, in denen ich bei einem unverheirateten Mann in meinem Laden noch einmal schnell die Lippen nachgezogen hatte, waren lange vorbei. Die meisten, noch ledigen Exemplare meines Alters schleppten irgendein ungelöstes Problem oder noch schlimmer: ein extravagantes Hobby mit sich herum. Wie konnte ich ahnen, dass bei Rudolf beides der Fall war?
Endlich entsann ich mich des Schildes mit der Aufschrift „Geschlossen“, das noch in der Tür hing, und da der Fremde auf der Straße nun doch eher ungefährlich schien, entfernte ich es rasch. Und tatsächlich, er setzte sich sofort in Bewegung und stand einen Augenblick später bereits vor mir. „Ich suche etwas“, sagte er knapp.
Natürlich konnte es sich bei diesem Befehlston nur um einen Lehrer handeln. Wahrscheinlich sogar um einen richtig altmodischen Pauker mit Titel, mindestens Oberstudienrat.
„Oberstudienrat Nordheim ist mein Name“, stellte er sich auch tatsächlich vor, besann sich nun doch auf ein Mindestmaß an Höflichkeit.
„Ich habe gehört, Sie hätten einige Lehrbücher der Physik aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg auf einer Auktion erstanden.“
„Das ist richtig“, antwortete ich, wobei ich mich im Stillen wunderte. Eigentlich dienten mir derartige Bücher in erster Linie zum Auffüllen der Regale an Stellen, die schwer zugänglich waren. „Sie sind ja sehr gut informiert.“
„Ich bin Sammler“, sagte er und strich sich unruhig ein paar längere Strähnen, die ihm in die hohe Stirn gefallen waren, aus dem Gesicht. Seine Finger waren lang und schmal, die Hände eines Gelehrten.
Ich hatte im Laufe meines Lebens gelernt, viel aus den Händen eines Menschen zu lesen. Seine waren wie dafür geschaffen mit unendlicher Vorsicht alte, brüchige Buchseiten zu restaurieren. Ich sah ihn direkt vor mir, wie er über einem Buch gebeugt dasaß, weit weg in seinen Gedanken von allem, das um ihn herum existierte. Meine Menschenkenntnis täuschte mich selten, und als er wieder aufblickte und ich einen kurzen Blick in seine grauen Augen erhaschte, bevor er wieder fort sah, da wusste ich, dass er allein war. Und nicht nur vorübergehend allein, sondern allein seit seiner Kindheit. Ich kenne den Blick der Menschen, die niemanden zum Reden haben, die sich ihre kleine Welt einrichten und es im Laufe der Zeit verlernen, jemanden dort hinein zu lassen.
„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“, fragte ich, während ich mühsam eine unhandliche Leiter herbeischaffte, die es mir ermöglichen sollte, in die Regale unter der Decke zu gelangen.
„Ich habe auch Fische“, sagte er geistesabwesend und ging durch den Raum zu meinem kleinen Goldfisch ‚Sally‘, den ich von meiner Freundin Natalie zur Geschäftseröffnung vor drei Monaten erhalten hatte. „Damit sich wenigstens ein lebendiges Wesen zwischen deinen verstaubten Papierschinken finden lässt“, hatte sie lauthals verkündet. Leider stand sie mit ihrer Meinung, dass an Menschen, die sich hinter Büchern vergraben, das Leben vorbei zieht, beileibe nicht alleine im Kreise meiner Bekannten da. Kein Wunder also, dass ich es schon beinahe aufgegeben hatte, jemanden zu finden, der dieselben Vorlieben teilte.
Aber auch nur beinahe. Denn in diesem Augenblick sah ich, wie sich mein Leben durch nur eine einzige Person ändern würde. Einen Menschen, der wie ich in einer kleinen Wohnung festsaß, als Gesellschaft nur ein paar Fische und ein Regal voller alter Bücher, aber für den mit dem Öffnen jedes Buches ein Abenteuer begann, eine Reise in eine andere Zeit und eine andere Welt, wie sie die meisten von uns nie kennenlernen werden.

