Freitag, 22. Mai 2009

Oh, the places you'll go

Oh, the places you'll go

Spoiler, Spoiler… ernsthafte Spoilerwarnung!

Wer die siebte Staffel von 24 oder Redemption noch nicht gesehen hat, liest auf eigene Gefahr.


Persönliche, unfertige und unflätige Gedanken zum Seriengeschehen:


Das war’s also mal wieder. 24 Folgen in Echtzeit.
Wie lange habe ich darauf gewartet. Um ehrlich zu sein, lange genug, dass meine Begeisterung für diese Serie und für Jack Bauer im Speziellen empfindlichen Schaden genommen hat.
So ist das eben mit ernsthaften Beziehungen. Geben sich nicht beide Seiten reichlich und ununterbrochen Mühe, so lässt die Liebe rasch nach.

Und 24 legte einfach schnöde, und ohne sich bei mir zu entschuldigen, eine unvorstellbar lange Sendepause ein. Treulosigkeit nenne ich das.
Gewiss – ich gab mir Mühe, hielt mich zeitweise mit Fanfiction über Wasser. Doch da diese treulosen Typen von 24 global derartig ungehobelt mit ihren Fans umsprangen, so ist es kein Wunder, dass es mit der Fiction weniger und weniger wurde, der Slash praktisch komplett ausstarb, und bis auf neckische Anekdoten über Kiefer Sutherland nichts geboten wurde. Der Serienfan als solcher benötigt aber ständige Aufmerksamkeit in Form von Blumen, Schokolade und romantischen Treffen. Anders gesagt neue Folgen, noch mehr neue Folgen, und dann noch mehr neue Folgen.
Gab es nicht – keine einzige. Dann wurde Kiefer Sutherland sesshaft, und anständig, und der letzte Strohhalm, an den ich mich klammerte, war dahin.

Aber alte Liebe vergeht nie so ganz, und 24 legte sich Ende letzten Jahres ins Zeug, um vergangene Fehler auszubügeln. Zuerst servierten sie uns einen zweistündigen TV-Film, der die Brücke zwischen 6. Staffel und 7. Staffel schlug.
Schön gemacht, dieser Film, mit den allerbesten Absichten, auch auf dem ethisch-moralischen Sektor.

Gewiss – jede Dokumentation zum Thema Kindersoldaten und Gräueltaten im eigentlich gar nicht so weit entfernten, und dennoch so fremden Kontinent Afrika, wirkt erhellender, als die Erfindung eines ganzen Landes, in dem unser guter Jack Erlösung von seinen Sünden sucht, indem er an einer Schule bastelt.

Hauptsächlich weil der Zuschauer sich mit dem Wissen trösten kann, dass dieses spezielle, fiktive Land eben gar nicht existiert.
Kinder und Erwachsene wirken – mit Ausnahme von Robert Carlyle – auffällig gesund und stabil – außer, wenn auf sie geschossen wird. Aber wir wissen ja alle, dass ihnen mit Jack an ihrer Seite nichts geschehen kann – also fast nichts.

Im Großen und Ganzen eine recht nette Unterhaltung, die allerdings den Vergleich mit Filmen wie Blood Diamond nicht mal im Ansatz aushält.
Gehen wir allerdings davon aus, dass ein durchschnittlicher 24 – Fan sich insgesamt nicht sicher ist, ob Afrika überhaupt existiert, geschweige denn was es darstellt und mit unserem gemütlichen Leben zu tun hat, dann wirkt dieser Film sich möglicherweise doch aufklärerischer aus, als ich ursprünglich annahm.


Auf jeden Fall spannt er sehr schön besagte Brücke zwischen den Staffeln, führt eine Präsidentin, deren Familie und Teile des Stabes ein, deutet an, dass es auch in fiktiven afrikanischen Ländern erheblich düsterer zugehen kann, als man annehmen möchte, und erwähnt sogar einen der Übeltäter, welcher Staffel 7 benutzt, um zur Hochform aufzulaufen.
Nicht nur dass er Angelina Jolies Vater ist, nein – er treibt es noch schlimmer. Jon Voight ist Waffenhändler, Kopf einer Ansammlung fieser Söldnertruppen, und außerdem irgendwie total irre. Aber das wäre wohl jeder, wenn jeder zweite, der ihm ins Gesicht sieht, die Ähnlichkeit zu seiner Tochter erwähnt. Ehrlich – die Lippen aufgespritzt, und er ist Angelina in blond.

Waffenhändler – bezahlte und von der Regierung beschäftigte kaltblütige Söldnertruppen, die in allen Teilen der Welt ihr Unwesen treiben – das hört sich derartig realistisch an, dass es schon richtig gut ist.

Nicht nur das, der wahnsinnige Jon Voight schreckt auch nicht davor zurück, mit Biowaffen zu experimentieren, Massaker am Ende der Welt, wo sie keinen interessieren anzurichten, und den ausführenden General Tony Todd… obwohl dieser als Candyman eigentlich noch fieser war, schnell mal nach Washington zu schmuggeln, damit er das Weiße Haus kidnappen kann.

Also, es geht wahrhaftig ziemlich ab, dass muss ich gestehen. Die 7. Staffel bietet eine ganze Menge Erfreuliches.

Natürlich ist das Erfreulichste aller Dinge die Rückkehr des toten Tony Almeidas. Milliarden Jack/Tony Anhänger jubelten, bis… bis sie Tonys Frisur sahen.
Ein harter Schlag für die Fangemeinde. Haare, die praktisch kaum vorhanden waren. Statt dessen eine Art Drei-Tage-Bart, um das Zweifelhafte des Charakters zu unterstreichen.

Richtig – es handelt sich um die Frisur für einen Bösewicht. Komisch eigentlich, dass sie Tony nicht auch rauchen lassen – üblicherweise ein sicherer Hinweis.
Aber wir bleiben mit Tony zweifelhaft, weshalb ich auch Hoffnung für das Jack/Tony Fandom hege.

Gut, der eigentlich tote Tony lebt. Warum eigentlich interessiert auch niemanden. Ein längst vergessener, und von Jack gemeuchelter Bösewicht, Robocop, aus Staffel 5, dosierte verkehrt, oder mischte heimlich ein Gegengift in die tödliche Spritze… irgendetwas in der Richtung.

All das nur, damit Tony sich in die heiße Liebesaffaire mit dem Typ aus Highländer und aus Stargate werfen konnte. Hauptsächlich wohl, um Jack vergessen zu können, der in der Zwischenzeit in einem chinesischen Gefängnis schmorte, und sich nach Tony verzehrte, den er für tot hielt.
Soweit – so verwirrend.

Ein aufrechter Senator nahm Jacks, sich über Jahrzehnte hinziehende Protokollverletzungen nicht mehr hin, und zitierte ihn vor einen Senatsausschuss.
Natürlich wäre Jack niemals freiwillig dort erschienen. Er versteckte sich lieber in Afrika oder Indien, um den Konsequenzen seiner Untaten zu entgehen.

Jedoch die sanfte Erpressung von Ally McBeal’s Gil Bellow, ließ ihn an das Wohl später nicht weiter erwähnter Kinder denken, und Jack stellte sich opferbereit, und edelmütig – Jack eben – den wütenden Senatoren und der Aussicht auf noch mehr Gefängnis – diesmal gewürzt mit amerikanischen Foltermethoden.

Natürlich fühlte Jack, dass er durch die Handvoll Kinder, die er aus einem dem Untergang geweihten Land, gerettet hatte, und die danach niemand mehr gesehen hat, ausreichend im Recht war, um vor dem Senat große Töne zu spucken.

Doch bevor ihm der hyperaktive Vater aus den wilden Siebzigern in seiner Verkleidung als Senator an die Gurgel gehen konnte, näherte sich schon die Rettung.

Diesmal zur großen Freude des weiblichen Publikums, und des Teils an männlichem Publikum, das sich an hübschen Frauen erfreuen dürfte, handelte es sich um eine Vertreterin des schönen Geschlechtes.
Ganz genau… wir haben jetzt einen weiblichen Jack Bauer.

Da die CTU aus verständlichen Gründen – ich meine – was haben die alles angerichtet? – abgeschafft wurde, gehört Renee Walker dem FBI an, das – wie Chloe uns später lehrt – mit absolut unzureichendem technischen Equipment arbeitet. Ein Skandal!
Weshalb Chloe auch nicht zum FBI wechselte, sondern stattdessen ein Kind in die Welt setzte, Morris nervte, und im Untergrund zwielichtigen Geschäften mit ihrem ehemaligen Boss nachging.

Bill – besagter Boss – gewann in Staffel 7 definitiv, schon allein durch sein wildes Outfit. Weiße Locken – schwarzer Rollkragenpulli – sehr heiß.
(Nicht, dass ich von Haaren oder Äußerlichkeiten besessen wäre.)
Wobei mir einfällt – auch Jack sieht phänomenal gut aus. Ein heller Mantel, so etwas Ähnliches wie eine blondierte Stirnlocke – ganz entzückend.
Und erst, wenn er sich dann entkleidet und in etwas Bequemes schlüpft – schusssichere Weste über hautengem Kampfanzug – spätestens dann können wir verstehen, dass Renee bei seinem Anblick ihren Liebhaber, der zufällig auch FBI Chef ist, im Regen stehen lässt.

Zurück zur Handlung. Renee präsentiert Jack den wiederauferstandenen Tony. Dieser ist merklich erschüttert, und selbstverständlich sofort bereit, Anhörung Anhörung sein zu lassen, und sich auf dunkle Pfade zu begeben.
Beziehungsweise – er prüft erst einmal, ob Tony wirklich so böse ist, wie er tut, wenn er fiese Attacken gegen amerikanische Zivilisten organisiert.

Selbstverständlich dauert es nicht lange, und Jack kommt Tonys Zusammenarbeit mit Bill und Chloe auf die Spur, welche natürlich den hehrsten Motiven entspringt.
Jack und Tony arbeiten zusammen – die Fans schmelzen dahin – ihre Liebe lebt.

Renee zweifelt noch ein wenig an Jacks Methoden, aber ein Blick in seine meergrünen Augen, und jeglicher Einwand des langweilig moralischen Chefs versinkt im Nebel der Verzückung.

Ganz nebenbei plant die Präsidentin schnell mal den Einmarsch in dem erfundenen Land, bemuttert ihren vom Tod des gemeinsamen Sohnes besessenen Ehemann, und trifft sogar auf Jack. Worauf auch diese Frau seinem Charme erliegt, und sich den Rest der Staffel um unseren armen Agenten sorgt.

Dazu hat sie natürlich auch allen Grund.
Überstand das weiße Haus, und ein Großteil seiner Bewohner zwar die Besetzung durch Candyman und seine Mannen, so ist die Gefahr damit noch lange nicht gebannt.
Jon Voight kehrt mit bösen Plänen zurück, und arbeitet an der Vernichtung demokratischer Wertvorstellungen.

Weder Jack, noch die Präsidentin können das dulden. Außerdem sind wir grad erst bei der Halbzeit der Staffel.

Der Stargate und Highlander Mensch ist inzwischen auch tot, aber Tony ist es egal, weil er hat ja jetzt Jack wieder. Sie küssen und knuddeln und feiern Wiedersehen mit Kerzen und Rosenblättern… in meiner Vorstellung zumindest.

