Titel: Schimmel im Haus
Autor: callisto24
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Schimmel im Haus
Sie hat es schon wieder getan. Meine gute Freundin Elisabeth. Sicher, Klartext reden ist immer gut. Klartext reden ist wichtig und reinigt die Luft. Es mag auch sein, dass sie einfach die Hoffnung nicht aufgibt. Die Hoffnung darauf, dass ich aus ihren Bemerkungen schließlich, letztlich, die einzig mögliche Konsequenz ziehe und das ekelhafte Gift, welches mein Haus verseucht, ein für alle Mal entfernte.
Sie hatte es zwar nie in Worte gefasst, nie deutlich gemacht, und doch war es kein Geheimnis, dass ihre Kinder die meinen nicht mehr besuchen durften, seitdem ihr das Grauen bewusst geworden war. Nur zu offensichtlich, dass die Angst vor dem Schimmel den beiden Jungens deutlich eingebläut wurde. Keinen Fuß durften sie in unser Haus setzen, es sei denn, in Notfällen. Es sei denn in Momenten, in denen beim besten Willen kein anderer Babysitter zur Verfügung stand.
Natürlich. Ich verstand das. Jeder versucht seine Kinder zu schützen. So gut wie möglich zu schützen. Das ist die Pflicht und die Verantwortung der Eltern. Wenn ich also irgendwo eine Gefahr wittere, so halte ich mein eigen Fleisch und Blut davon fern. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Niemand versteht das besser als ich, die ich mich in permanenter psychotherapeutischer Behandlung befinde aufgrund der Ängste, die mein Leben bestimmen. Die Ängste, die in erster Linie und beinahe ausschließlich mit der Sicherheit und dem Heil meiner Kinder zu tun haben. Da wäre der Straßenverkehr, die pädophile Bedrohung, um nur die am meisten verbreiteten Ängste zu nennen. Doch was mich angeht, geht der Schrecken noch weiter. Ich bin ein intelligenter, phantasiebegabter Mensch. Ich verstehe, was um mich herum vorgeht. Ich kann hinter die Fassaden blicken und über die vorgeschobene Verschleierung der Gefahren hinweg.
Das ist auch der Grund, weshalb ich mit meiner Familie in diesen Vorort gezogen bin. Weit weg aus dem Zentrum Münchens, in dem Hass und Verbrechen allgegenwärtig sind. Die Sicherheit einer Kleinstadt, auf deren Straßen noch Ball gespielt wird, aus deren Mitte es nur ein paar Schritte in die freie Natur sind, zog ich allemal vor. Natürlich ist auch hier in Maisach nicht alles eitel Sonnenschein. Mehr und mehr Verkehr verirrt sich zu uns, Gewerbegebiete und Industrieanlagen verschandeln die Orte, die ehemals noch Felder und Wiesen waren.
Wir haben vergiftete Lebensmittel, sind umgeben von den schrecklichsten Krankheiten. Strahlung bedroht unser aller Leben. Dann wären da Absturz in jeglicher Hinsicht, der sogar in Dorfschulen droht, Versuchungen, die auf die Kleinen lauern, Verlockungen und tödliche Gefahren. Jeder Hund kann zubeißen. Jede Zecke eine Borreliose übertragen, deren Folgen sich über Jahre hinziehen. Jeder Husten kann zur Lungenentzündung ausarten, jeder Kopfschmerz, jede Sinnestäuschung zum Gehirntumor. Der unglückliche Sturz auf der Treppe, das Stolpern an der Straße, während einer unschuldigen Auseinandersetzung auf dem Schulweg. Vor allem möchte man sie beschützen.
Mir fehlt einfach die Energie, mich auch noch über den Schimmel aufzuregen. Und, den Gedanken weitergesponnen, ich kann dagegen nichts unternehmen.
Meine täglichen Ängste betreffend der unzähligen Gefahren, die auf meine Kinder lauern, müssen überwunden werden. So lautet das Ziel. Ich muss die Möglichkeit der Katastrophe akzeptieren. Und ich werde sie akzeptieren. Es funktioniert auch. Unterstützt von den kleinen bunten Kapseln, wirkte ich ausgeglichener, ruhiger, fühlte mich wieder in der Lage, dem Leben die Stirn zu bieten.
Ich verfolgte meine Kinder nicht mehr heimlich. Ich beobachtete sie nicht mehr beim Spielen, bereit jeden Augenblick hinaus zu stürzen und daran zu hindern, auf einen Baum zu klettern, einen schmutzigen Stein anzufassen, oder die Katze zu streicheln, die sich vielleicht soeben mit der Vogelgrippe infiziert hatte.
Nein, ich ließ es zu. Ich schaffte es. Die Zeit war reif, sich zurückzuziehen und dem Schicksal die Entscheidung zu überlassen.