Freitag, 29. Januar 2010

Marktsonntag

Titel: Marktsonntag
Autor: callisto24
* * *


Es ist einer der ersten wirklich warmen Frühlingstage, Anfang Mai. Der Himmel erstrahlt in einem königlichen Blau. Kein noch so winziges Wölkchen wagt sich hervor, als Moritz und ich aufbrechen, den örtlichen Marktsonntag zu erkunden.
Nur zweimal im Jahr findet dieses wichtige Ereignis statt und auf wundersame Weise ist Petrus den zahlreichen Schaulustigen immer wieder gnädig. Niemand kann sich an einen verregneten Festtag erinnern; die Sonne lacht mit fröhlichen Besuchern, die sich in Scharen der geschmückten Hauptstraße nähern.
Noch bevor wir etwas erblicken können, klingt Musik an unsere Ohren.
Der kleine Moritz setzt sich bereits erwartungsvoll in seinem Buggy auf. „Das kenne ich doch irgendwoher“, sagen seine aufgeregt leuchtenden Augen, als wir endlich um die Ecke biegen und sich uns der gesamte Eindruck mit überwältigender Pracht darbietet.
Die Hauptstraße hat sich seit Freitag von der gewohnten, grauen Einkaufspassage in eine geschmückte Gasse verwandelt. Die für Fahrzeuge gesperrte Straße ist flankiert von dichtgedrängten Schaubuden und Verkaufsständen. Fahrende Händler wechseln sich ab mit einheimischen Geschäftsbesitzern, die mit großem Elan die Werbetrommel für ihr Unternehmen rühren.
Einen knallroten Luftballon mit der Aufschrift ‚Optik-Haus Kurz‘ nennt Moritz bereits stolz sein Eigen.
Sorgsam binde ich diesen an seinem Gefährt fest, denn wie die Erfahrung lehrte, sind die meisten Ballons entweder sehr kurzlebig oder sie entschwinden in einem unbewachten und windigen Augenblick himmelwärts.
Mühsam bahnen wir uns einen Weg, denn noch sind wir nicht im Zentrum des Geschehens angelangt.
Die Musik klingt ohrenbetäubend. Dabei ist es noch nicht einmal eine einheitliche Klangrichtung sondern ein wildes Gemisch der unterschiedlichsten Stilrichtungen, gepaart mit den unaufhörlichen Lobpreisungen der Marktschreier, die sich gegenseitig zu übertönen suchen.
Vorbei geht es an einem Stand mit Alpenmode.
Aus dem bis zum Pegel aufgedrehten Kassettenrekorder des Verkäufers erklingt die volkstümliche Hitparade, während sich nebenan der Besitzer eines modernen CD Ladens mit Schwerpunkt auf Rap und Techno beinahe vergeblich Gehör zu verschaffen sucht. Italienische Schlager werden beim Pizza- und Getränkestand der ortsansässigen Pizzeria zum Besten gegeben. Kleine Tische und Stühle laden zum Verweilen ein.
Aber wir können nicht rasten. Schließlich hat Moritz ein Ziel vor Augen.
Nur dieses vor Augen kämpfe ich mich mit dem Buggy zwischen anderen Kinderwägen hindurch.
Aber die schwierigsten Hindernisse sind die mindestens zwanzig Zentimeter dicken Elektrokabel, die es immer wieder zu umschiffen gilt.
An den riesigen Lautsprecherboxen, die sich neben der kleinen Bühne im Ortszentrum türmen, sind wir schon vorbeigezogen. Glücklicherweise legt die Band, bestehend aus vier bärtigen Typen, die allesamt T-Shirts mit der Aufschrift: „Cypress Hill“ tragen, gerade eine künstlerische Pause ein, so dass unser Trommelfell noch ein wenig verschont bleibt.
„Das hier, das hier will ich“, ruft Moritz, der unvermittelt aus seiner Sprachlosigkeit erwacht. Natürlich, der Stand mit Süßigkeiten und allerlei Naschwerk taucht auf einmal verlockend vor uns auf. Eine beträchtliche Schlange Kinder bewundert respektvoll den Künstler, der es fertigbringt, riesige, rosa Berge Zuckerwatte aus dem sich pausenlos drehenden Kessel zu zaubern. Daneben duften verführerisch gebrannte Mandeln und Haselnüsse. Aber als Krönung des Ganzen glitzert im Sonnenlicht die frisch geputzte Glasvitrine. Darin verborgen warten herrliche, glasierte Früchte, glänzend in allen Farben des Regenbogens.
Nur einen Moment später und zufrieden mit unserer Beute, zwei rot leuchtenden Äpfeln, ziehen wir weiter.
Von allen Enden strömen nun die Düfte der unterschiedlichsten Leckereien auf uns ein. Die Bäckerei verlockt mit frisch gebackenem Kuchen. Vor der Metzgerei drängeln sich die Menschen am Würstchenstand und der Friseur der Stadt verkauft wie immer seinen Steckerlfisch in der zweiten Identität als Angler-Hansi.
Doch wir ziehen weiter. Und endlich ist es soweit. Der Höhepunkt des Tages ist erreicht, das Ziel dem alle, zumindest alle Kinder, voller Spannung zuströmen:
Die Eisenbahn.
Dichtgedrängt zwischen winkenden Eltern und Großeltern stehen die aufgeregten Kleinen. Ihre goldenen Tickets fest umklammernd bewundern sie die rot und grün bemalte Bimmel-Bahn, die unermüdlich Runde um Runde dreht.
Von Moritz vorwärtsgedrängt, erwerbe ich unter Einsatz meines Lebens fünf Fahrkarten als Sammelticket zum Sonderpreis.
Nun stehen wir bereit, uns in den Kampf um den heiß begehrten Platz in der Lokomotive zu stürzen.
Natürlich sind es erfahrende Eisenbahn-Rowdies von mindestens vier Jahren, denen es zuerst gelingt, den Posten des Lokomotivführers zu ergattern.
Und schon wird aus Leibeskräften mit der Glocke geläutet. Aber auch Moritz sitzt glücklich auf seinem Platz im ersten Wagen und die Fahrt kann beginnen.
Immer wieder umkreist der kleine Zug eine sorgfältig arrangierte Märchenlandschaft. Ein Schneewittchen, das dem Walt-Disney-Film entsprungen sein könnte, lacht fröhlich inmitten einer Schar von Gartenzwergen. Mit einer todernsten Miene begutachtet Moritz die Plastikfiguren, bis die Bahn unter großem Hallo der kleinen Mitreisenden wieder stoppt.
Fachmännisch zieht er seinen zweiten Fahrschein aus der Hosentasche und reicht ihn mit der Ernsthaftigkeit eines großen Geschäftsmannes dem Kontrolleur.
Ebenso ernsthaft nimmt er das Gummibärchen, das die treuen Fahrgäste erhalten, in Empfang.
Bei der dritten Runde schließlich entscheidet er sich von seiner winkenden Mama Notiz zu nehmen. Ein lässiges Heben des Händchens und ein wohlwollendes Lächeln, mehr Zeit haben vielbeschäftigte Eisenbahnfahrer nicht.
Eines ist klar: Schöner kann dieser Tag für ihn nicht mehr werden. Und so transportiere ich einen selig schlummernden kleinen Mann vorbei an all den wunderbaren Sensationen, die der Marktsonntag für uns bereitgehalten hat und nach Hause.