Doch ist da noch Renee. Ich gebe zu, ich war von Anfang an skeptisch ihr gegenüber.
Zum einen machte sie Jack vollkommen unpassend schöne Augen. Dabei sieht doch jeder, dass Jack und Tony füreinander bestimmt sind.
Dann trägt sie die gleiche Haarfarbe wie Chloe? Wieso nur? Muss 24 sparen – beide Frauen sich eine Packung Färbemittel teilen?
Und dann auch noch rot – dieses künstliche rot, das aus der Tube kommen muss. Ich werde nie verstehen, wie sich jemand freiwillig die Haare rot färben kann. Aber das liegt daran, dass ich mit Spitznamen wie Karotte oder Pumuckel aufwachsen durfte. Natürlich rotes Haar ist einfach wenig berückend.

Und überhaupt – warum färbt sich Chloe dauernd ihre Haare. Das verwirrt mich.
Aber gut, zumindest ist Renee nicht blond. Ich bin immer noch traumatisiert von Audrey. Noch eine Blondine für Jack verkrafte ich nicht.
Also – Renee ist ausbaufähig, und hart im Nehmen. Sie besitzt sozusagen das Jack-Bauer-Gen.
Im Laufe von 24 Stunden wird sie erschossen, eingebuddelt, mit Plastikfolie erstickt, und behält nichts davon zurück, außer einem lächerlichen Pflaster am Hals.
Sie erträgt sogar die eifersüchtigen Blicke, die Tony, Bill und Chloe ihr zuwerfen, sobald sie versucht, sich Jack an den Hals zu werfen.

Fairerweise muss gesagt werden, dass niemand ihr daraus einen Strick drehen dürfte.
Schließlich erhält Jack wiederholt die Gelegenheit, auf höchst attraktive Art und Weise zusammenzubrechen. Und niemand – ich wiederhole – niemand kann einem zusammenbrechenden, verletzlichen, emotional gestörten Jack widerstehen. Wieso sollte Renee dies schaffen?

Die Schuld liegt also bei Jack, und er wird von seiner Schuld freigebetet. Wir brauchen uns keine Sorgen um ihn zu machen.

Nun gut – das Schlimmste kommt noch – die Präsidenten befördert ihre labile Tochter solange, bis sie ihr richtig Schwierigkeiten bereiten kann – Bill opfert sich, damit Jack sich nicht opfern muss - dieser egoistische Wurm – und Jon Voight plant Raketen mit Biowaffen wahllos in der Gegend herum zu schießen.

Genug zu tun für Jack. Nachdem er Bill und damit seinen schon wieder nicht funktionierten Selbstmordplan ein wenig betrauert hat, geht er Jon Voight an die Kehle.
Zum Beispiel rettet er die Menschheit vor irgendwelchen ominösen Krankheitserregern. Und da Jack sich permanent im Selbstaufopferungsmodus befindet, dreht er dem Erreger den Hahn ab, in dem er sich selbstlos vor dessen Flinte wirft.

Jack ist exposed. Und das kommt richtig gut. Nicht nur, dass er einen öffentlichen Strip hinlegen muss – mitten auf der Straße – vor Tausenden von interessierten Zuschauern – nein, er wird auch noch kalt abgeduscht, in ein weißes Hemdchen gekleidet und unter Quarantäne gestellt.

Hinfort mit der schnittigen, schwarzen Kluft – herbei mit luftigen Krankenhausklamotten.
Ziemlich bald, und damit Jack nicht den Rest der Staffel in einem abgeriegelten Zimmer verbringen muss, stellt eine attraktive Ärztin fest, dass die Sache zwar für ihn tödlich endet, er allerdings für andere keine Gefahr darstellt.
Welch eine Erleichterung. Jack darf sich wieder unters Volk mischen, und sich in den ergriffenen Blicken Renees oder Tonys baden.

Tony ist auch nicht völlig untätig. Er schleicht im Hintergrund herum, und betätigt sich als Außendienst – Agent von Gnaden des FBIs. Ganz recht, Tony macht sich gut – trotz komischer Frisur und traurigem Blick, ausgelöst aller Wahrscheinlichkeit nach durch Jacks Weigerung sich öffentlich zu ihrer Liebe zu bekennen.

Chloe ärgert die nette FBI-Chloe, Janeane Garofalo, und Renee übernimmt das Kommando.
Jack bekommt in der Zwischenzeit Anfälle, schafft es aber dennoch Jon Voights Raketen zu entschärfen… oder so ähnlich. Er arbeitet einfach von der FBI-Zentrale aus und wir erinnern uns aus früheren Tagen, dass Jack durchaus auch fähig zum Büro-Job ist.
Leider verursacht er ein wenig Unordnung, durch wiederholtes Zusammenbrechen, Umreißen von unschuldigen Tischen und Stühlen und wüstes Herumzucken auf glänzendem FBI-Boden.

Das geht natürlich nicht, weshalb die hübsche Ärztin, Jack ein Paket Spritzen überreicht, und ihn in den Außendienst zurückversetzt.
Spritzen – ganz recht. Neben Jacks Bürotätigkeiten erinnern wir uns auch an seine Heroinsucht. Mit Spritzen kennt sich der Mann also aus, und als wahrer Junkie fackelt er auch nicht lange, sondern beginnt sofort damit, sich eine Spritze nach der anderen in den Arm zu rammen.

Das – kommt –gut.
Für mich, denn ich liebte Jack in Staffel 3, und ich liebe Jacks Tendenz zur Selbstzerstörung.
Gut, da er hier ohnehin zum Sterben verdammt ist, braucht der Fan sich wohl auch keine Sorgen über mögliche Folgen exzessiven Medikamentenmissbrauchs zu machen.

Das Gift, dem Jack sich so todesmutig aussetzte, führt übrigens neben Zuckungen, Krämpfen und gelegentlichem Augenrollen auch noch zu netten Halluzinationen. Es handelt sich also um etwas Neurologisches. Trotzdem kommt niemand darauf, Dr. House zu rufen.

Ist auch nicht notwendig, denn zufällig befindet sich Jacks Tochter in der Gegend, deren Stammzellen eine experimentelle Therapie erlauben.
Natürlich will Jack Kim nicht sehen. Er ist immer noch beleidigt, da sie in Staffel 5 nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Als wäre sie die Einzige, und als würde ihm das sonst etwas ausmachen?

Nun gut, Jack sagt ‚Nö‘ zur experimentellen Therapie, und überhaupt zum Wiedersehen mit der verschollenen Tochter. Er ist und bleibt eben doch ein Sensibelchen.

Aber Renee ist eine Frau, und weiß daher wie wichtig Familienzusammenführung in Krisenzeiten sein kann. Sie stellt Kim zu Jack durch, und beide versöhnen sich herzzerreißend. Kim versteht, dass Jack keinen Bock darauf hat, Versuchskaninchen für Experimente zu spielen.

Vielleicht ist sie auch die Einzige, die Jacks permanenten Todeswunsch akzeptiert, den dieser seit dem Tod ihrer Mutter mit sich herumschleppt.

Zu blöd, dass ihm der finale Schritt einfach nicht gelingen will.
Er hat nun wirklich, wirklich alles Erdenkliche versucht.
Es begann mit Bartwuchs und dem Ertränken des Kummers in Spirituosen, setze sich fort über das wiederholte Selbst-Aussetzen radioaktiver Strahlung, diverse, bislang ungezählte Opfertode, denen jedesmal ergreifende Szenen vorausgingen.
Zudem haben wir noch den unterschwelligen, langsamen Selbstmord. Man nehme die bereits erwähnte Drogensucht, den halsbrecherischen Job, Undercover-Einsätze in der Hölle oder auch die Tatsache, dass Jack trotz Folter, Gefängnis, blutender Wunden, Herzinfarkten, lebensgefährlichen inneren Verletzungen einfach weiter munter in der Gegend herum hüpft.

Gut – Jack sagt ‚Nö‘ und Kim sagt ‚OK‘.
Sie kennt schließlich diese Verabschiedungen von Jack aus erster Hand, und weiß sehr gut, dass sein Plan nie und nimmer aufgehen wird.

Jack dagegen freut sich über eine gelegentliche Spritze und die Aussicht in absehbarer Zeit endlich ein wenig Ruhe zu finden, welche er im Grunde auch wirklich verdient hat.

Aber Stillsitzen ist nichts für Jack, zumal Tony sich schnell mal entschlossen hat, wieder böse zu werden.
Er mordet harmlose Leute, räumt netterweise noch Renees Ex-Liebhaber aus dem Weg, und blickt finster in die Gegend, während er den letzten Kanister mit Bio-Gift festhält.

Jack reicht einmal Selbstaufopfern in dieser Staffel nicht, weshalb er sich mitten ins Geschehen begibt, den Kanister schnappt, und sich dem Gift ein zweites Mal aussetzt.

FA-BEL-HAFT!
Darauf hatte ich in Staffel 3 gebaut, aber in dieser machte es auch Freude. Tür zu, und das Teil explodieren lassen, danach erschöpft zu Boden sinken.
Inzwischen macht sich auch niemand mehr Illusionen darüber, dass dieses Zeug irgendjemand anders als Jack vernichten könnte, weshalb wir leider auf den angenehmen Anblick des strippenden Jacks verzichten müssen. Keine kalte Dusche – kein Kleiderwechsel.
Und Jack trägt zudem sein Spritzenset mit sich herum, außer wenn Tony es ihm wegnimmt, um ihn leiden zu sehen.

Mittlerweile ist Jon Voight vollkommen irre geworden. Deshalb macht es auch gar nichts, dass die Tochter der Präsidentin seine Ermordung anordnet… und dann wieder nicht.
Denn der Zuschauer weiß, dass neben Tony noch weitaus üblere Gestalten hinter der Sache stecken. Ein mysteriöser Anrufer murmelt kryptisches Zeug. Eine heiße Schnecke krallt sich Tony und entpuppt sich als Mittelsfrau zwischen allem und jedem.

Da hätte ich doch fast vergessen, dass Kim immer noch existiert.
Ich liebe Kim – sie ist wunderbar. Und sie enttäuscht auch diesmal nicht.
Trotz sämtlicher Vorsichtsmaßnahmen, die Jack trifft, damit er sie glücklich wieder los wird, schafft sie es, sich in einem Raum voller harmloser Menschen an die beiden einzigen fiesen Terroristen zu hängen. Mary Page Kellar und den anderen kenne ich auch. Schicke lange Haare.

Alles selbstverständlich nur, damit die heiße Schnecke Jack ein Bild von Kim in Schwierigkeiten schicken kann, worauf dieser – wie gewohnt – seinen letzten Rest Verstandes aufgibt – und alles tut, um sein Töchterchen zu retten.

Wahrscheinlich nur, weil er noch nicht weiß, dass sie verheiratet ist. Und zwar NICHT mit Chase Edmunds. Was ich persönlich Kim nicht so schnell verzeihen werde. Der langweilige Nicht-Chase-Edmunds hat auch im Grunde nicht viel zu melden – eigentlich gar nichts. Ich finde, Chase sollte ihn aus dem Feld nehmen.

