Freitag, 16. Juli 2010

Der Slash in der Geschichte einer Slasherin

Leseprobe aus 'Maja - Geschichte einer Slasherin'
Autor: Sigrid Lenz/callisto24
Copyright: AAVAA Verlag 2010

*
„Wir sollen was?“ Finn Cackleford sah seinen Co-Star entgeistert an. Angelo Multobene zuckte nur verständnislos mit den Schultern. Auch ihm kam dieser Vorschlag ausgesprochen merkwürdig vor.
Frances Stumblehead von NERD–TV–Productions rückte seine Brille gerade. Er war nicht umsonst zum Produzentenwunder von Hollywood aufgestiegen. Sein Weitblick und seine Intuition hatten ihm, seiner Ansicht nach, noch weiter geholfen, als seine Fachkenntnisse und seine nicht unbeträchtliche Erbschaft.
Sein Lieblingskind, der Quotenrenner der letzten Jahre, seine Serie ‚Agents on Fire‘, befand sich in erheblicher Gefahr und er, Frances Stumblehead, war es gewohnt zu kämpfen, wenn die Lage eng wurde.
Natürlich war Stumblehead in seinem eigenen Jet gekommen, begleitet von den treuesten seiner Leibwächter, ohne die er keinen Schritt tat. Doch seine Beziehungen hatten ihm wie üblich beigestanden und seine kleine Privatarmee mit noch einigen zusätzlichen Kräften ergänzt. Und so zählten nun die besten Männer der größten, berüchtigten Drei-Buchstaben Organisationen Amerikas zu seinen Schergen, bereit für Anstand, Moral und das gelobte Land der Freiheit im internationalen Einsatz mit den Unsitten, die drohten, aufzuräumen.
Doch als er dem ungläubigen, um nicht zu sagen verständnislosen Blick seines Stars begegnete, rollte Stumblehead genervt mit den Augen. Angelo Multobene, von dem Stumblehead etwas mehr Verständnis, beziehungsweise Intelligenz und Einsicht erwartet hatte, sah nur ähnlich irritiert in die Gegend. Mehr noch, er wich Stumbleheads Blick absichtlich aus, fast als erschiene ihm dessen Vorschlag als abwegig oder an den Haaren herbeigezogen. Dabei müsste er von allen anderen doch am besten verstehen, wie wichtig es war, den guten Ruf der Serie zu erhalten. Vor ‚Agents on Fire‘ war Angelo ein Niemand gewesen, ein unbeschriebenes Blatt, einer der zahllosen Schauspieler, die sich mit Gelegenheitsjobs und zufälligen, unsäglichen Rollen im Werbefernsehen oder auf Verkaufskanälen über Wasser hielten. Mit 45 Jahren war der Zug für ihn eigentlich schon längst abgefahren. Niemand hatte vermutet, dass er es noch zu etwas bringen würde.
Finn Cackleford besaß zumindest schon vor Drehbeginn einen Namen. Seine Karriere war nach dem jugendlichen Höhenflug zwar stetig bergab gegangen, aber zumindest war er kein vollkommen Unbekannter. Ein Umstand, von dem Stumbleheads Show durchaus profitiert hatte. Es kam immer gut in der Presse, von Comeback zu reden, ganz zu schweigen von der Erfahrung, die ein Profi-Schauspieler mitbrachte. Um so mehr verwunderte Stumblehead Cacklefords Reaktion auf seinen Ausbruch. Gut, die Pferde waren eventuell mit Stumblehead ein wenig durchgegangen. Was ein unbeachteter Routine-Empfang mit ein wenig Presse werden sollte, entwickelte sich zu einem flammenden Plädoyer für die unangreifbaren Urheberrechte der Fernsehschaffenden. Finns Gesicht war während seines Vortrags länger und länger geworden, und wo Stumblehead stehende Ovationen erwartete, reagierte dieser lediglich mit großen Augen, ähnlich dem seelenvollen Blick, der er gewohnt war, in den emotionalsten Szenen der Serie seinen weiblichen Partnerinnen zuzuwerfen, bevor, während oder nachdem er sie vor unbeschreiblichen Gefahren errettet hatte.
Offenbar, und zu Stumbleheads komplettem Unverständnis, schockierte Cackleford die Tatsache nicht im Geringsten, dass wildfremde Leute aus Übersee ihm seine Geschichte und seinen Charakter stahlen, um damit die unbeschreiblichsten und abstoßenden Sachen anzustellen.
Heiß fiel Stumblehead ein, dass Cackleford ursprünglich vom Theater kam, eine Tatsache, die er bisher erfolgreich verdrängt hatte. War Theater doch gleichbedeutend mit Provinz und Misserfolg. Auf der anderen Seite hielten Theater Schauspieler sich manchmal trotz allem für Künstler und beharrten darauf, einen gewissen Freigeist zu vertreten, den sich im heutigen TV-Geschäft niemand erlauben durfte. Schon gar kein Schauspieler.