Mittwoch, 27. Januar 2010

Nieselregen

Titel: Nieselregen
Autor: callisto24
* * *

Er stand auf dem Dach und hielt sein Gesicht dem Regen entgegen, als fühle er ihn zum ersten Mal. Sein Haar klebte an der Stirn und seine Kleider waren bereits durchtränkt, obwohl es sich um nicht mehr als einen leichten Nieselregen handelte. Doch er befand sich inzwischen lange genug an dieser Stelle, um die kalte Flüssigkeit wie eine nasse Folie auf seiner Haut zu spüren. Es war ein gutes Gefühl. Der Regen kühlte die Hitze, die in ihm aufstieg. Hitze, die einzuordnen ein Problem darstellte, über das Sebastian sich noch weigerte nachzudenken.
Und wenn er es tat, dann versuchte er sich davon zu überzeugen, dass es Scham war, die sein Gesicht glühen ließ, Scham, die ihn dazu trieb, sich vor den Blicken anderer zu verstecken, indem er über die Nottreppe den Weg auf das flache Dach des Gebäudes wählte.
Doch glich die Scham, die er fühlte, gefährlich der Erregung, die er zu leugnen suchte.
Sebastians Augen blieben geschlossen, als er den Mund öffnete, spürte, wie die feinen Tropfen Lippen und Zunge benetzten. Es war einfach zu lächerlich. Wie ein kleiner Junge stand er dort in der Dunkelheit und versuchte vergeblich den tobenden Herzschlag zu besänftigen, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren zu ignorieren. Und das nur, weil er sich endlich überwunden hatte, die Wahrheit zu sagen.
Sebastian öffnete mit einem Ruck die Augen, presste zugleich seine Lippen zusammen. Bis jetzt war es ihm gelungen, die Konsequenzen seines Tuns zu verdrängen. Doch nun überfielen sie ihn mit wilder Macht, legten sich schwer auf seine Brust und lähmten seine Atmung, bis er plötzlich zu Ersticken glaubte. Sebastian nahm einen tiefen Atemzug und starrte in die Nacht. Er konnte nichts erkennen mit Ausnahme der dünnen Fäden des Regens, in denen sich das Licht der Straßenlaternen spiegelte, eine ständige Bewegung erzeugte, die zu seiner Nervosität beitrug.
Was, wenn Adam ihn nun hasste. Er hatte keinen Grund zu glauben, dass der Mann seine Gefühle erwiderte. Und nur weil er in einem weinseligen Moment seinen Kopf verloren hatte, nicht anders konnte, als ihn in den Lagerraum des Büros zu ziehen, und ihm mit gesenktem Blick zu offenbaren, dass er, seit er unter ihm arbeitete, sich auch wünschte unter ihm zu liegen, hieß das lange nicht, dass Adam diese Meinung teilte, geschweige denn dass er sie tolerierte.
Sebastian schloss seine Augen. Diese verdammten Betriebsfeiern. Er schüttelte den Kopf, dass sein nasses, ein wenig zu langes Haar zusätzliche Tropfen versprühte. Oder dieser verdammte Alkohol, wenn er schon ehrlich zu sich war. Es war schließlich nichts Neues, dass er nichts vertrug, was sich auch nur geringfügig auf seine Gehirnchemie auswirkte. Jeder einzelne Schluck führte unweigerlich in eine Peinlichkeit oder Katastrophe. Oder wie in diesem Fall in beides.
Sebastian wischte sich mit beiden Händen durch sein Gesicht. Die Hitze verflog und seine Finger berührten klamme Haut. Eine Rasur konnte er auch schon wieder vertragen. Sebastians Gedanken sprangen im Quadrat, als er seine Finger wieder senkte und die bleichen Handrücken betrachtete. Wie käme er auch darauf, dass Adam sich nur im Geringsten von einem Anfänger wie ihm angezogen fühlte. Von jemandem, der zu tief ins Glas sah, und sich dann zu viel herausnahm.
Wieder biss er sich auf die Lippen. Das hatte er wieder großartig hingekriegt. Sein Mantel klebte inzwischen an seinem Körper und Sebastian erschauerte. Was für ein Dilemma.
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Sebastian blinzelte. Eine dunkle Gestalt stand neben der Tür, die ihn auf das Dach geführt hatte. Sebastian blinzelte erneut, doch mehr als einen Umriss konnte er nicht erkennen. Er senkte den Kopf und strich sich nervös das nasse Haar aus der Stirn.
Die Gestalt kam näher und Sebastians Herz stockte. Das konnte nicht sein. Es war nicht möglich. Doch mit jedem Schritt schwand ein Stück seines Zweifels, bis er sich sicher war. Sebastian drehte sich verlegen zur Seite. Und obwohl er nur unter dem Vorhang seiner nassen Haare und aus seinen Augenwinkeln hervor blinzelte erkannte er mit jeder Faser seines Körpers den Mann, der letztendlich vor ihm stehen blieb. Sebastian fühlte Adams Lächeln auf seinem Gesicht und neigte sein Gesicht tiefer, wohl wissend dass sein Haar nun dazu dienen musste, die aufsteigende Röte zu verbergen.
„Du wirst ja ganz nass“, sagte die sanfte Stimme tadelnd. Wie oft hatte Sebastian sich gewünscht aus diesem Mund Worte zu hören, die nicht mit der Arbeit zu tun hatten, Worte die persönlicher waren als „Guten Morgen“ oder „Auf Wiedersehen.“
Er wollte sich räuspern, wollte etwas erwidern, doch die Laute blieben in seinem Hals stecken. Und plötzlich fühlte Sebastian wie eine Hand sein gesenktes Kinn berührte, wie dieses behutsam angehoben wurde. Und anstatt zurückzuzucken gab Sebastian der Bewegung willig nach, hob sein Gesicht und blinzelte unter den Regentropfen, die in seinen Wimpern hingen, hervor.
„Ich …“, versuchte er zu sagen, doch in diesem Moment sah er es. Adam lächelte. Trotz der Dunkelheit erkannte Sebastian den warmen Schein in den Augen des Älteren. Adam neigte sich näher zu ihm. „Hast du gedacht, du könntest davonlaufen?“
„Ich wollte nicht …“ Sebastians Stimme klang heiser, brach, als Adam sich noch ihm noch ein weiteres Stück näherte, als sein Mund sich Sebastians Ohr näherte. „Was wolltest du nicht?“, flüsterte er. „Mich dazu bringen, dir zu folgen? Dich zu suchen?“ Adam schüttelte den Kopf und lachte leise, eine Vibration, die Sebastian zittern ließ, sich in Hitze verwandelte, die direkt in seinen Schoß wanderte.
„Ich bin fast verrückt geworden, als ich dich nicht sofort gefunden habe“, wisperte Adam. „Nach dem, was du mir gesagt hast?“ Er legte seine Hand auf Sebastians klammen Ärmel und dieser seufzte leise. „Und dann einfach wegzulaufen.“ Adam schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Ich glaube, du möchtest, dass dir jemand Manieren beibringt?“
Sebastian schluckte, wandte den Kopf, so dass er direkt in Adams Augen sah. Kleine Fältchen bildeten sich in den Augenwinkeln und Sebastian sehnte sich nach nichts mehr als danach diese küssen zu dürfen.
„Ja“, flüsterte er. „Bitte.“
Und Adam lächelte.