Gut – Kim in Gefahr – Jack mit Knopf im Ohr wird herzlos erpresst – Yeah! -, und befreit erst mal Tony, um sich diesem dann zum Fraß vorzuwerfen.

Natürlich ahnt er nicht, dass Tony keine phantasievollen Liebesspiele im Sinn hat, sondern stattdessen Jacks Körper ausweiden möchte, um an den letzten Rest des Biogiftes zu kommen, das noch verfügbar ist.
Jawohl – Jack hat alles kaputt gemacht, nur nicht das, was sich noch in seiner Blutbahn befindet.

Jack, obwohl halbtot, 24 Stunden im Dauerstress, verwirrt vom bösen-guten-wieder bösen Tony, lässt sich jedoch nicht so einfach irgendwo festbinden und von weißbekittelten Fieslingen auf Spritzen spießen.
Nein – er entfleucht, und irrt weiter in der Gegend herum, Tony und die heiße Schnecke auf den Fersen.

In der Zwischenzeit richtet Kim in der Flugzeug-Wartehalle ein Blutbad an. Also – nicht sie – aber wenn das Mädchen ein wenig mehr Verstand hätte, würde sie vielleicht mal die Leichen zählen, die auf ihr Konto gehen, und sich daraufhin ein wenig schuldig fühlen.
Es wird heftig geballert, Tausende unschuldiger Wachleute, Polizisten, Flugreisende und andere gehen zu Boden. Ein paar Bösewichte auch – obwohl – das waren eigentlich nur zwei.
Egal… Kim ist gerettet und nicht nur das. Sie greift ins Feuer und rettet den Laptop, der verrät, wohin Tony Jack geschleift hat.

Und Renee fährt zur Hochform auf.

Tony unterhält sich zwischendurch auch mal ruhig und entspannt mit Jacky, während er diesen an einen Zaun kettet und mit Sprengstoff versieht.
Er ist vielleicht noch ein wenig angepisst, weil Jack, in seinem Unwillen ausgeweidet zu werden, einen weiteren heroischen Selbstmordversuch unternehmen wollte. Jawohl, er setzte sich in eine Benzinpfütze und versuchte ein Streichholz anzuzünden. Dämlicherweise rammte Tony rechtzeitig die Garagenwand ein, um das Schlimmste zu verhindern, und Jack lebt immer noch.

Nicht einmal sein herzerweichendes Flehen, gerichtet an den ehemaligen Liebhaber, dieser möge ihn doch bitte, bitte in Frieden sterben lassen, berührt des verstockten Tonys Herz.

Nein, stattdessen gesteht er, dass NICHT Jack seine große Liebe ist, sondern er immer noch Michelle hinterher trauert.
Er wollte sich mit Jacks ausgeweideten Organen nur bei dem Super-Oberbösewicht einschleimen, der hinter allem steckt, was jemals an Bösem in der Serie passiert ist.

Und anstatt dass Jack das einsieht, und ihm auf seinem Rachefeldzug viel Glück wünscht – weil wir ja jetzt wissen, dass Tony nicht böse ist, sondern nur vom Rachedurst zerfressen und in ernsthafter Not nach einem Therapeuten und starken Medikamenten – beschimpft er ihn herzlos.

Also ob Jack noch nie rachedurstig gewesen wäre. Gut – er fährt nur Bösewichter mit dem Jeep über den Haufen, und lässt keine Flugzeuge abstürzen, oder setzt Biowaffen frei – aber immerhin. Das kann ja noch kommen.

Also gut, Jack als Werkzeug in Tonys Racheplan soll den oberfiesen Bösewicht von Telefonierer zum explodieren bringen.
Nur denkt er gar nicht daran, sondern lässt sich von Renee retten, die in einem hinreißenden Einsatz mit wehenden Fahnen und Haaren ihren Jack rettet.

Ihn rettet, damit er in Frieden sterben kann.
Was für ein Mist, denn jetzt hat der arme Kerl auch noch ein paar Stunden Zeit, sich über sein Leben den Kopf zu zerbrechen. Nicht gut – gar nicht gut. Vor allem, wenn man doch so einiges auf dem Kerbholz hat.

Umso besser, dass Jack im Laufe der letzten Stunden einen muslimischen Religionsexperten angeschrien, entführt und bedroht hat, bis Chloe darauf kam, dass der arme Mann unschuldig ist.
Jawohl… mit Staffel 7 entschuldigen wir uns für sämtliche politischen Unkorrektheiten betreffend unserer muslimischen Mitbürger.

Ravi Kapoor – seines Zeichens Gerichtsmediziner bei Crossing Jordan, und von dort bereits Behandlung wie Wasserfolter oder haltlose Drohungen seitens der Behörden gewohnt – verstärkt seinen Akzent und ist einfach bestrickend.

Gut, Jack war zu Beginn ihrer Bekanntschaft ein wenig unfreundlich, aber allein die Tatsache, dass Jack – nachdem ihm sein Irrtum bewusst wurde – Ravi Kapoor nicht erschossen und in der Wüste verscharrt hat, um seinen Fehler zu vertuschen – gewann ihm des guten Mannes verzeihendes Herz. Nicht zu vergessen – die tödliche Diagnose.

Letztendlich besteht ja auch kein Zweifel, dass Jack definitiv Unterstützung im spirituellen Bereich benötigt. Und Ravis schöne große Augen tun ihr Übriges.

Apropros schöne Augen. Zu Ravis Unterstützung im Bereich des Ausbadens ehemaliger 24-Sünden eilt ebenfalls der junge Mann aus Sleeper Cell, eine Serie, die ich jedem 24 Seher ans Herz legen kann.
Zuerst dachte ich Omid Abtahi wohnt mit seinem Liebsten zusammen, aber nicht jeder Drehbuchautor besitzt eine derart schmutzige Phantasie wie ich. Demnach handelt es sich um seinen kleinen Bruder, der – wir erraten es – entführt wird, damit der arme Mann erpresst werden kann, unaussprechliche Dinge zu tun. Er hält sich wacker und zur Belohnung rettet Jack seinen Bruder und ihn und darf ein Lächeln mit Ravi tauschen.
Ich glaube fast, dieser Handlungsstrang ist mein liebster.

Schon allein als der junge Mann sich - anders als Jack - entscheidet, nicht die Welt für das Überleben eines einzigen Anverwandten zu opfern, und sich hilfesuchend an uniformierte Vertreter des Gesetzes wendet – wissen wir doch, dass er der edlere Charakter ist.

Leider gehören die Uniformierten zu den Terroristen.
Ja, wer nicht Jack heißt, hat mit unliebsamen Überraschungen zu rechnen.

Aber wie gesagt – es gibt ein Happy End. Bis auf die zahllosen Toten. Und darauf, dass sich kein Mensch für irgendwelche afrikanischen Staaten interessiert, in die Amerika schnell mal einmarschiert, um zu gucken, was amerikanische Söldnertruppen und Biowaffenentwickler an der Bevölkerung so herum probiert haben, und dann schnell wieder geht, bevor sich seine tapferen Vertreter noch mit irgendwas anstecken.
Also – fast wie im richtigen Leben.

Auch das traurige Ende Jacks war eigentlich absehbar.

Was hat dieser Mann im Lauf der Staffel nicht alles unternommen, um endlich sterben zu dürfen. Und dann das.
Kaum hat er sich von allem und jedem gebührlich verabschiedet, mit Hilfe von Ravi Kapoors zweizeiligem Gebet Frieden mit dem Universum geschlossen, und sich in Vorfreude auf die Ewigkeit zur Ruhe gebettet, schon kommt die sture Kim hineingestürmt.

Wankelmütig wie sie ist, besann sie sich irgendwann zwischen Blutbad und Laptop-Rettung darauf, dass Jacks Tod sie eigentlich tierisch nerven würde.
Sie krempelt ihren Arm hoch, und besteht auf der Stammzellentransfusion… oder was auch immer. Weiteres wird uns erspart… zum Beispiel wie so etwas funktionieren soll… oder wie Jack aufwacht und feststellt, dass er immer noch auf Erden festsitzt – trotz aller Bemühungen – trotz Freispruch von Ravi Kapoor.

Übrigens… so schnell möchte ich auch mal Frieden finden. Andere Leute irren jahrzehntelang von Kirche zu Kirche, diskutieren sich den Kopf heiß mit Vertretern des Klerus, versuchen sich an Buddhismus, Wicca und jeder anderen noch so geringen Chance mit Hilfe von Religion oder Philosophie einen Sinn zu erkennen.
Und für Jack reicht ein Zwei-Zeilen-Gebet?
Er lächelt selig und bemerkt, dass er jetzt bereit wäre.
Andererseits blieben ihm auch nur noch zwei Minuten, bevor Kim einbrach. Da muss man Abstriche machen.

Fazit: Jack wird überleben.
Tony lebt erstaunlicherweise auch noch. Böse oder gut oder gut-böse, auf jeden Fall bereit für erneute romantische Abenteuer mit Jack.

Renee und Jack wird sich wohl nicht vermeiden lassen. Igitt. Nichts gegen Renee. Sie wuchs mir doch im Laufe der Staffel ans Herz. Aber seien wir ehrlich – auf Anhieb wüsste ich zehn Darstellerinnen, die mir besser in der Rolle gefallen würden. Nehmen wir mal – nur als Beispiel – die toughen Schönheiten aus Numb3rs. Jede einzelne könnte ich mit Jack sehen.

Aber was soll’s. Und wer weiß, was kommt. Jack in Liebesdingen ist nicht unbedingt der Stabilste.
Und leider wird uns das Beste wieder vorenthalten.

Vermutlich dürfen wir uns ohnehin nur ausmalen, wie Jack aufwacht, sich darüber wundert, wie es im Himmel aussieht, dann Kim ausgiebig beschimpft, weil sie mal wieder nicht auf ihn gehört hat, und außerdem jemanden geheiratet hat, der nicht mit Jack in Mexiko war.
Renee… der neue Jack…tut zumindest bereits alles, um die Flagge hochzuhalten.
Sie kettet die nette Ersatz-Chloe an die Wand, und entsorgt ihre Marke, damit sie ein wenig foltern konnte, und ihr Seelenheil somit trotz Jacks Warnung unwiderruflich Richtung Hölle schickt.

Sie wird auch Jack aufsammeln, Kim wiederbeleben, Chase Edmunds auftreiben und den einen Fall finden, der es notwendig macht, dass Tony aus dem Gefängnis kommt und mit Jack zusammenarbeitet.
Wir freuen uns auf die wiederholte Entführung von Kims Töchterchen, das Ableben ihres Gatten… denn ihr wisst, mit wem dieser ersetzt werden sollte… und erneute Versuche Jacks, den Heldentod zu erleiden.
Andererseits… er könnte auch mit Renee glücklich werden… wäre das nicht furchtbar? Auf jeden Fall wäre es dann nicht mehr mein Jack.

Oh nein – mein Jack gehört in Dantes Inferno, und zwar mittenrein.

Alles in allem – tolle Staffel.
Aber ich liebte auch Staffel 6 - also bin ich kein Maßstab.

Funny how that works

Äußerlichkeiten

Aus gegebenem Anlass sehe ich mich gezwungen, einen Eintrag epischer Länge und Breite über einen Schauspieler im Speziellen und seine Schicksalsgenossen im Allgemeinen zu verfassen.

