Sonntag, 23. August 2009

Panther

Titel: Panther
Autor: callisto24
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Panther


Doch was war mit ihm, mit dem perfekten Mann? Gutaussehend wäre untertrieben. Eine Schönheit war er, eine Schönheit im klassischen Sinn, sein Erscheinungsbild gewürzt durch die kleinen Unebenheiten, die Narben, die bewiesen, dass er lebte, dass er wagte und kein Risiko scheute. Sie mochte es, ihn anzusehen. Sie bewunderte sein Aussehen, so wie wohl jeder es bewunderte, der ihn zu Gesicht bekam. Bereits in seiner Jugend war er aufgefallen, seine Attraktivität hatte ihm Wege geebnet, die anderen auf immer verbaut geblieben waren. Schön war er, wirklich schön. Dunkles Haar umrahmte die klassischen Züge. Lange Wimpern warfen Schatten über große, seelenvolle Augen. Hohe Wangenknochen charakterisierten einen Ausdruck, der Weichheit und Härte auf bislang unbekannte Art vereinte.
Und doch wusste sie, dass das Äußere nur aus Schall und Rauch bestand, vergänglich war, keine Grundlage bildete für eine Seelenverwandtschaft, hochgegriffen, oder auch nur für eine schwache Anziehung, die manches Mal doch auch ausreichte.
Ein Wort, eine Geste, ein falscher Ton konnte den erweckten Eindruck zerstören und die attraktive Schale als das entlarven, was sie war. Und dann gab es kein Zurück, kein Überdenken, keine Errettung vor der Wahrheit. Eine zerstörte Illusion ließ sich nicht reparieren, der in tausend Scherben zerbrochene Eindruck war unmöglich zusammenzusetzen, unmöglich in die Gestalt zurück zu verwandeln, die einst die Anziehung ausgeübt hatte.
Und doch fiel ihr Blick niemals auf einen Mann, dem die körperlichen Vorzüge abgingen, die sie an ihm so bewunderte. Sie gestand sich ein, der Oberflächlichkeit in ihrem Charakter größere Bedeutung einräumen zu müssen, als ihr Intellekt dieser zugestand. Und sie schämte sich, wenn auch nicht wirklich.
Denn nüchtern betrachtet, und von außen gesehen, so blieb ihr nur dieses eine, nur dieses Leben, und was sie daraus machte, lag in ihren Händen. Warum sollte sie nicht nach den Sternen greifen? Warum nicht dem Auge Gefälligkeiten gönnen, sich an dem leisen Lächeln erfreuen, das ein hübscher Anblick in ihr hervorrief. Warum nicht die Schmetterlinge flattern lassen, die sich regten, wenn sein muskulöser Körper den Weg am Schwimmbecken zurücklegte, wenn kleine Wassertropfen über bronzene Haut perlten, die Haare sich feucht im Nacken ringelten, Muskeln und Sehnen ein Spiel spielten, das zu betrachten, ihr nie langweilig wurde.
Ja, er war schön, wie er mit langen Schritten den Weg zu ihr durchmaß, als teilte er das Meer, wie sein Lächeln blitzende, weiße Zähne entblößte, wie seine dunklen Augen in der Sonne funkelten.
Er war schön, und Schönheit war ein Gut, das seiner Beachtung verdiente. Und doch, tief in ihrem Herzen wusste sie, dass Schönheit nicht ausreichte, niemals ausreichen konnte.
Doch wenn sie tiefer in ihn hineinsah, so wuchsen die Zweifel. Sie streckten ihr knochige, unheilverkündende Äste entgegen, und so sehr sie auch versuchte, sich an die jungen und grünen Triebe der Hoffnung zu klammern, so sicher war sie doch, dass diese brächen, sollte sie nur ein einziges Mal gezwungen sein, richtig zuzupacken.
Kein Zweifel, es handelte sich bei ihm um einen Karrieremenschen. Und in diesem Paket trug er alles, was mit dieser Kategorie zusammenhing. Die blendende Erscheinung wurde zur Notwendigkeit. Der elegante Kleidungsstil zu einem Markenzeichen.
Jedoch zu einem Markenzeichen, das ihr selbst so vollkommen fremd, so unglaublich fern ihrer eigenen Art war, dass sie niemals auch nur in Erwägung gezogen hatte, sich ihm zu nähern.