Freitag, 1. Januar 2010

Warum ich mit Heroes Schluss machen sollte ...

Die Männer und ich oder warum ich mit Heroes Schluss machen sollte.
Spoilerwarnung für Heroes, Staffel 4!
Blödsinnwarnung für sensible Gemüter!

Ehemänner

Vor nicht allzu langer Zeit stolperte ich über den treffenden Vergleich zwischen einer Fernsehserie und einer komplizierten Beziehung. Soweit, eine solche Partnerschaft zu nennen, würde ich noch nicht gehen, aber andererseits sind schon merkwürdigere Dinge besprochen worden.

Das Prinzip ist einfach: Man ersetze den Partner, wenn man so will, mit der betreffenden Serie und ist dann verwundert, welch eine Unmenge an Parallelen sich dabei auftun.
Kurz und gut, der Gedanke blieb mir hängen, ließ mich nicht mehr los. Und das während der turbulenten Achterbahnfahrt, durch die mich meine letzte große Liebe führte.
Glücklicherweise habe ich diese Liebe nicht geheiratet, was aber wohl hauptsächlich daran liegt, dass man eine Fernsehserie nicht heiraten kann - noch nicht.

Vergleichsweise handelte es sich um eine kurze Beziehung, nichtsdestotrotz allerdings um eine besonders intensive und komplikationsreiche.
Man kann sogar behaupten, dass einige Kinder aus ihr hervorgingen. Und ich spreche nicht nur von Fanfiction, sondern von der Inspiration zu längeren, tragischen Werken, allesamt kaum vorzeigbar und vor allem nicht jugendfrei.
Vergessen wir aber auch nicht die Affäre, die sich anbahnte, sobald erste Klippen in unserer heilen Welt auftauchten.

Ich spreche natürlich von „Heroes“, einer großen Liebe, einer großen Enttäuschung und starken Gefühlen, die immer noch einer Klärung bedürfen.
Der Abschied schmerzt, und das muss er wohl auch, zumal es kein Abschied für immer sein kann.

Denn natürlich werde ich die Serie bis zum bitteren Ende sehen, einerseits da die eine Hälfte meines anbetungswürdigen Bruderpärchens noch am Leben ist, und ich nun sein tragisches Ableben erwarte – vermutlich vergeblich. Aber ich hatte ja schon erwähnt, dass es sich um eine komplizierte, schwierige Beziehung handelt.
Und andererseits, weil es in meiner Natur liegt, die Dinge zu einem Ende zu bringen, koste es was es wolle.

Dem Abschied hilft auch nicht, dass unsere Beziehung in allererster Linie auf Äußerlichkeiten basiert, dass, kurz und deutlich gesagt, die feste Grundlage fehlt. Ganz zu schweigen von Vertrauen oder beiderseitigem Verstehen.
Letztlich bleibt auslösender Faktor die Attraktivität der Hauptdarsteller, bei weitem kein ausreichender Grund, jedoch auch einer, der nicht verschwindet. Und obwohl Attraktivität nicht direkt stört, erwarte ich doch in der Regel mehr, unersättlich wie ich bin.

Zudem sollte gesagt werden, dass ich noch nie eine oberflächliche Beziehung unterhalten konnte, demnach auch keine Erfahrung in der Beendigung derselben besitze.
Vielleicht klammere ich mich deshalb an die hübschen Schlafzimmeraugen bestimmter Protagonisten. Eine Art letztes Aufbäumen kindlicher Unbekümmertheit, bevor ich den ernsthaften, den verantwortungsbewussten, den vernünftigen Weg wähle.

Und dann gehört Attraktivität in der Riege der TV-Serien Beziehungen schlichtweg dazu. Schließlich handelt es sich um reine Fantasie. Und warum sollte man sich seine Fantasie nicht so hübsch wie möglich gestalten?

Schönheit liegt natürlich im Auge des Betrachters. Wäre ja auch traurig, denn sonst wollte letztendlich noch jede Frau und jeder Mann „Heroes“ ehelichen.
Und die Serie gehört mir.
Ich meine natürlich, sie gehörte mir.
Vergangenheit. Man muss loslassen können, Abschied nehmen, so sehr es auch schmerzt.

Vielleicht liegt das ganze Drama nur darin, dass ich für derart erschöpfende Beziehungen, für solch wirre Konstruktionen zwischenmenschlicher Interaktion zu alt bin, zu müde, zu ausgelaugt.
Und dabei sollte „Heroes“ mir doch eigentlich nur dabei helfen, über die sich lang und breit anbahnende Trennung von meinem getreuen und mehr oder weniger pflichtbewussten Gemahl „24“ hinwegzukommen.
Alle guten Dinge haben ein Ende, und Jack Bauer begleitete mich nun mal über viele, lange Jahre hinweg. Treu und zuverlässig, ein Fels in der Brandung. Es war eine große Liebe, eine fruchtreiche, aber Serienlieben unterliegen nun einmal einem Verfallsdatum.
Vielleicht liegt es daran, dass sich der menschliche Körper alle 5-7 Jahre erneuert, vielleicht wird die Geschichte auch nur einfach langweilig. Vielleicht habe ich so viele Geschichten über Jack gelesen und geschrieben, dass sich beim besten Willen keine Facette der Figur mehr entdecken lässt, die nicht schon gründlich durchgekaut und zufrieden wieder ausgespuckt wurde.
Wie gesagt, alle guten Dinge haben ein Ende, und Erfahrung im Bereich des Lebens in Symbiose mit einer Fernsehserie lehrte mich bereits in jungen Jahren, dass dieses Ende früher oder später eintrifft.