Doch auch Angelo Multobene, dessen Unterstützung ihm doch eigentlich sicher sein sollte, zeigte seltsame Merkmale akuten Unverständnisses. Gerade auf Stumbleheads Tirade gegen die Verunglimpfung vorbildhafter Charaktere durch Unterstellung sexueller Perversionen, reagierte Angelo mit kritisch schief gelegtem Kopf und verschränkten Armen.
Überhaupt fehlte es, Frances Stumbleheads Ansicht nach, enorm an Applaus. Aber er tröstete sich mit der Vermutung, es liege wohl an der mangelhaften Übersetzung seiner Worte, dass nicht die komplette Anzahl der geladenen Gäste ohne zu zögern alles stehen und liegen ließ, um umgehend loszustürmen und Rache zu suchen.
Nun, eigentlich war es kein Wunder, dass es wieder an ihm lag, den Tag und jedermanns guten Ruf zu retten. Seine Entschlusskraft hatte ihm seinen Ruhm gesichert, und seinen Eingebungen würde er stets folgen, um jeden Preis.
Stumblehead trat vom Podium und winkte seinen Leibwächter, Nummer 1 zu sich. Der Mann rückte den Knopf im Ohr gerade und kam stechenden Blickes näher. Ohne auf eine Frage zu warten, berichtete er über die Erfolge, sprich Misserfolge der deutschen Polizei. Weder ihr, noch dem ansässigen Geheimdienst war es bis jetzt gelungen, die verdächtige Person aufzuspüren und gefangen zu setzten.
Stumblehead lobte sich diesen Enthusiasmus, wenngleich ihm die Neuigkeiten weniger gut gefielen. Nun, was hatte er auch von den deutschen Behörden erwarten können. Wenn man etwas erreichen wollte, musste man heutzutage investieren. In diesem Fall in seine kleine Privatarmee, welche den mit ihm eingeflogenen staatlich subventionierten Agenten hilfreich unter die Arme greifen sollten.
„Hat er das ernst gemeint? Das mit dem ‚tot oder lebendig‘?“, fragte Finn schließlich und lehnte sich zu Angelo hinüber, als er für seine vorherige Frage noch keine Antwort erhalten hatte. Der Dunkelhaarige zuckte nur wieder mit den Achseln. „Was weiß ich“, murmelte er schließlich mit dem Unterton der Verdrossenheit.
Finn raufte sich die Haare. „Ich hab, ehrlich gesagt, nicht vor, Aushängeschild für eine derartige Aktion zu spielen.“
Angelo kratzte sich an der Nase und blinzelte zu Stumblehead herüber, der sich mittlerweile umringt von schwarzen Anzügen im gewohnten Befehlsmodus befand. „Ich bin nicht sicher, ob wir da wirklich ein Mitspracherecht haben. Ich meine, die Serie läuft gut, und Stumblehead trägt die Verantwortung, beziehungsweise, er liefert die Moneten. Ohne ihn geht wohl nichts.“
Finn schüttelte den Kopf. „Na großartig. Das hat mir gerade noch gefehlt. Kann es eigentlich sein, dass die Zuschauer noch verrückter werden? Ich dachte wirklich, ich hätte schon alles gesehen. Vor allem nach meiner ersten Filmrolle als blutgieriger Vampir.“ Angelo grinste. „Bleichgeschminkte Fans mit künstlichen Zähnen?“ Finn runzelte die Stirn. „Wenn es das nur gewesen wäre.“
„Es gibt eine Spur“, dröhnte Stumbleheads Stimme durch den Raum. „Wo sind meine Stars? Ich brauche sie vor Ort. Der Sache muss ein für alle Mal Einhalt geboten werden.“
„Oh Mann“, stöhnte Finn. „Ich glaube, ich kündige.“
„Mach das bloß nicht!“ Angelo zog erschrocken die Augenbrauen in die Höhe. „Ich meine, ganz im Ernst… tu das nicht.“
„Wieso denn nicht?“ Finn sah seinen Kollegen erstaunt an. „Irgendwann wird die Show ohnehin enden müssen. Besser man geht rechtzeitig, bevor sich alle über einen kaputt lachen.“
Angelo biss sich auf die Unterlippe. „Meinst du wirklich, dass es so sein muss. Und selbst wenn, es wäre doch schade, wenn wir nicht mehr zusammen… zusammen vor der Kamera ständen.“
Finn blinzelte. Und zum zweiten Mal an diesem Tag war es ihm, als hätte er sich verhört. Konnte es sein, dass er die Untertöne falsch interpretierte? Konnte es sein…?
In diesem Moment fühlte er eine schwere Hand auf seiner Schulter. „Mein Lieblingsstar“, dröhnte Stumblehead. „Los geht es. Wir werden ein Zeichen setzen. Ein für alle Mal klar machen, dass so etwas mit uns nicht funktioniert. Als eine vereinte Front gibt es nichts, dass sich unserer Entschlusskraft entgegen setzen kann.“
Und er führte Finn aus dem Empfangssaal in die Halle, durch deren weitreichende Glaswände bereits die Kolonne glänzender, deutscher Wägen zu erkennen war, welche die Versammlung an einen anderen Ort bringen sollte.
*
zu finden
hier
oder direkt im Verlag.