Selbstverständlich und wie immer distanziere ich mich vor allen politischen Unkorrektheiten und oberflächlichen Behauptungen, die möglicherweise gleich erscheinen. Oder wie Jon Stewart sagen würde – nicht alle, die hier ihre Meinung äußern, haben zuvor darüber nachgedacht.


Also – wo kann ich anfangen? Wie die meisten tragischen Entwicklungen, zeichnete auch diese sich bereits im Vorfeld ab, genauer gesagt ungefähr ab der Mitte der 3. Staffel einer ungenannt bleibenden Serie.
Ich bin ja ein toleranter Mensch, und kann über vieles hinwegsehen. Behilflich ist mir das Talent, Realitäten so lange leugnen zu können, bis ich mit der Nase drüber stolpere, und trotzdem noch an meinem Wahn festzuhalten.
Deshalb sollte ich mich vielleicht doch um die Umgehung direkter Namensnennungen bemühen. Nennen wir also den Hauptakteur der Geschehnisse einfach Adrian P., ein Schauspieler, der für so viele andere Vertreter seines Faches steht.
Adrian begleitet mich nun mit Sicherheit schon seit Jahrzehnten. Eher unterschwellig – so viel muss ich zugeben, da der arme Mann sich doch hauptsächlich mit Nebenrollen über Wasser hielt, von denen auch nicht unbedingt alle ihren Weg über den großen Teich fanden.
Nichtsdestotrotz kann man mir vieles vorwerfen, aber nicht, dass ich wahre Schönheit verkenne.
Und der Mann ist schön… oder soll ich sagen war?
Er ist eigentlich so schön, dass er schon wieder uninteressant ist. Denn der unschuldige TV-Konsument liebt die kleinen Schwächen, die Unebenheiten, das Menschliche im Übermenschlichen.

Bei Adrian allerdings handelt es sich um einen besonderen Fall. Er lässt Apollo persönlich alt aussehen. Der Mann besitzt die ideale Größe, Augen, die einen Eisberg schmelzen könnten, Wimpern von mehreren Metern Länge, einen perfekten Mund, dunkles und lockiges Haar, und alles andere ist auch nicht zu verachten.

Er ist so schön, dass Kleinigkeiten wie eigentlich ziemlich auffällige Narben am Kinn und ein halber Daumen definitiv nicht auffallen. Mir zumindest nicht. Nein - gleichgesinnte, ebenfalls klassischer Schönheit verfallene Seelen mussten mich darauf hinweisen.

Und ist es wirklich ein Wunder, dass diese kleinen, sichtbaren Spuren ehemalig eingegangener Risiken und schmerzhafter Lebenserfahrung, das Herz des Bewunderers nur noch höher schlagen lassen?
Die Reaktion der Damenwelt und der Welt interessierter Herren natürlich – wir wollen ja niemanden diskriminieren – ist bestenfalls vergleichbar mit der auf den Anblick eines Kollegen des anonymen Adrian, nennen wir ihn spontan Milo.

Besagter Milo lebt und liebt mit einer halb gelähmten Unterlippe, ebenfalls eine Tatsache, die mir ohne deutlichen Hinweis eingefleischter Liebhaber in tausend Jahren nicht aufgefallen wäre.
Seitdem ich es weiß allerdings, kann ich nirgendwo anders mehr hinsehen, und bin selbstverständlich bis über beide Ohren und unsterblich in den Jungen verliebt.

Dabei hilft, dass Milo auch dunkle Haare besitzt, dunkle Augen, nicht zu vergessen diese goldigen Lippen und… und… Verzeihung… ein kurzer Anfall weiblicher Schwäche – ist schon wieder vorbei – schließlich ist der Knabe viel zu jung für mich.

Wie auch immer, die unbestreitbare Schönheit erwähnter Herren, plus eine Handlung, die an Verstrickungen, Verwirrungen und chaotischen Gedankensprüngen kaum zu überbieten ist, resultierte in extremem Fangirling meinerseits – um es wissenschaftlich auszudrücken.

Alles gut und schön, bis zur Katastrophe, die sich – wie gesagt – langsam ankündigte.
Den Beginn zeichnete das nicht nachvollziehbare Bedürfnis Adrians seine Haare zu schneiden.
Wohlgemerkt - nicht alle, und nicht sofort.

Nein, die Entwicklung vollzog sich schleichend, heimlich, aber dennoch nicht weniger erschreckend.
Erst schnitt er die Seiten – na gut – ich vermute, dass der Mann mehr Geld besitzt als ich, und sich demzufolge vielleicht sogar einen Friseur leisten kann.
Eigentlich allerdings umso schlimmer, zog er doch auf diese Weise einen harmlosen, bislang vermutlich unbescholtenen Haardesigner in sein schreckliches Werk hinein.

Wie auch immer – ich ertrug die abgesäbelten Seitenhaare, weil Adrian das Haar oben auf dem Kopf stehen ließ, weshalb ihm eine neckische Locke ausgesprochen attraktiv in die Stirn fiel. Und – wie gesagt – ich bin ja ausgesprochen tolerant.

Aber meine Toleranz in Fragen des Haarschmucks hat Grenzen, und Adrian hörte einfach nicht auf mit dem Absäbeln. Es wurde kürzer und kürzer… jede Folge kostete ihn ein paar Millimeter. Einfach furchtbar mitanzusehen. Warum ist der Mann so herzlos?
Aber wenigstens blieb uns zumindest ein Teil der erwähnten Stirnlocke erhalten, obgleich auch diese im Lauf der Zeit auffällig abnahm.

Und mit der Erwähnung des Begriffes Abnehmens, dringe ich bereits zum Kern des Problems vor.
Wohlgemerkt handelt es sich dabei nicht darum, dass der arme Kerl Gewicht verlor.
Oh nein – dass er dazu in der Lage ist, hat er bereits in der zweiten Staffel jener nicht genannten Serie eindrucksvoll bewiesen und den Effekt ausprobiert, unterstützt von einer windigen Frisur bestehend aus hinreißend wirren Locken – Verzeihung… erneuter Anfall.

Zurück zur Tragödie – der Mann nimmt also nicht ab - im Gegenteil – er beginnt aus den Nähten zu platzen.
Nicht, dass mich jemand falsch versteht. Ich habe gar nichts gegen zusätzliche Kilos – nicht das Geringste.

Um ehrlich zu sein, weiß ich sogar zu gut, wie sich das anfühlt.
Um noch ehrlicher zu sein, bescherten mir jahrzehntelange, intensive Selbstversuche, eine gewisse Kenntnis der Materie.
Und um absolut ehrlich zu sein – zu dem Bündel an Neurosen, das ich mit mir herumtrage, gehört auch die Packung mit den Essstörungen.

Und wie ein sehr kluger Mensch einst sagte – wahrscheinlich einer der zahlreichen Therapeuten, die vergeblich versuchten, mich wieder auf die Reihe zu bringen – lässt sich eine Magersucht beim besten Willen nicht kitten. Obwohl es sich um nicht mehr als ein Symptom handelt, bleibt dem Betreffenden die Freude daran erhalten.

Sie ändert sich lediglich in Form, Ausprägung und Erscheinungsbild, denn welcher Mensch liebt nicht ein wenig Abwechslung – gelegentlich zumindest.
Immer nur Magersucht ist langweilig – zudem äußerst anstrengend und nervenaufreibend.

Man oder in diesem Fall eigentlich immer noch vorzugsweise Frau greift demnach gerne zu anderen wirkungsvollen Methoden der Selbstzerstörung, immerhin bietet die Gesellschaft reichliche Auswahl.

Aber verlassen wir die Exkursion, die sich verdächtig in Richtung lustigerer Themen wie Drogen oder Alkohol bewegt, und bleiben wir bei den Essstörungen.

Die gepflegte Magersucht als solche, kippt – sollte man sie überleben - auch mal in das Bedürfnis, sich permanent mit guten Sachen vollzustopfen – zumal wenn das mit dem Alkohol und den Drogen nicht mehr so klappt. Könnte ja sein, dass sich die Leber beschwert oder irgendjemand anderes.

Ergo weiß ich ausgesprochen genau wie das ist, wenn man bis auf die Knochen abmagert, und dann eine Weile später nicht mehr in seine Hosen hineinpasst. Erneut abmagert… neue Hosen braucht… dünner wird… und dicker… Gürtel anschafft… oder zurück in den Schrank hängt - das Konzept ist klar.

Eine sehr ungesunde Methode des Überlebens, erheblich ungesünder, als sich für eine der Möglichkeiten zu unterscheiden, aber ich hatte ja bereits erwähnt, dass es im Grunde genommen um Selbstzerstörung geht.

Wie auch immer – es liegt mir fern, den anonymen Adrian zu verurteilen, nur weil sein einst so knackiges Hinterteil auf einmal den halben Bildschirm einnimmt. Zumindest sollte es mir fern liegen.
Aber es ist Adrian… er ist dafür geboren schön zu sein, und mich mit seinem Anblick zu erfreuen. Und nun? Warum tut er mir das an? Habe ich nicht schon genug gelitten, als er sich sein Haar abschnitt?

Nun – eine Weile funktionierte die Verleugnung. Ich schob es auf seine ausgesprochen unvorteilhafte Kleidung, in der sein heldenhafter Charakter auszog die Welt zu retten. Wer um alles in der Welt ist darauf gekommen, ihn in eine Bomberjacke und helle Hosen zu stecken? Wo waren die Verantwortlichen?
Sind denn alle blind?

Und das sage ich, die ich von Mode weniger Ahnung habe als von Kernphysik oder den gallischen Kriegen oder der Notwendigkeit von Manolos.
Im Ernst – ich halte ausgebeulte Jogginghosen durchaus für ausgehfein.
Aber ich beleidige ja auch nur meine Mitmenschen mit meinem Anblick, nicht eine ganze, und zutiefst schockierte Fangemeinde.

Zurück zu Adrian. Kleidung, voluminöse Formen sind nicht das einzige geblieben. Oh nein, der Mann selbst, oder der Kostümbildner, oder wer auch immer, beschloss, dass er sich einen Bart wachsen ließe.

Also eigentlich keinen richtigen Bart. Mehr so eine Art Gestrüpp im Gesicht. Ich kann nicht sagen, ob das seiner Rolle den letzten Rest geben sollte – den desolaten Zustand der Figur optisch hervorheben, oder ob andere, dunklere Motive dahinterstanden.

Auf jeden Fall zerstört dieser Anblick jeden slashigen Gedanken im Ansatz. Und ich liebe slashige Gedanken. Adrian wurde dafür geschaffen - oder wahlweise auch dazu, auf einem Podest zu stehen, und angebetet zu werden.

Wie auch immer – er denkt überhaupt nicht daran, seinen Verpflichtungen uns liebeshungrigen Fans gegenüber nachzukommen.
Stattdessen spielt er in bester Midlife-Crisis- Manier in einer Garagenband, besser gesagt in der Band From TV, die für wohltätige Zwecke Geld einspielt. Ein nobles Unterfangen, und erfreulich für den gemeinen Fan als solchen.