Natürlich fällt der Serienabschied immer schwer, stürzt der Zurückgelassene, also ich, in ein dunkles Loch, ohne Begeisterungsstürme, ohne die vibrierende Spannung, die der Gedanke an Kommendes auslöst.
Es bleiben wehmütige Erinnerungen, und das Gefühl der Endlichkeit. Lektionen fürs Leben.

Aber wer gibt sich der Wehmut schon freiwillig hin. Man sucht nach Ablenkung. Und ganz ehrlich – so schwer ist es nicht, diese zu entdecken. Nicht mit Hilfe der Verfügbarkeit heutiger Medien.

Sicher, auch Jack war kein einfacher Lebensgefährte. Wir hatten unsere Auseinandersetzungen, gerade in politischen Dingen. In Fragen der Moral und einer gewissen menschlichen Ethik.
Im Rausch der Gefühle sieht man darüber hinweg, wenn der Geliebte unhaltbare Dinge tut. Man sucht Entschuldigungen, Erklärungen. Man diskutiert und verzeiht, heißt Annäherungen seinerseits durchaus willkommen.
Und Jack war ja bemüht, sich zu ändern. Er versuchte wenigstens bis zu einem gewissen Grad, sein innerstes, reaktionäres, gewalttätiges Ich im Zaum zu halten, und dem Menschlichen in sich Raum zu gewähren. Ein innerer Kampf, der seine eigene Faszination besitzt.

Aber auch er reichte nicht aus.
Also tat ich, was nur allzu verständlich ist. Ich verfiel dem ersten, besten, gutaussehenden Mann, der mir das bot, was ich von jeher bevorzugte.
Genau, dunkle Haare und dunkle Augen. Gaben, die nicht zu unterschätzen sind, vor allem, wenn man sich jahrelang mit blond und blauäugig beschäftigte.

Ich bemühte mich ernsthaft um die Ablösung. Zuvor bemühte ich mich ernsthaft bei Jack zu bleiben.
Weil man für eine Beziehung kämpfen muss.
Und weil er mir gut tat. Jack stellte genau die Art von aggressivem, durchsetzungsfreudigen Charakter dar, der mir selbst vollkommen fremd ist, wenngleich vielleicht auch nur aus Gründen der gesellschaftlich propagierten Unterdrückung von Gefühlen, Ambitionen, Wut oder Kraft.

Wie dem auch sei. Ich wanderte über das kleine, gemütliche Fandom, „Kieferlou“, welches den Jack, den ich kannte und liebte, mit dem exotisch-erotischen, gutaussehenden Lou Diamond Phillips oder besser gesagt mit verschiedenen Charakteren, die diesem auf den Leib geschrieben waren, verknüpft. Filme, Serien, Stoffe, die ein Leben lang reichen sollten.
Aber es nicht taten, da meine Partnerin im Verbrechen, die Person, die mich von den Qualitäten eines kleinen, exotischen Fandoms überzeugen konnte, verstarb.
Ja, man darf auch in einem Bericht wie diesem, der vor Unsinn und Irrsinn überquillt, vom Tod sprechen. Dieser gehört zum Leben, ebenso wie eine Begeisterung, die Berge bewegen kann, oder wie in diesem Fall, ihren Weg über die Ozeane dieser Erde sucht.
Wie auch immer, eine gewisse Trauer trieb mich dann von diesem ergiebigen und facettenreichen Fandom fort. Ich behalf mir mit dem auf halbem Wege entdeckten „Numb3rs“, immerhin schon ein Schritt in die richtige Richtung. Was die Sache mit den dunklen Haaren und dunklen Augen angeht.
Zudem wurde mir der Bruderslash zu einem Begriff. Und seien wir ehrlich, Numb3rs ist ein niedliches Fandom. Im Grunde ist es derart niedlich, gibt es derart wenig daran auszusetzen, dass es in unserer Beziehung an den notwendigen Stolpersteinen und Hürden mangelte, die das Interesse erst so richtig und zu glühender Hitze entfachen.

Ich mag Numb3rs, sehr sogar. Ein netter Begleiter, und ein vertrauenswürdiger Lieferant schöner Geschichten. Familie, Freude, Eierkuchen. Jedoch nicht mehr.

Ehrlich gesagt, kann ich nicht sagen, was mich in die Arme von Heroes trieb, denn ich verstehe es immer noch nicht. Aber das haben Freunde, die den so oft zitierten schlechten Einfluss ausüben, wohl allesamt gemein. Man kann ihnen nicht widerstehen, und das, obwohl man es eigentlich besser wissen sollte.

Kurz gesagt, es waren seine Augen, also Nathan Petrellis Augen. Gepaart wohl mit der Langeweile in der auslaufenden Beziehung mit Jack.
Zudem hatte ich Nachholbedarf, mein Interesse war geweckt.
Es galt sich in ein Fandom einzufinden, Neues zu entdecken, inspiriert und angeregt durch eben diese hübschen, dunklen Augen, umrahmt von köstlich langen Wimpern inmitten eines fabelhaft gut geschnittenen und vertrauten Gesichts. Ich verliebe mich nun mal gerne in Männer, die mir schon lange bekannt sind. War Jack ehemals Goldlöckchen im Cowboy-Outfit, so kannte ich Nathan bereits gut in seiner Aufgabe als Augenweide in verschiedenen Gastrollen, bevor mich das Herzflattern packte.
Alles passte, der Körper, die Erscheinung, der schwungvolle Gang, das seidige Haar. Also die Dinge, auf die es in einer Beziehung ankommt.

Nun gut, der Charakter war etwas fragwürdig, ein zwielichtiger Politiker, der hin und wieder wie eine Rakete in die Luft schießt? Nicht dass ich etwas von Spezialeffekten verstünde, aber das besaß durchaus einen eigenartigen Beigeschmack.