Sie mochte keine Anzüge, sie verabscheute Krawatte und Fliege. Und mit Sicherheit verachtete sie jeden Beruf, jede Aufgabe, die deren Verwendung voraussetzte. Ihr Freigeist distanzierte sich von den Zwängen der Modeindustrie und es lag ihr ferner denn je, einen Kompromiss einzugehen.
Bis auf ihn. Sie konnte es ertragen, ihn im Anzug zu sehen. Und sie konnte es ertragen, zuzugeben, dass diese Kleidung ihm schmeichelte. Wenngleich ihr ebenso klar war, dass jede Art von Kleidung seiner Erscheinung schmeicheln musste, nur den Rahmen bildete für die Perfektion, die er verkörperte.
Und weitaus ernster und beunruhigender gestaltete sich ihr die Erkenntnis, dass sie auch seine Tätigkeit ertragen konnte, dass sie vielleicht sogar verstand, was er tat, warum er es tat. Sicher, sie suchte Entschuldigungen für sich, für ihn. Sie forschte nach den Gründen, den Ursachen, die ihn zu dem gemacht hatten, der er nun war.
Den Gründen, die ihm seine Skrupel genommen hatten, und seine moralische Integrität, sollte er denn jemals ein solche besessen haben.
Denn sicher war sie sich diesbezüglich nie. Auf welche Seite er gehörte, konnte sie nie mit Bestimmtheit angeben. Die Fassade, die er um sich errichtet hatte, war zu lückenlos, zu unangreifbar, zu sehr mit seinem Wesen verschmolzen, als dass es klug sei auf ihn zu bauen, ihm auch nur in einer einzigen Beziehung zu vertrauen.
Grau, das war er, bewegte sich in einer Zwischenwelt, und tanzte innerhalb dieser Grenzen von einer Seite zur anderen, nicht fassbar, nicht einschätzbar, unbeständig und doch die Illusion eines unzerstörbaren Selbstvertrauens verbreitend.
Der Mann war moralisch nicht fassbar, und sie wusste nicht, ob sie damit zurecht käme, ob sie mit sich selbst zurecht käme, wenn sie sich auf ihn einließe, sich wirklich auf ihn einließe. Denn im Grunde war sie bereits verloren, hatte sich lange schon verfangen, in dem Netz, das er ausgeworfen und dann enger und enger um sie gewoben hatte.
Sie kreiste um ihn, angezogen und gleichzeitig abgestoßen. Auf einer Bahn, die vorherbestimmt war, keine Erschütterung und keine Fragen kannte.
Und mit ihr kreiste die stetige Unsicherheit. Jede Faser ihres Körpers verriet ihr, dass sie ihm nicht vertrauen konnte, dass sie ihm nicht vertrauen durfte, wollte sie ihr eigenes Seelenheil nicht gefährden.
Und doch schien manches Mal eine Wärme in seinen Augen, die ihr Herz rührte, die es ihr unmöglich machte, ihn zurückzuweisen, die von ihr verlangte, sich ihm hinzugeben, sich auf seine Seite ziehen zu lassen und ihm zu glauben, welch abstrakte, gleichzeitig verführerische und doch gefährliche Gedanken er darlegte.
Bänder existierten, die ihn hielten. Reich war er an Gefühlen, und reich an Möglichkeiten, diese auszudrücken. In seinen Fehlern zeigte er Größe, und die Vergebung, die ihm allerorts zuteil wurde, tat ihr Übriges.
So leicht konnte er die Menschen für sich gewinnen, Meinungen in seinem Sinne ausrichten. Und so leicht konnte er sie gewinnen.
Sie verzieh ihm stets. Verzieh ihm jede Schuld, die er auf sich lud. Sie suchte nach Erklärungen und nachdem sie diese erkannt und aufgedeckt hatte, dünn und fadenscheinig, sah sie die Liebe in seinem Herzen und umfing ihn dankbar. Auch wenn es nicht immer ausreichte, wenn es eigentlich niemals ausreichte.
Viel zu oft stellte sie sich die Frage, ob diese Beziehung gut für sie war. Viel zu oft schwebte sie in der Furcht, einen Fehler zu begehen, eine Richtung einzuschlagen, die sie fortführte, von allem, was ihr bislang wichtig gewesen war, was sie für die Grundzüge ihres Wesens hielt.