Bis… bis ich über das Bild seiner letzten Schandtat stolperte, und mir die Wahrheit ins Gesicht schlug. Keine verzerrte Wahrnehmung, kein verschrobenes Weltbild, keine unglückliche Kleiderwahl… der Mann ist kräftig gebaut. Und trägt diese unaussprechliche Sache im Gesicht. Dazu abgeratztes Haupthaar. Und dazu - Schlabber Jeans und T-Shirt. Nichts gegen Jeans und T-Shirt… aber… aber…

Was ist nur mit der Welt los? Kann es an mir liegen?
Habe ich nicht bereits genug Schmerz ertragen?
Muss ich mir ein anderes Fandom suchen? Eines, in dem die Hauptdarsteller ihr Gewicht halten, wenn Adrian und ich das schon nicht schaffen?

Und da wären wir beim zweiten Problem angekommen? Gibt es so ein Fandom überhaupt? Ist der Mensch an sich nicht zu schwach, um die stets variierenden Erwartungen seiner Anhänger zu erfüllen?

Und wieder greife ich auch den reichen Schatz meiner Erfahrungen zurück. Ist dieser doch durchzogen von Enttäuschungen und Frustrationen. Aber auch von seltsamen Phänomenen und sich mysteriös gleichender Begebenheiten, und das nur zu diesem speziellen aller Themen.

Denn es geschah bei weitem nicht zum ersten Mal, dass ein Traummann sich entscheidet, ob absichtlich oder nicht sei dahingestellt, seinem Äußeren unaussprechliche Dinge anzutun.

Man nehme also erst einmal einen Klassiker – Johnny Depp. Johnny spielte in der niedlichen Achtziger Jahre Serie 21 Jump Street die revolutionäre Rolle eines Undercover Polizisten. Die Serie ging ihm nachweislich auf die Nerven. Und sei es aus diesem Grund, oder aus einem anderen, er magerte urplötzlich ab.

Und zwar solange, bis er gar nicht mehr vorhanden war, beziehungsweise sich aus der Serie heraus gemogelt hatte.
Ein strategisch ausgetüftelter Plan?
Oder pure Verzweiflung, die ihm den Appetit nahm bei der Aussicht seinen Vertrag zu erfüllen, und noch weitere, endlose Jahre an der Seite von Stargates Peter DeLuise seine Perlen vor den TV-Zuschauer zu werfen?
Das Vorhaben ging zumindest auf, und Johnny erklomm die große Leinwand.

Extrem cleveres Marketing, würde ich sagen. Selten ließ sich beobachten, wie jemand durch vergleichsweise wenige Filme, aber stete Erwähnung in der Klatschpresse, guten Beziehungen und der geschicktesten Rollenauswahl, die die Welt je gesehen hat, zum Star wurde.

Aber zurück zum Wichtigen: Johnny beschäftigte sich mit was?
Natürlich mit Drogen und Alkohol, und sah langsam wieder wie ein Mensch aus. Allerdings verlor ich sofort das Interesse an dem Hübschen, als er begann, sein Leben in stabile Bahnen zu lenken. Auf seltsame Weise verschwand auf diese Weise sein Zauber.

Zweites tragisches Beispiel verkappter Magersucht männlicher Schauspieler: James Marsters alias Spike der Vampir.
Hinreißend ob mit oder ohne Seele, ob böse oder gut, ob blond oder… blonder gebleicht.
Ebenfalls ein phänomenal guter Darsteller, sein Ruhm kam nicht von ungefähr.

Aus Gründen, die ich wieder nur vermuten kann, entschied sich Spike zur sechsten Staffel seiner Vampir-Serie extrem dünn zu werden. Also dünner, als er es bereits gewesen war. Und James Marsters war immer dünn.

Nun allerdings wirkte er wie eine Ansammlung angespannter Sehnen, durchtrainiert, schmalhüftig, hohlwangig… und irgendwie lecker. Nicht dass wir uns falsch verstehen – er sah gut aus, sehr gut, und begann die Cover der Zeitungen zu zieren.

Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, dass er sich bei seinen weiblichen Co-Darstellern angesteckt hatte, die offenbar einen Wettbewerb ausfochten, wer am dünnsten werden konnte.
Aber wir alle wissen, dass es sich bei Frauen ohnehin um eine andere Kategorie handelt. Diätwahn gehört nun mal dazu, daran wird sich auch so schnell nichts ändern.
Männer sind die geheimnisvollen Wesen, die es uns unmöglich machen, ihre Psyche zu erforschen.

Nun gut – Spike befand sich gegen Ende der erwähnten Staffel in einer Art Schock - Zustand, weil sein Part die versuchte Vergewaltigung der Hauptdarstellerin beinhaltete.
Offenbar erschütterte ihn diese Szene weitaus mehr, als den Zuschauer. Aber was wissen wir von der empfindlichen Seele eines wahren Künstlers?
Spike entschloss sich öffentlich, weniger emotionale Kräfte in seine Kunst zu legen, und futterte sich gleichzeitig ein dickeres Fell an. Natürlich – er war immer noch dünn, aber die hohlen Wangen füllten sich, der ganze Mann begann gesünder und stabiler zu wirken. Im Grunde ein positives Zeichen seelischer Stabilität – und sofort verlor ich das Interesse an ihm.

Letzter Fall – Adrian. Abgemagert weil…? Der Möglichkeiten existieren wiederum unzählige.
Wie wäre es zum Beispiel mit der ungelösten Bromance – Affäre, den Morddrohungen wahnsinniger Bush-Anhänger oder dem Anspruch Superman zu werden, nur ohne Cape und mit politisch zweifelhaften Ambitionen?

Ist auch egal, denn gerade, als ich mich in ihn verliebte, fing er an, seine Haare zu schneiden. Und der Rest ist Geschichte.
Irgendwie zeichnet sich ein Muster ab, so peinlich das für meinen Charakter auch aussieht.

Aber viel wichtiger, was wird die Zukunft bringen? Wird Adrian weiter und weiter aufgehen wie ein Hefeteig? Solange bis ich vor dem Fernseher oder Computer - Bildschirm in Tränen ausbreche? So wie jetzt?

Oder lässt er sein traumhaftes Haar wachsen, und legt die Absicht, eine Karriere als prämierter Preisboxer mit Kahlrasur zu starten, zurück in den Aktenschrank, wo sie hingehört?

Natürlich gäbe es theoretisch eine dritte Möglichkeit. So unvorstellbar mir diese auch erscheinen mag. Aber nichtsdestotrotz könnte ich mich auch dafür entscheiden, sein Aussehen zu ignorieren, einfach nicht zu bemerken. So wie ich es mit der von Menschen des wirklichen Lebens halte. Nicht mit Absicht, und nicht unabsichtlich. Sondern weil es egal ist. Weil der Mensch mehr ist, als die Ansammlung seiner Kilos.

Dagegen spricht nur, dass Adrian eben kein richtiger Mensch ist, sondern eine Kunstfigur. Eine Kunstfigur, die ich verslashen und verherrlichen möchte, und das am besten gleichzeitig. Dummerweise macht er es mir verdammt schwer.
Zum Beispiel führt er diesen Videoblog auf YouTube, und ob man es glaubt oder nicht, er liest tatsächlich die Kommentare und antwortet sogar hin und wieder. Man könnte beinahe glauben, dass er echt ist, sozusagen… irgendwie ein Mitglied unserer Spezies – jemand, der sich gerne im Internet herumtreibt, und Unsinn verbreitet.

Was bleibt da für mich? Muss ich meine Prioritäten überdenken?
Sollte ich mir ein weniger hübsches männliches Ideal auswählen?

Natürlich bleibt mir noch Jack Bauer, welcher möglicherweise körperliche Irrungen, Verwirrungen und Veränderungen letztendlich hinter sich hat.
Die wenigen in der Gemütlichkeit seiner Gefängnisstrafe angesammelten Pfunde, ist er mit bewundernswerter Schnelligkeit wieder losgeworden, und zurückgekehrt zu seinem drahtigen, untergewichtigen Selbst.

Und dennoch, oder auch aus diesem Grund, hat er an Faszination eingebüßt. Der Mann ist zu kontrolliert, zu… normal… zu nah an einem glücklichen Leben. Das inspiriert einfach nicht mehr.

Verdammt… wenn das so weiter geht, muss ich auch noch anfangen, mein Leben auf die Reihe zu kriegen… vielleicht sogar… selber normal zu werden.
Undenkbar – unvorstellbar!
Mich vielleicht auch noch auf mich selbst konzentrieren, anstatt auf Adrian, Jack, James oder Johnny? Kommt überhaupt nicht in Frage – wäre viel zu deprimierend. ;)

Sonntag, 3. Mai 2009

Engel

Der Schutzengel



Heiß und stickig drückte die Luft. Wie es in der Hochphase eines jeden Sommers der Fall ist, der Fall sein muss. Und wie in jedem Jahr konnte sie den Sommer besonders schwer ertragen, fiel es ihr weitaus schwerer, den Tag zu einem Ende zu bringen, je länger und schwüler er sich ausdehnte.
Natalie bräuchte sich eigentlich nicht einmal für ihre Figur zu schämen, nun da die Badesaison in vollem Gange war, und auch sie nicht umhin konnte, sich hier und da am See blicken zu lassen. Und doch vermied sie es tunlichst, ihren Körper in größerem Maße zur Schau zu stellen, als unbedingt erforderlich.
Während sich die anderen Mütter in mehr oder weniger geschmackvolle Badeanzüge gepresst hatten, und ihre Haut der Sonne, dem Wind und dem Wasser aussetzten, blieb sie, soweit es ihr zugestanden wurde, im Schatten, gehüllt in Jeans und T-Shirt. Auf Schuhe zu verzichten lag ihr ebenfalls fern, denn das wuchernde Ungeziefer in der summenden Wiese bot ihr ausreichend Gründe, eine schützende Sohle zwischen sich und dem Grund zu behalten.
Und dann genierte sie sich für ihre Füße beinahe noch mehr, als für ihren Körper.
Gut, sie hatte Gewicht verloren. Gut, sie war schon mit weitaus mehr Umfang schwimmen gegangen, aber das letzte Jahr, die letzten Jahre zerrten nicht nur an ihrem Körper, sondern auch an ihrem seelischen Gleichgewicht.
Essstörung, Magersucht hin oder her – die Qualität der galoppierenden Angstattacken hatten die schleichenden Qualen ihrer bislang erfahrenen Neurosen noch nicht erreicht.
Panik hielt sie meist im Hause - Panik, Faulheit, Bequemlichkeit und Phlegma. Konnte Natalie doch davon ausgehen, dass ein Schritt hinaus ins Leben gleichzeitig eine Konfrontation mit einem neuen Angstauslöser bedeutete, der ihr kalte Schauer über den Rücken jagen, ihr Blut zum Gefrieren, und ihre Erschöpfung steigern würde.
Doch diesmal war ihr keine Ausrede eingefallen, und so musste sie tun, was getan werden musste. Nicht zuletzt, um ihrem Kind zu beweisen, dass es auch ihr hin und wieder gelang, den schützenden vier Wänden zu entkommen, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen, ihnen gegenüberzutreten, und für einige Stunden eine gute Miene zu dem ebenso langweiligen wie gefährlichen Spiel aufzusetzen.
Gefährlich, weil jeder ihr entgegenkommende Körper eine Quelle ungeahnter Gefahren sein konnte.
Gefährlich, weil jeder Papierkorb, jeder unangenehme Geruch, jedes Niesen und jedes herumliegende Taschentuch in Natalies Augen einen Infektionsherd darstellte, ein tödliches Risiko für sich und für ihr Kind.
Natürlich wusste sie sehr wohl, dass sich diese Risiken lediglich in ihrer überschäumenden Phantasie befanden, dass der Ursprung der irrationalen Ängste in den Tiefen ihres Unterbewusstseins lag, in denen er ihrer Ansicht nach auch ruhig verbleiben durfte.