Doch nicht umsonst lehrte mich Jack Bauer, Held der Superlative, über Kleinigkeiten hinwegzusehen und mich auf das Große und Ganze zu konzentrieren. Und zwar auf die Möglichkeit wie wunderbar, wie fabelhaft sich dieser Charakter in Geschichten verarbeiten lässt und wie exzellent sich ein Adonis wie dieser zu Zwecken der Verslashung eignet.
Es waren demnach wohl mehr die Fanfictions, gepaart mit dem unwiderstehlichen Äußeren des einzigartigen Nathans, die mich in Abhängigkeit und damit in Schwierigkeiten stießen.
Denn was nur als kleiner Flirt nebenbei, als willkommene Abwechslung, während meine eheähnliche Gemeinschaft mit Jack in Frieden endete und eine neue Liebe am Horizont erschiene, geplant war, wuchs sich zu einer handfesten Obsession aus.

Wie gesagt, ich plante klein. Auch weil ich mir bereits ausmalen konnte, dass Heroes letztendlich kaum ein Fandom für mich war.
Cheerleader und Kinder, die Comichelden spielen reichen für gewöhnlich nicht aus, um mich zu fangen. Und nach wie vor schenke ich den meisten Handlungssträngen der Serie nicht die geringste Aufmerksamkeit.
Nathan, Noah, Angela, das war meine Welt. Oh ja, ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen ich klar feststellte, dass Nathans kleiner Bruder mir nichts sagte, sei er doch viel zu jung für mich.

Welch ein Trugschluss. Denn unglücklicherweise kommt der aufmerksame Zuschauer nicht an Nathan vorbei, ohne sein Brüderchen zu bemerken. Und schon gar nicht, wenn man in Bezug auf den großen Petrelli ernsthafte Bindungsabsichten verfolgt.

Und dann ist da das Fandom, die Menschen, die sich auskennen, die Interviews, Bilder und Auftritte dokumentieren und dem Neuzugang, also mir, zugänglich machen.
Und schon hing ich an der Angel. Denn nicht nur, dass Nathan, beziehungsweise sein reales Ich, ein lustiger Typ ist, er spielt auch gerne mit seinem Serienbruder eine Unterhaltungsshow für geneigte Fans.

Ich war verloren. Die beiden, ob Serie oder Auftritt sind schlichtweg unwiderstehlich und verwandelten meine junge Liebe zu Heroes in eine aufregende Erlebnisreise. Während derer ich nicht anders konnte, als auch Peter zuzugestehen, dass er seine Vorzüge besitzt, trotz der fehlenden Reife, die ein richtiger Mann nun mal vorweisen sollte.
Also, ein Mann, der alt genug ist, dass ich guten Gewissens von ihm schwärmen kann.
Solange man so etwas guten Gewissens tut.

Wie gesagt, Männer unter vierzig laufen eigentlich unsichtbar nebenher, für mich zumindest, und bis zum Auftreten Peters jedenfalls.
Aber selbstverständlich gebe ich gerne wieder Heroes die Schuld, und der Art und Weise wie die Serie meine Liebe zu Nathan zermürbt hat. Diese Charakterwandlungen, das ständige Ableben und die viel zu kurze Sendezeit, reichten schon aus, um meine Nerven zum Zerreißen zu spannen. Dann die Gerüchte und die sorgsam ausgestreuten Hinweise – die Hoffnungen und Wünsche – die Träume von einer glücklichen Zukunft – mit Nathan in der Hauptrolle – zerstört, ruiniert, missachtet.
Die stärkste Ehe hält so etwas nicht aus.

Von Jack war ich inzwischen vollkommen abgekommen, hatte ihn schnöde verlassen, was diesen, erstaunlich genug, kaum getroffen hat. Aber der Mann ist eben hart im Nehmen.
Ganz im Gegensatz zu anderen Leuten, solchen wie Nathan und Peter.
Ich liebe Emotionen, viele, viele, ausgelebte Emotionen, dafür lebe ich – in Serien, Filmen und Büchern zumindest.
Aber wie soll ich es ausdrücken: Die Jungs kriegen sich nicht in den Griff. Und in diesem Fall – also da könnte ich auch einen Blick auf mein eigenes Leben werfen. Das ist zu nah an der Realität. Auf die Reihe bekomme ich auch nichts, mit der Materie kenne ich mich aus, und es hilft mir auch nicht weiter, Leuten zuzusehen, die sich wieder und wieder zugrunde richten, es nicht einmal merken, und dann noch tiefer sinken.

Nicht Nathans Schuld, nicht Peters Schuld – oh ja, ich verzeihe den Liebhabern, die mich schlecht behandeln, welch ein Klischee – ganz davon abgesehen, dass es sich bei beiden um erfundene Charaktere handelt, die in Wirklichkeit gar nicht existieren. Man sollte sich dies vielleicht hin und wieder ins Gedächtnis rufen.
Nein – es ist wohl die Schuld des Serienkonzeptes, das darauf beruht, mengenweise Darsteller zu verheizen, während es sich auf blonde Teenager, diverse angedeutete und reichlich vage Nebenhandlungen, die nichts, aber auch gar nichts mit den Petrellis zu tun haben, konzentriert.

Ergo kann ich niemandem ernsthaft einen Vorwurf machen. Niemandem außer mir, die ich mich wissentlich und willentlich auf diese unglückselige Affäre eingelassen habe. Oh ja, ich liebe Adrian – also Nathan – also Adrian – und ich habe immer alles gesehen, was er spielte, und was wir in Hinter-Unter-Tupfingen zu sehen bekamen. Und ich werde auch in Zukunft alles sehen, aber ich bin mir nicht sicher, ob uns mit Ausnahme dieser starken, äußerlichen Anziehungskraft noch viel verbindet. Wenigstens nicht genug für ein dauerhaftes Glück.

Und nicht anders ist es auch wohl zu erklären, dass ich schon nach den ersten Enttäuschungen, den ersten Abweichungen Nathans vom rechten Pfade, damit begann, mich nach etwas Jüngerem umzusehen.
Ich – die ich so etwas zutiefst Anstößiges niemals mit meinem Gewissen vereinbaren könnte.