Und doch konnte sie den Gedanken nicht von der Hand weisen, dass es da vielleicht mehr gab, dass verschüttet in ihrem Unterbewusstsein eine Frau lebte, für die moralisches Grau die Farbe war, in der sie sich wohlfühlte. Eine Frau, die es nicht nur verstand, dass die Lüge und der Betrug zu einer Notwendigkeit werden konnten, sondern die beides aus freien Stücken zu einer Kunstform erhob, sich in der Sünde wälzte und den Schmutz auf ihrer Seele als Schmuck trug.
Eine Frau, die angezogen wurde vom Hunger nach Erfolg. Eine Frau, die alles tat, um in das Licht der Öffentlichkeit zu gelangen, das Leben zu führen, um das sie die ganze Welt beneidete. Eine Frau, die Karriere machte, mit ganzem Herzen und ganzer Seele, und die keine Opfer scheute, wenn es ihrer Sache diente.
Und wenn diese Frau in ihr schlummerte, dann suchte sie nach ihm, dann war er der Partner, mit dem sie sich schmückte. Und dann war sie die Partnerin, die er sich wünschte, die ihn ergänzte.
Vielleicht – denn vielleicht entstünde auch Konkurrenz, vielleicht wären zwei Haifische einer zu viel im Becken. Vielleicht gingen sie sich an die Kehle, und vielleicht lag darin der Grund, dass diese Frau, eine Frau, die über Leichen ging, um ihren eigenen Status zu festigen, eine Frau, die keine Rücksicht und kein Mitleid kannte, zu tief in ihrem Inneren verborgen war, als dass sie jemals das Licht des Tages erreichten konnte.
Sie wollte die Parallelen nicht sehen, die sie mit ihm verbanden, und zugleich hinderte sie diese bewusste Blindheit daran zu fühlen und zu verstehen, was es war, das sie an ihn kettete.
Er war so geschniegelt, so glatt, und doch von einer verborgenen Tiefe, so glaubte sie. So musste sie glauben, wollte sie nicht wahnsinnig werden bei dem Gedanken an seine Nähe.
Und so schob sie von sich, was sie nicht wissen wollte, blieb an einem Punkt stehen, der kaum die Oberfläche berührte. Sie blieb dort, wo sie ihn betrachtete, wo sie ihn ansah, ihn bewunderte. Wo sie den Glanz empfand, der ihn und sein Wesen umströmte.
Und sie kehrte zurück dorthin, wo seine Erscheinung ihre Stimmung erhellte, wo die Schönheit den Trost bot, den die Gedanken nicht geben konnten, den sie sich im Gegenteil verbaten.
Sie blieb dort, wo ihre Finger seine feuchte Haut berührten, wo ihre Augen sein Haar streichelten, ihre Beine sich um seine Hüften schlangen, die harten Muskeln über sich fühlten. Sie blieb dort, wo er sie liebkoste, wo rationales Denken, wo Gewissen oder Zweifel keinen Platz fanden.
Ja, sie liebte ihn, wenn dies denn Liebe sein konnte. Wenn Liebe eine Lüge war, ein vergänglicher Rausch, der weder Tiefe kannte, noch den Nachhall, der das Herz bewegte.
Wenn Liebe nur einen Kuss, nur eine momentane Ekstase bedeutete, die sich – sobald verklungen – in eine flüchtige Erinnerung verwandelte. Ohne Bedeutung, ohne Folgen, ohne Sinn.
Nein – sie liebte nicht ihn, sie liebte es, ihn zu lieben. Und so sehr sie sich dagegen wehrte, so war ihr doch klar, dass diese Liebe einer zeitlichen Begrenzung unterworfen war, dass sie mit jedem Tag, mit jeder Minute auf das Limit zusteuerte, dessen Erkenntnis zugleich das Ende bedeutete.
Und wenn sie Glück hatte, dann fand sich vor diesem Augenblick jemand, der mehr bedeutete, der mehr war, als Schönheit, mehr als Erfolg, mehr als Karriere und Geltungssucht. Mehr als der schöne Schein, der mit einem Augenzwinkern verging und von dem nichts zurückblieb als leere Luft, mehr als das Vakuum, das entstand, wenn der Panther geschmeidig ausschritt, um neue Beute zu suchen. Wenn verräterisch süchtige Augen kalte Schauer über ihren Rücken jagten und ein Aufblitzen der scharfen Zähne das Fauchen ankündigte, das seinen Gang begleiteten.
Sie wird ihn immer bewundern, doch niemals vermissen.

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