So schlimm war es zu ihrem Erstaunen doch nicht. Sie beobachtete die spielenden Kindern, führte belanglose Konversation, während sie auf der Decke ihre Beine streckte. Kinder und Mütter, Sonne und Sommer – andere Menschen genossen dies doch auch, warum also nicht sie?
Ihr Kind winkte, und Natalie nickte, begleitete den Haufen aufgekratzter sonnenanbetender Kleinen zum Wasser und beaufsichtigte die tobende Gruppe.
Andere Mütter lösten sie ab, indem sie sich zu der plantschenden Schar gesellten, sich mutig ebenfalls in das erfrischende Nass hineinwarfen.

Das aufgesetzte Lächeln, das Natalie gewohnt war in Anwesenheit anderer Menschen zur Schau zu stellen, erschlaffte für die Momente, in denen sie sich unbeobachtet glaubte.
So nah am Wasser konnte sie keinen Schatten entdecken, und ließ es seufzend zu, dass die Sonne ihre blasse Haut verbrannte, ihr rötliches Haar in einen glühenden Helm verwandelte. Und doch harrte sie aus, beruhigt durch das Wissen, dass auch diese Zeit begrenzt war, dass auch dieses Erlebnis ein Ende fände, früher oder später, auf die eine oder andere Weise.
Es galt durchzuhalten, und sich nichts anmerken zu lassen, den Anschein von Normalität zu wahren, die Fassade am Bröckeln zu hindern.

Flucht aus der Realität – so lautete das Schlüsselwort, und Natalie holte tief Luft, legte ihre Hand über die Stirn, um die Sonnenstrahlen ein wenig am Blenden zu hindern. Ihre Tagträume halfen immer, und gerade in diesen Tagen waren neue Leidenschaften in ihr erwacht. Denn der Held ihrer Geschichten bot Anlass zu unendlichen Möglichkeiten, offerierte ihr geradezu auf dem Silbertablett die Handlungsstränge, an die sie ihre Gedanken knüpfen, sie aus der Wirklichkeit entfernen konnte.
Selbst in einer Umgebung wie dieser – selbst an einem See, inmitten gleißenden Sonnenlichtes und brütender Hitze, strahlte sein Zauber in Natalies Herz hinein und schenkte ihr ein wenig Ablenkung, eine kurze Hoffnung, ein Aufflackern der Emotionen, die seine Geschichten in ihr aufwühlten, und die ihr doch immer wieder über den Tag halfen, immer geholfen hatten. Besser als jede Therapie, besser als jede Tablette, besser als alles andere.
In verschiedenen Gestalten hatte er sie durch ihr Leben begleitet, sich gewandelt vom idealisierten Helden der Kindheit, über komplexere, selbstzerstörerische Figuren, die Natalies Seelenleben perfekter wiederspiegelten, als sie es in Worte zu fassen vermochte – wäre sie sich dessen bewusst –
in das Wesen, das ihre Sinne dieser Tage in Anspruch nahm.
Näher den Bildern der Kindheit, heroischer als jene, die sie zuvor begleiteten, war dieser Held nichts anderes als ein Kämpfer, ein Krieger, der nicht aufgab, der seine Schlacht weiterführte, ohne die Ängste zu zeigen, die ihn tief innerlich ebenso beutelten wie jeden anderen Menschen.

Und im Kampf bestand auch Natalies Ziel. Nicht in den Kämpfen, die phantastische Gedankenspielereien ihr vorgaukelten, sondern in dem Kampf gegen die Schwächen, die Dämonen, die Furcht, die sie beherrschte, und den sie wieder und wieder verlor.
Den sie immer verlor, wenn die Wellen der Panik über ihr zusammenschlugen, wenn die Verzweiflung sie übermannte, der Schrecken ihr jeden klaren Gedanken stahl.
Einen Kampf, den zu kämpfen sie sich zu schwach fühlte, den sie nicht aufnehmen konnte oder wollte, nicht freiwillig, nicht allein, nicht ohne Hilfe.

Keine Hilfe, kein Schutz, kein Engel, der ihr beistand. Kein Gott, der sie an sich zog und ihr Trost spendete. Keine übernatürliche Macht, die ihr Vertrauen und Geborgenheit schenkte. Nichts davon hatte sie je erfahren. Und je mehr Natalie sich danach sehnte, desto klarer wurde es, dass keine Hilfe für sie existierte.
Auch das hatte sie versucht, wie so vieles andere. Natalie sammelte Bilder und Figuren, visualisierte das Bild des schützenden Engels für sich, nur um zu lernen, dass sie weniger daran glauben konnte, als jemals zuvor.

Und doch half ihr das Bild ihres Helden über die Momente des Tages, half ihr in diesem Augenblick, in welchem ihre Stirn glühte, und sie fühlte, wie ihre Haut sich rötete. Half ihr das Wissen, dass all dies ein Ende haben, dass sie sich in nicht allzu ferner Zukunft zurückziehen konnte, den See, den Sommer, die Hitze vergessen, und in ihre Traumwelt flüchten werde.

Die Kinder schwammen, die Sonne brannte, und ein Arm legte sich um ihre Schulter.
Nicht wirklich, niemand stand neben ihr, Natalie wusste dies. Und doch fühlte sie ihn, fühlte seine Präsenz, spürte, dass er bei ihr war, dass er sie hielt, dass er ihr von seiner Kraft schenkte.
Sie ahnte das Lächeln in seinem Gesicht, ahnte die Waffen, die er bei sich trug, die Schutzweste, die sich gegen ihr Shirt riebe, wäre er tatsächlich existent und nicht nur eine Ausgeburt ihrer Phantasie.
Und dann wusste sie es, wusste, dass sie auch ihn in sich trug, dass sie den Kampf aufnehmen konnte, dass sie verstand, was er ihr vermittelte.

Denn er existierte, ebenso wie ihre furchtbaren Ängste die Realität für Natalie darstellen konnten, so akzeptierte sie, dass auch er wirklich sein konnte, ein wirklicher Engel – ihr Schutzengel.
Er kam zu ihr, um Natalie zu versichern, dass sie nicht allein war in ihrem Kampf, dass eine Macht existierte, die größer war, als die Verzweiflung, dass auch Hoffnung existierte.
Hoffnung – ein von Gott gesandter Engel – eine Stütze, die ihr in keiner ihrer dunklen Stunden erschien – jedoch im gleißenden Licht eines Sommertages spürbar wurde.
Natalies Schutzengel – er war Wirklichkeit – ihre Wirklichkeit – und sie würde sich weigern, jemals eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen.

Fandom, Spoiler, Heroes, Superheroes, galoppierender Irrsinn

Fandom, Spoiler, Superheroes, galoppierender Irrsinn

Jawohl, es ist wieder soweit, und ich fühle mich berufen, meine Gedanken zum Fandom im Allgemeinen und im Besonderen in Worte zu fassen. Aus diesem und aus vielen anderen Gründen rate ich vom Lesen des folgenden Textes tunlichst ab. Schlimmer noch – ich schrecke nicht vor massiven Spoilern zu Heroes zurück, genauer gesagt zum Heroes Finale der 3.Staffel, welches zugleich das Finale des 4. Volumens ist. Keine Sorge, hat mich auch verwirrt.
Aus unerfindlichen Gründen besteht die dritte Staffel dieser Serie aus zwei ‚Volumes‘, 3 und 4, getrennt während der Erstausstrahlung in den USA durch zwei Monate Pause, und ausufernde Reaktionen auf Seiten der Fans eines gewissen Serien-Politikers. Doch dazu später, und in diesem Zusammenhang noch der dringende Hinweis, dass es sich im Folgenden vermutlich in allererster Linie um einen tiefen Kniefall vor Adrian Pasdar handeln wird. Wer das nicht verträgt, sollte sich ebenfalls mit ausdrücklichem Grausen abwenden.

Also gut – jetzt geht es los.
Vorausschicke ich noch die Information, dass ich – trotz meines hohen Alters immer noch glaube eine Art Fandom Neuling zu sein.
Meine Erfahrungen beschränken sich hauptsächlich auf intensive Aufenthalte im 24-Bereich, dass heißt Jack Bauer kenne ich in und auswendig, ansonsten hab ich keine Ahnung von nichts.
24 ist ein relativ kleines Fandom, eher gemütlich, soweit ich das beurteilen kann. Gerade im Bereich der Fanfiction tummeln sich doch Männer und Frauen, die – sagen wir es vornehm – bereits über einige Lebenserfahrung verfügen. Eine Tatsache, die durchaus für die Qualität der Geschichten spricht, aber auch für den Umgangston und ein gewisses Verständnis untereinander.
Über die offizielle Webseite kann ich weniger sagen, weil die für mein Notebook meistens zu überlaufen ist, als dass ich überhaupt hineinkäme. Aber selbst vom Hörensagen, sind mir keine überkochenden Emotionen irgendeiner Art bekannt.
Wem es nicht mehr gefällt, der geht in der Regel still und leise, ohne zu nerven.

Nachdem ich mich also mit Jack ausgetummelt hatte, schien der Weg frei für Neues.
Und da verfiel ich einer völlig anderen Angelegenheit – den Heroes. Wohlgemerkt noch nicht in der ersten Staffel, obwohl ich die selbstverständlich auch gesehen habe. Immerhin spielt der vorher erwähnte Adrian Pasdar eine tragende Rolle. Und bei diesem Mann handelt es sich nun mal um ein Gottesgeschenk an die Frau, eine Augenweide, einen Traum auf zwei Beinen, um es untertrieben zurückhaltend zu sagen.
Daher akzeptierte ich auch die ausgesprochen merkwürdige Idee des fliegenden Politikers – und seien wir ehrlich – die Idee ist schon ziemlich dämlich.
Aber natürlich kann einen Pasdar nichts erschüttern, auch nicht, dass er raketengleich in die Luft schießt.
Zudem köderte die erste Staffel interessante Stars wie Malcolm McDowell, George Takei, Christine Rose oder Jack Coleman.
Also gelang es mir, darüber hinwegzusehen, dass es auf den ersten Blick hauptsächlich um blonde Cheerleader, quietschende Japaner und hübsche Jungs ging, die nicht so recht wussten, ob sie nun fliegen konnten oder nicht – oder wie oder was?
Und dann bietet der Petrelli-Clan fraglos eine Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten, die des Fanfiction-Lesers Herz endlos erfreuen.

Mit der zweiten Staffel hatte Heroes mich dann in seinen Klauen, was hauptsächlich an Adrian Pasdars wilder Frisur und seiner Darstellung des gebrochenen, um nicht zu sagen abgestürzten und von Schuldgefühlen zerfressenen Politikers lag.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, bot bislang noch jede Staffel für Nathan Petrelli mindestens drei komplette Umstürze in Charakterfragen. Fraglos profitieren die Produzenten davon, dass er einfach alles spielt, was man ihm vorlegt. Und natürlich darf man die Sinnfrage in Heroes nicht als Allererste stellen.