Aber ganz ehrlich – Peter ist eben niedlich. Knuddelig, sensibel, ein bisschen dämlich. Einfach süß. Nicht zu vergessen, er besitzt ein riesiges Plus: er lässt sich die Haare wachsen.
Und seien wir ehrlich: was gibt es Hübscheres, als einen Mann mit langen, dunklen Haaren?
Natürlich gibt es das – einen Mann mit langen, dunklen Haaren und ausdrucksstarken Augen. Und Milo Ventimiglia weiß diese einzusetzen. Diese Augen besitzen extremes Dahinschmelz-Potential. Ein Glück für Milo, dass ich ihm nie im wirklichen Leben begegnen werde. Wer wischte wohl freiwillig die Pfütze auf?

Aber das wusste ich alles noch nicht, weigerte mich darüber nachzudenken, in meinem verzweifelten Klammern an Nathan.
Doch Klammern treibt den Geliebten nur weiter in die Ferne. Also fand ich mich einsam, alleine und frustriert mit der Serienpause und der Frage um Leben und fragwürdiges Überleben des Charakters wieder.

Nicht dass es sich um etwas Neues handelte. Es wurde nur von Mal zu Mal anstrengender.

Ja, es ging um Nathans Existenz. Und ist es ein Wunder, dass man sich gerade im Umgang mit existentiellen Fragen nach etwas Leichtigkeit sehnt?

Es begann ganz unschuldig. Ich wollte doch nur einen Blick riskieren, mich umfassend darüber informieren, welche Rollen meine Lieblinge bislang innehielten.
Verweilte ich also zuerst bei Adrians Auftritt in „Für alle Fälle Amy“, so sah ich schließlich noch nach, wie sich Milo als Jess Mariano machte.
Ein ganz dunkles Kapitel meiner Geschichte. Denn eigentlich mag ich „Gilmore girls“ nicht. Es ist noch viel weniger mein Fall als Heroes – dachte ich.
Mit Ausnahme der vielen Lichterketten und einer Reihe kleiner, süßer Ideen, interpretiert mit viel Wortwitz, lässt sich über die Serie diskutieren, ernsthaft, lautstark diskutieren.
Gerade was den Umgang mit so manchem Charakter angeht. Fangen wir gar nicht erst mit Logik oder Fragen der Erziehung an, sondern einfach mit gesundem Menschenverstand, oder der Unvereinbarkeit lediglich angedeuteter komplexer Themen mit einer märchenhaften Seifenoper.

Egal, es blieb düster. Genauer gesagt, ich fiel, oder stürzte mich freiwillig in den Abgrund. Einfach weil Jess Mariano ein so fabelhafter Charakter ist. Material für eine unendliche Anzahl unterschiedlichster Geschichten, Romane, Epen, Filme, Serien und deren Fortsetzungen.
„Gilmore girls“ – eine seltsame, ungeklärte Abhängigkeit. Ehrlich gesagt habe ich mich permanent darüber aufgeregt, über die komische, wundersame Welt, die dort zusammengebastelt wird. Und die dennoch auf eine schräge, kranke Art funktioniert.

Vielleicht ist es die Sehnsucht nach einer längst verlorenen, letztendlich niemals existierten Romantik, die dort verweilen lässt. Vielleicht ist Lorelei einfach berückend schön, so daneben sie auch liegen mag.
Vielleicht funktionieren die Gilmores einfach so perfekt mangelhaft, dass man ihnen nicht fernbleiben kann.

Denn an Jess kann es nicht liegen. Der Kleine ist so unwiderstehlich, dass man ihn zu gerne ein wenig knuddeln möchte, ihm versprechen, dass alles gut wird. Und wenn er nicht zuhört, weil er so niedlich widerspenstig ist, dann wünscht man sich, ihn zu adoptieren, und ihm mit Hilfe alles mühsam erworbenen pädagogischen Wissens all die Flausen auszutreiben, die ihm von den kaputten Leuten aus Stars Hollow in den Kopf gesetzt wurden.

Wie auch immer – mit „Gilmore girls“ verband mich eine Hass-Liebe, und natürlich die wachsende Überzeugung, dass Milo Ventimiglia zu Großem imstande ist, wenn man ihn lässt.

Sagen wir es so: viele Auftritte hatte er nun nicht, aber er richtete bleibenden Schaden an. Bei mir wenigstens.

„Gilmore Girls“ tröstete mich ein wenig über den Wahnsinn hinweg, durch den Nathan Petrelli mich katapultierte. Aber sei es, dass Nathan es nicht akzeptierte, dass ich nebenbei mit einer anderen Serie etwas am Laufen hatte. Oder dass mich die ständige Aufregung, das Bangen und Leiden unter ungerechter Behandlung – ob sie nun Nathan oder Jess widerfuhr – an den Rand eines Nervenzusammenbruchs führte – die Wahrheit ist, dass ich beim diesmal wider aller Erwartungen endgültigen Dahinscheidens Nathans schlichtweg nicht mehr konnte.

Ich habe es versucht, aber der Schmerz sitzt zu tief. Weder Fanfiction noch Bilder noch Wiederholungen helfen. Ich bin am Ende, kann nicht mehr, muss dem Leid ein Ende machen.

Einmal sollte ich mir ein Herz fassen, und einen Schlussstrich ziehen. Ich sollte wahrhaftig, sowohl den „Heroes“, als auch den „Gilmores“ verkünden, dass das Ende gekommen ist, dass ich sie nicht mehr sehen will oder kann. Ich sollte Icons, Avatare, Wallpaper und Screensaver löschen, Videos überspielen und DVDs löschen – also wenn ich so etwas könnte.

Aber ich bin schwach, viel zu schwach, ein schwaches Frauenzimmer.
Und natürlich konnte ich noch nie eine Beziehung beenden. Normalerweise warte ich einfach gemütlich ab, bis sie sich ausläuft.
Nur – dass bislang noch keine Beziehung so schmerzhaft war, sich das Ende so überaus qualvoll dahinzog.