Dementsprechend fieberte ich nun der dritten Staffel entgegen, und begab mich zusätzlich in das Fandom, zumindest in kleine Teile davon, die aber immer noch im Vergleich zu 24 gigantisch ausfallen.
Und damit war es mir vergönnt, zumindest einen Hauch der Emotionen wahrzunehmen, die im Laufe dieser Staffel und vor allem im Anschluss an das Finale aufbrachen.
Gut, mit Sicherheit handelt es sich in erster Linie um ein jüngeres Durchschnittsalter, und ist man noch nicht so abgeklärt und weise wie selbstverständlich bei meiner Wenigkeit.
Und in den Jahren unschuldiger Jugend ergreifen tragische Vorfälle, wie das Ableben des Lieblingscharakters doch ungleich stärker.
Andererseits handelt es sich um Heroes – tot ist nicht unbedingt tot. Ich würde sogar vermuten, die Mächte im Hintergrund sind sich diesbezüglich auch nie so ganz sicher.
Auf jeden Fall haben wir nun – Achtung Spoiler!!! - einen toten Nathan Petrelli. Wenngleich er nicht ganz tot ist. Genauer gesagt, wurden seine Erinnerungen in den fiesen Sylar verpflanzt, der sich nun für Nathan hält.
Klingt kompliziert – ist es auch.
Aber das Wichtigste an der Sache ist doch, dass uns Adrian Pasdar erhalten bleibt. Ob er nun Sylar spielt oder nicht, mir eigentlich recht schnuppe, zumal ein endgültiges Ableben seinerseits bereits seit Mitte der Staffel prophezeit wurde.

Ja, denn schon zu dieser Zeit tobte die Fangemeinde, wandten sich treue Anhänger erbittert von der Show ab, verließen mit fliegenden Fahnen das sinkende Schiff.
Das heißt, von dem sie dachten, es sänke, da unser aller Nathan bereits den vierten, fünften oder sechsten Charakterwandel durchmachte, und der amerikanischen Volksseele offenbar wie ein wiederauferstandener Hitler vorkam.
Ich selbst könnte mir ja vorstellen, dass gewisse Anspielungen mehr mit Guantanamo zu tun hatten – aber was weiß ich schon.

Ist auch egal, denn das Drama innerhalb der Fanreihen wuchs sich offensichtlich bis in die Produktionsbüros aus, wo man zur Abwechslung Nathans Charakter noch einmal änderte – fürs erste.

Schön für uns, kehrten doch auch reumütige, der Serie längst abgeschworene Fans wieder zurück, halb in Furcht, halb in Vorfreude auf das Ende der Staffel.
Würde Nathan zum ersten Mal in der Geschichte der Serie nicht zum Staffelende den Löffel abgeben?
Und ehrlich – hat jemand wirklich etwas anderes erwartet?

Auf jeden Fall bekam ich in diesem Fall die aufkochenden Gefühle eher mit, da intensive und langwierige Studien zum Thema mir eröffneten, dass nicht nur die Fans, sondern auch die verschiedensten Mitarbeiter der Serie, ob vor oder hinter den Kulissen – sagen wir mal – ein gewisses Engagement im Bereich der Internet-Nutzung zeigen.
Das heißt, sie twittern, bloggen, vertreiben Comics oder eröffnen YouTube accounts, dass es nur schön ist.
Feine Sache, erlaubt diese doch jedem Fan seine Gedanken zur Show oder anderem erster Hand loszuwerden. Ja – auch ich habe Adrian Pasdar meine unsterbliche Liebe online geschworen – glaube ich zumindest, denn es war zu spät, als dass ich noch hätte zurechnungsfähig sein können, geschweige denn mich in einer Fremdsprache verständlich machen – hoffe ich immerhin zu seinem Besten.

Aber worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist, dass diese armen Menschen nun überrannt werden – wieder – mit Kommentaren wie ‚Das war’s – Ich verlasse die Show‘ oder ‚Warum hasst ihr Nathan-Fans?‘ oder ‚Seid ihr alle auf Crack?‘

(Ich bin nicht sicher, ob diese Heroes-Fans gefährlich werden können, aber wenn ich so von mir ausgehe, sollte doch mit allem gerechnet werden. Deshalb suche ich mir auch lieber Serien aus, die auf der anderen Seite der Welt hergestellt werden – da besteht weniger Gefahr, dass ich Adrian Pasdar auflauere, um ihn zu fragen, wie er nun gedenkt die vierte Staffel anzulegen. Aber ganz ehrlich – der arme Mann sollte sich in Sicherheit bringen – ich mein ja nur…)

Zudem stellt sich doch die Frage – was kann der arme Regisseur, der doch in Bezug auf die Handlung der Geschichte nicht das Geringste zu melden hat, für das ganze Drama. Zumal ihm offenbar auch noch aus finanziellen Gründen gekündigt wurde, worauf er seinen Blog mit herzzerreißenden Danksagungen füllte – ein netter Mensch.

Natürlich hält das niemanden davon ab, diesem fleißigen, hingebungsvollen Menschen an den Kopf zu werfen, wie sehr die Serie ruiniert wurde, und ihm zudem mitzuteilen – was ihn mit Sicherheit ausnehmend interessiert – dass man die nächste Staffel nicht gedenkt zu sehen.

Hey… es ist Heroes. Nathan kommt schon wieder. Und was bedeutet der Ruf nach Claires Blut, um diesen unseren Senator zu retten? Findet ansonsten irgendetwas Vernünftiges oder Nachvollziehbares in dieser Serie statt?

Glücklicherweise besitze ich keine Links zum Sylar-Fandom im Speziellen. Denn wenn sich die Nathan – Fans bereits so aufregen, was sagen dann erst die Anhänger des einzig wahren Bösewichts.
Der ist doch schließlich irgendwie auch tot… oder nicht?
Und was ist eigentlich mit Nathans Leiche passiert?
Und wieso überlebt er tödliche Schussverletzungen, aber kein Anritzen seiner Kehle?

Fragen über Fragen, die – soweit ich die Serienwelt kenne – wohl auch nie beantwortet werden.
Aber darauf kommt es doch auch überhaupt nicht an. Viel wichtiger erscheint es mir zu erfahren, ob Nathan oder Sylar nun endlich die dusselige Fliegerei sein lässt, und sich der Reparatur von Uhren widmet.

Irgendwie könnte ich mir das vorstellen.

Oh, das hat gut getan, und ich habe mich noch nicht mal über Nathans neueste und absolut grauenerregende Frisur ausgelassen, mit der er Peter und Sylar bereits infiziert hat… die ist schlimmer als alles andere. (Und ich bin überhaupt nicht oberflächlich oder auf Äußerlichkeiten fixiert… aber was ist das für ein Haarschnitt?)
Bleibt nur zu hoffen, dass sie sich bis Volume 5 ihr hübsches Haar wieder wachsen lassen… bitte.

Entschuldigt die Länge und Sinnlosigkeit des Vortrags, dummerweise bekomme ich es nicht hin, über das Schreiben trostspendender Fanfiction nachzudenken. Die Serie ist eindeutig zu kompliziert. Was war Jack Bauer doch für ein simpler, durchschaubarer Charakter.
Leider nicht ganz so hübsch wie Nathan… wie gesagt – ich bin gar nicht oberflächlich…
Und bislang hatte Jack auch noch nicht mit zwei Persönlichkeiten in einem gutaussehenden Körper zu tun, obwohl das auch mal eine Idee wäre. 

Freitag, 1. Mai 2009

Susi

Susi konnte ihn nicht leiden. Er war ein Rüpel, unhöflich und setzte ständig dieses eingebildete Lächeln auf, als wollte er damit sagen, dass er etwas Besseres wäre. Besser als sie und besser als ihr Freund. Besser als alle anderen Einwohner des Dorfes.
Susi schnaubte, wenn sie daran dachte.
Nur, weil er aus der Stadt kam und so tat, als besäße er all die Welterfahrenheit, die man sich nur vorstellen konnte. Von wegen. Susi war welterfahren genug. Sie war ausreichend herumgekommen, hatte genug gesehen und gelernt, um zu wissen, dass ein Aufenthalt in der Stadt einen weder klüger noch vernünftiger machen konnte. Und wenn Rolf sich das einbildete, dann war das sein Problem. Das Problem ihrer Freunde allerdings wurde es, wenn er mit seinem Benehmen überall aneckte. Als täte er dies mit Absicht.
Es kam ihr manchmal beinahe vor, als wollte Rolf sich in Schwierigkeiten bringen, als wäre ihm das Kleinstadtdasein allein zu langweilig, zu unausgefüllt und zu konfliktarm, als dass ein Junge wie er es ertragen konnte.
Also machte er Ärger, wo es ging. Die Schule besuchte er nur gelegentlich, ließ überall verlauten, dass man ihm hier nichts beibringen konnte, dass auf der Straße mehr zu lernen wäre, als in dumpfen Klassenräumen.
Nun, Susi konnte dies nicht beurteilen, hatte ihre Mutter sie doch schon vor geraumer Zeit in eine Privatschule am Rande des Ortes geschickt. Eine Schule, in der sie sich fraglos wohlfühlte, die ihr alle Chancen und alle Möglichkeiten bot, sich zu entfalten. Susi war klug genug, diese zu nutzen. Sie engagierte sich in Schülerzeitung und Theaterclub, spielte Geige im Orchester und trug sogar die Schuluniform mit Stolz und Freude.
Ihr Freund Hendrik dagegen besuchte ebenso die öffentliche Schule, wie der zugezogene Rolf. Nur, dass er sich einige Jahre über diesem befand, sein Abschluss bereits in gefährliche Nähe rückte. Gefährlich, weil Susi nicht darüber nachdenken wollte, dass sie ihn verlieren konnte, dass die Weichen sich verstellen und ihr vertrautes Leben eine neue Richtung nehmen sollte.
Natürlich wusste sie, dass diesen Veränderungen nicht zu entkommen war, dass sie sich früher oder später damit auseinandersetzen musste. Die Welt blieb nun mal nicht wie sie war. Und ebenso, wie Rolf unvermittelt und unerwartet in dem Städtchen aufgetaucht war, so würde Hendrik eines Tages fortziehen, und sei es nur, um auf die Universität zu gehen.
Hendrik bedeutete Beständigkeit, Sicherheit und Vertrauen. Susi verließ sich darauf, dass ihm die Verbindung zu ihr ebenso wichtig war, wie ihr die Verbindung zu Hendrik, dass sie zusammenbleiben würden.
Schließlich waren sie beide lange genug um ihre Beziehung herumgetanzt, hatten sich vor- und zurückbewegt, umkreist und abgewartet, bis keiner von ihnen mehr eine Ausrede entdecken konnte.
Hendrik war groß und stark und zielbewusst. Er war vernünftig und plante seine Zukunft im Detail. Susi wünschte sich, auch sicher sein zu können, wie er. Sie arbeitete daran. Und doch gab es hin und wieder diese Momente, in denen sie sich nichts sehnlicher wünschte, als aus dem Rahmen auszubrechen, in den das Schicksal sie gesteckt hatte. In dem sie sich befand aufgrund der Wohlhabenheit ihrer Familie, der Erwartungen, die allerorts an sie gestellt wurden und die sie gewohnt war, pflichtbewusst und buchstabengetreu zu erfüllen.
Hendrik war der Mann, an dem sie plante sich festzuhalten, der ihr die Richtung weisen sollte, wenn sie selbst ins Schwanken geriet. Wenn unklare, ungenaue Vorstellungen sie einholten, Gedanken an Ausbruch, an Alternativen, an eine Welt außerhalb der ihr vorgegebenen.
Vielleicht war es das, was sie an Rolf so aufregte. Er schien keinen Plan, keine Erwartungen, nicht einmal ein Ziel zu besitzen. Rolf ließ sich durch den Tag, durch sein Leben treiben, ohne die Notwendigkeit zu verspüren, sein Bestes zu geben, die Chancen, die sich ihm boten, zu optimieren.
All das an sich wäre nicht einmal so schlimm gewesen und auf gar keinen Fall ein Grund dafür, einen weiteren Gedanken an den Jungen zu verschwenden.
Aber der Ärger, den er machte, die ständige Aufmerksamkeit, die er hervorrief, schrien geradezu danach, sich intensiver mit ihm zu befassen, und sei es auch nur, um sich der eigenen Abneigung ihm gegenüber bewusst zu werden.
Da war diese Schlägerei gewesen, in die sich sogar der sonst so vernünftige Hendrik verwickeln ließ. Und wenn sie ihm Glauben schenkte, dann handelte es sich dabei nur um eine von Vielen.
Rolf zog das Unglück an, zumindest hatte Hendrik es so ausgedrückt, als er sich den Eisbeutel gegen die Stirn presste. Und er hatte mehrfach versichert, dass er ihn nicht leiden konnte, ja, dass er ihn direkt hasste, um keinen Preis der Welt etwas mit ihm zu tun haben wollte.
Susi nahm ihre Thermosflasche aus der Tasche und schenkte sich einen halben Becher dampfenden Tees ein. Es war eindeutig noch zu kalt, um draußen zu sitzen, aber Susi konnte nicht wiederstehen.
Jedes Jahr zog es sie an den ersten Tagen, in denen der Frühling seine Ankunft meldete, ein Stück aus dem Ort hinaus, an den kleinen Bach mit der Brücke und der hölzernen Bank, von der aus sich der schönste Blick auf eine kleine Idylle entfaltete.
Diesmal hatte sie sich entschieden nach dem Unterricht nicht gleich nach Hause zu gehen, sondern war sofort in die Richtung aufgebrochen, in die es sie lockte. Der Himmel war blau und die Farben frischer und heller, als sie ihr in den letzten Monaten erschienen waren. Noch stieß keine Blüte, kein frisches Grün aus der Erde, doch Susi spürte, dass es sich nur um eine Frage von Tagen handelte, bis die Welt ein neues Kleid trüge.
Sie lehnte sich zurück, nahm einen Schluck aus der Plastiktasse und genoss die Wärme, die ihre Kehle hinunter strömte. Wenn sie wollte, konnte sie den ganzen Nachmittag hier verbringen, in Seelenruhe und allein.
Ihre Mutter war beschäftigt und ansonsten vermisste sie niemand.
Es schien, als habe jeder Mensch, einschließlich Hendrik, zu viel zu tun, als dass es auffiele, wenn sie sich für einen Tag ausklinke.
Eigentlich war dies nicht Susis Art, doch an diesem Tag konnte sie nicht anders.
Wer hätte auch erwartet, dass ihr an diesem einsam gelegenen Platz, zu einer unmöglichen Uhrzeit, ausgerechnet der Junge entgegenkäme, über den sie sich so angestrengt bemühte, nicht nachzudenken.
Sie erkannte ihn sofort, erkannte die zu weite, zu grelle Jacke, das dunkle, in die Stirn fallende Haar und den krummbeinigen Gang, den auch die schlabbernden Hosen nicht verstecken konnten.
Offenbar ahnungslos schlenderte er auf sie zu, blieb erst im Abstand von vielleicht zehn Metern vor ihr stehen, runzelte die Stirn.
Auffordernd sah sie ihn an, ein wenig zu streng vielleicht, eine unausgesprochene Warnung davor, dass er es nur nicht wagen sollte, sich ihr gegenüber etwas herauszunehmen.
Rolf zögerte, wich ihrem Blick für einen kurzen Moment aus, was ihm den Anschein von Unsicherheit verlieh. Susi fühlte sich irritiert, als hätte sich ein unvorhergesehener Aspekt seiner Persönlichkeit offenbart, die so gar nicht in ihr Bild passte.
Doch nur einen Augenblick später hatte er sich gefangen und trug wieder den vertraut hochnäsigen Ausdruck, der durch seine bleiche Haut und die halb geschlossenen Augenlider unterstrichen wurde.
Susi fiel auf, dass er weder Rucksack noch Schultasche bei sich trug und da sie vermutete, dass sein Schultag nicht kürzer sein durfte, als der ihre, schürzte sie verächtlich die Lippen. Kein Wunder, dass er schwänzte. Sicher fühlte sogar ein Kotzbrocken wie er, dass er unwillkommen war, dass ihn niemand hier haben wollte.
Susi senkte den Kopf, plötzlich beschämt. Seit wann war sie so elitär geworden, im Grunde lag eine Denkweise wie diese nicht in ihrer Art. Und doch brachte Rolf stets das Schlimmste in ihr zum Vorschein, die schlimmsten Vorurteile, die größten Abneigungen.
‚Er hat sich mit Hendrik geschlagen‘, sagte sie sich im Stillen. So war es denn kein Wunder, dass sie auf ihn nicht gut zu sprechen war. Ja, sie besaß jedes Recht, ihn nicht leiden zu können.
Sie sah auf.
Rolf stand immer noch vor ihr. Der Abstand zwischen ihnen hatte sich nicht verringert. Doch nun sah er sie an, unverwandt und mit einer Ernsthaftigkeit, die Susi einen kurzen, unerwarteten Schauer über den Rücken jagte.
Sie erwiderte den Blick. „Was?“, schnappte sie dann plötzlich, unfähig, die Stille noch weiter zu ertragen.
Rolf zuckte mit den Schultern. „Nichts“, antwortete er dann doch und ein schmales Lächeln kräuselte um seine Lippen. „Ich habe mich nur gefragt, was ein so braves Mädchen wie du allein hier draußen tut.“
Susi rümpfte die Nase. „Ich bin nicht brav“, verkündete sie, hauptsächlich um ihm zu widersprechen.
„Ach.“ Rolf zog seine Augenbrauen hoch und musterte sie dann von oben bis unten, mit Betonung auf ihre glattgestrichene Schuluniform.
Susi wand sich unbehaglich unter seinem Blick. „Und was tust du hier?“, fragte sie dann und bemühte sich, ihrem Ton die größtmögliche Schärfe zu verleihen.
Wieder zuckte Rolf mit den Schultern, verlieh der Achtlosigkeit in seiner Stimme Ausdruck. „Alles ist besser, als in dem Kaff herumzusitzen.“
„Du sprichst von meiner Heimatstadt“, erwiderte Susi und überlegte einen Moment. „Und jetzt auch von deiner“, fügte sie hinzu. „Sieht doch so aus, als habe dein Onkel dich für längere Zeit am Hals.“
Rolf grinste schief. „Der arme Kerl kann einem schon leid tun.“
„Das hast du gesagt“, gab Susi zurück und konnte es doch nicht verhindern, dass ihr ebenfalls ein Lächeln entschlüpfte.
„Also?“ Rolf legte den Kopf schief.
„Also was?“, fragte sie nun doch belustigt.
Rolf deutete mit dem Kinn zur Bank, auf den Platz neben ihr.
„Kann ich mich dazu setzen?“
Susi erstarrte nur kurz. „Hast du nichts Besseres zu tun?“, brummte sie dann.
Rolf durchquerte den Abstand zwischen ihnen in wenigen Schritten und setzte sich dann geschwind neben sie.
„Nein“, antwortete er und wand sich zu ihr, lehnte sich mit einem Arm gegen die hölzerne Lehne. „Um ehrlich zu sein, bin ich nur dafür hierhergekommen.“
„Ich wusste gar nicht, dass du so… so…“ Susi gingen die Worte aus und sie verstummte verlegen.
Rolf grinste. „Dass ich so romantisch bin?“, ergänzte er. „Du weißt vieles nicht von mir.
Susi entschlüpfte ein Kichern noch bevor sie es vermeiden konnte. „‘Romantisch‘ war nicht das Wort, dass mir in den Sinn kam.“
„Aha.“ Rolf lehnte sich zufrieden zurück. „Du meinst ein Herumtreiber und Schulschwänzer kann sich nicht an den Schönheiten der Natur erfreuen.“ Spöttisch zog er einen Mundwinkel hoch.
„Wie kommst du darauf?“ Doch trotz ihres Protestes errötete Susi.
„Na, ich liege doch richtig“, sagte Rolf und blickte auf den murmelnden Bach. „Glaub nicht, dass ich nicht wüsste, wie diese Stadt über mich denkt.“
Susi wusste erst nichts zu erwidern. Doch dann fühlte sie sich doch bemüßigt, etwas zur Verteidigung ihres Wohnortes beizutragen.
„Vielleicht hast du ja angefangen“, bemerkte sie ein wenig zu direkt, doch mit voller Absicht.
Als keine Antwort kam, wand sie den Kopf und traf auf Rolfs Blick, der sie amüsiert ansah. „Das habe ich sogar ganz sicher“, sagte er und musterte sie, als erwarte er jederzeit eine deftige Retourkutsche von ihr.
Doch diese blieb aus, als Susi den Blick senkte.
„Na, dann darfst du dich auch nicht wundern“, fügte sie schließlich zu dem Gespräch hinzu und zögerte.
Rolf rutschte auf der Bank ein wenig hin und her. „Wer sagt denn, dass ich mich wundere“, murmelte er dann.
Susi sah ihn von der Seite an. „Ich denke, ich verstehe“, äußerte sie ruhig.
Rolf wandte sein Gesicht dem Ihren zu und zum ersten Mal fiel ihr auf, wie satt kastanienbraun seine Augen in dem blassen Gesicht wirkten. Umrahmt von schwarzen Wimpern, die für ein Jungengesicht fast ein wenig zu lang wirkten und ihm doch den Anstrich einer Sensibilität gaben, die er hinter seinem angeberischen Äußeren nur allzu gut verstecken konnte.
Sie nickte. „Oh ja, jetzt verstehe ich“, murmelte sie und ein Lächeln breitete sich über ihr Gesicht aus. Ein Lächeln, das diesmal echt war, klar und ohne Vorbehalte. Ihr würde er nichts mehr vormachen. Ihr nicht. Vielleicht dem Rest der Stadt, vielleicht Hendrik, vielleicht der Schule, doch sie hatte einen Blick hinter die Fassade geworfen. Ihr Lächeln vertiefte sich. Und das Schönste daran war, dass Rolf selbst es vermutlich nicht einmal merkte.