Gut, da bleibt immer ein wenig Frust, das besagte schwarze Loch. Aber letztendlich hangelt man sich doch über die Durststrecken, findet einen neuen Sinn im Leben.
Und ist das nicht der Vorteil in dem Beziehungsgeflecht, das sich mit Serien unterhalten lässt? Kein Streit, keine Auseinandersetzung mit irritierenden Ex-Partnern. Die Liebe schläft stattdessen einfach ein.
Es sind nicht viele Worte nötig, noch Gesten oder Abschiede. Irgendwann ist es soweit, man nimmt die Poster von den Wänden, wirft die Zeitungsausschnitte in den Papierkorb und räumt die Videos in die unterste Schublade.

Zumindest sollte es so sein.
So war es bislang. Nicht, dass ich über meine verkrachten Ehen Buch führte, aber so war es.
Da gab es langjährige Beziehungen, gefolgt von Trennungen im gegenseitigen Einvernehmen. Beziehungen wie die mit „Dynastie“, der Faszination von Luxus und Reichtum, „21 Jump Street“, der Aufarbeitung nicht gelebter Jugendträume. Abgelöst von kurzzeitigen aufregenden Affären mit Vampir-Büchern oder Mystery-Serien, „AkteX“ oder „The Legacy“. Schnelllebig, aber ihren Zweck erfüllend.

Ein festes Band verschnürte mich über viele Jahre mit „Buffy“, und auch dieser Abschied fiel nicht allzu schmerzhaft aus, lebte „Buffy“ doch in „Angel“ weiter. Und trotzdem war ich nicht traurig, als sich auch Angels und meine Wege trennten.

Denn – ja, ich bin eine untreue Tomate – ich sah mich bereits nach Neuem um. Und wurde fündig.
Ganz recht, Jack eroberte mein Herz im Sturm. Achtlos ließ ich den guten Spike im Staub liegen und zog mit Jack von dannen.

Vielleicht ist der Schmerz um Nathan nichts als Jacks Rache. Vielleicht verkraftet er meine Untreue, meine mangelnde Verlässlichkeit doch nicht so gut, wie ich dachte, dass er sollte. Ein Kerl wie er.

Nun gut, Jack ist tief innen auch ein Sensibelchen, wir wussten es alle. Lässt man das Geschrei und die Ballerei beiseite, erhalten wir ein emotionales Weichei.

Aber dass er sich mit Nathan verbündet, und die beiden Rachepläne schmieden? Nur weil ich ein Auge auf den kleinen Jess werfe. Also – auf den großen Jess – den, der ein erfolgreiches Geschäft führt, und den Rory trotzdem links liegen lässt.
Das ist ungerecht.
Und außerdem verstehen Jack und Nathan das völlig falsch. Zwischen Milo und mir könnte es nie etwas werden. Mal abgesehen von den Augen. Aber der Junge ist viel zu brav: er ist Vegetarier, trinkt nicht und benimmt sich auch sonst wie ein Kindskopf. Ich meine: das könnte ich sein. Niemals über die Anfänge der Pubertät hinausgekommen.

Mit Jack dagegen verbinden mich die seelischen Abgründe, das latente Drogenproblem. Und mit Nathan der galoppierende Wahnsinn.
Aber der kleine Peter mit dem Heldenkomplex? Da ist nichts. Außer der niedlichen Unterlippe. Und hab ich schon die Augen erwähnt?

Also gut, ich gebe es zu. Ich hab’s verdient.
Jack und Nathan haben recht.
So behandelt man seine Männer nicht.
Erst zerpflücke ich sie ständig in aller Öffentlichkeit – vom Verslashen wollen wir gar nicht sprechen. Und dann lasse ich sie fallen, wie heiße Kartoffeln. Gehört sich nicht. Ist nicht in Ordnung.

Und wenn ich nur eine Spur paranoider wäre, dann ginge ich davon aus, dass auch Peter seine Hände im Spiel hat. Vermutlich unternimmt er deshalb diese eigenwilligen Anstrengungen wie die Belustigung der Truppen, das Nähen von Kleidchen oder andere neckische Zeitvertreibe, zu denen ich keinen Zugang finde. Alles nur um mich zu ärgern.

Das waren noch Zeiten, als ich harmlos Jack hinterherlief, der wenigstens seine Jugend zurückholte, indem er mit Rockbands durch die Gegend tourte.

Aber die Welt bleibt nicht stehen.
Und so heißt es auch für mich nach vorne sehen.

Was habe ich also gelernt: Ein klarer Schnitt, was Nathan, Peter, Jess und sämtliche Gilmores betrifft, wäre wünschenswert.
Doch um dazu die Kraft aufzubringen benötigte ich ernsthafte Unterstützung. Unterstützung, wie sie Jack bieten könnte, Mal sehen, ob er sich überreden lässt, zu mir zurückzukommen. Und ob ich ihn zurück will?

Ist ja nicht so, als bestünden keine Alternativen. Zumindest in der Theorie. Andere Mütter haben auch hübsche Töchter, beziehungsweise, andere Produktionsfirmen haben auch hübsche Serien.

Wie kommt es nur, dass ihnen allen das gewisse Etwas fehlt? Der Funke, die Schmetterlinge im Bauch, der Reiz des Neuen, Unbekannten.

Vielleicht ziehe ich mir einfach noch mal „Numb3rs“ rein.
Vielleicht wird es Zeit sesshaft zu werden, sich zur Ruhe zu setzen.
Und mit der dunkelhaarigen, dunkeläugigen Eppes-Familie ließe sich wirklich leben.
Denke ich.

P.S. Ich bin nicht verrückt.
Nicht sehr.

P.S.P.S. Ich kann Realität vom TV-Alltag unterscheiden. Glaub ich.

P.S.P.S.P.S. Vielleicht hilft es wirklich, wenn ich meinen Desktop-Hintergrund ändere. Letztendlich kann ich keine Krawatten zerschneiden, Koffer auf die Straße werfen oder Briefe verbrennen.
Obwohl ich das nur zu gern täte.