Nun mag man einwenden, der Schimmel im Haus sei nicht Sache des Schicksals. Doch im Grunde ist er dieses. Oder besser gesagt, er ist Sache meines Mannes. Wenn ich nämlich von meinem Haus spreche, so handelt es sich im Grunde um die vier Wände dieses Herren. Er besitzt die Alleinherrschaft, die endgültige Entscheidungsgewalt. Und er wird sich diese niemals nehmen lassen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als die brave Ehefrau zu spielen und auf meinen Göttergatten zu hören. Wenn er erschöpft vom täglichen Kampf um das Dasein in seinem Sessel niedersinkt, dann möchte er nichts weniger hören, als Anregungen, die das Renovieren betreffen. Nein, renoviert wird nicht, ist nicht. Ist nicht notwendig. So mein Gatte.
Vielleicht liegt es daran, dass er sich unglaublich über jede Aktivität in dieser Richtung aufregt. Vielleicht ist Veränderung schwierig für ihn. Sehr schwierig. Vielleicht scheut er auch nur die Mühe.
Ich habe es ihm gesagt. Habe ihm gesagt, dass ich es tun würde. Ich bin stark genug. Vielleicht nicht geschickt, vielleicht nicht handwerklich begabt. Meine wenigen Versuche in dieser Richtung haben es gezeigt. Allesamt endeten sie in Katastrophen, die immer noch in verschiedenen Stockwerken unseres Hauses, seines Hauses, zu bewundern sind. Laminat Böden, die Risse und Spalten aufweisen. Deren Kanten nicht an die Wände reichen. Zwischen ihnen und der jeweiligen Wand klaffen Lücken, sticht der nackte Betonboden ins Auge, sofern ich ihn nicht notdürftig mit Folie überklebt, mit Brettern vernagelt oder auf andere, provisorische Art zugekleistert habe.
Ich kann es also verstehen, wenn er der Absicht, den Keller von Schimmel zu entfernen, den Boden herauszureißen und die Wände zu streichen, mit einiger Skepsis gegenüber steht. Da hilft es auch nichts, wenn ich ihm sage, dass es doch wohl kaum schlimmer sein kann, als es im Augenblick aussieht. Er sieht das nicht. Er riecht es auch nicht.
Anders meine Freundin. Sie riecht es, sagt sie. Sobald sie ins Haus tritt, schlägt ihr der Geruch entgegen. Der Geruch nach Verfall, nach Krankheit, nach Gift. Sie sagt, sie erkennt den Geruch. In ihrem Schlafzimmer befand sich Schimmel. Sie haben ihn professionell entfernen lassen und nun erkenne sie diesen Geruch auf Meilen Entfernung.
Ich rieche nichts. Aber das will nichts sagen. Ich rieche auch sonst nicht alles. Meine Sinne sind etwas betäubt. Jugendliche Exzesse könnten die Ursache sein. Oder einfach Verschlafenheit. Manchmal will man auch nicht alles mitkriegen. Wieso sollte ich tagtäglich riechen, wie der Schimmel mein Haus auffrisst. Und dass, wo ich nicht das Geringste dagegen tun kann. Ich bin verloren, hilflos, ausgeliefert all den Krankheiten, die sie mir aufzählt und die der Schimmel verursacht. Schimmel ist überall. Ich habe ihn immer und überall gesehen. Er ist in der Brotzeitbox, in der Tupperdose, im Kühlschrank und eben auch auf Wänden. Und dort erregt er Krebs, sagt sie. Vor Krebs habe ich Angst, große Angst. Ich habe aber auch Angst vor meinem Mann und vor seinem Ärger.
Was also soll ich tun? Es gibt Möglichkeiten. Ich entledige mich meines Mannes und rücke dem Schimmel zu Leibe? Oder ich entledige mich ihrer und muss mir ihre störenden Bemerkungen nicht mehr anhören. Eine schwere Entscheidung.
Meinen Mann loszuwerden birgt eine ungezählte Menge an Vorteilen. Ich würde weder sein Schnarchen, noch sein Rülpsen, noch seine Bierflaschen vermissen, die ich jeden Morgen aufsammle. Aber mit Sicherheit würde ich auch das Geld vermissen, das er nach Hause bringt.
Und meine Freundin?
Ihre permanente Erwähnung des schimmligen Unheils würde ich nicht vermissen. Die Gespräche mit ihr? Sie ist meine einzige Freundin. Ob das daran liegt, dass sie überall und allerorts von den Schimmelwucherungen in meinem Haus berichtet? Nein, es liegt wohl eher daran, dass ich ungern unter Menschen bin. Zum einen, weil ich es hasse, wenn man mir gute Ratschläge gibt. Und zum anderen, weil diese Menschen nichts anderes tun, als mir gute Ratschläge zu geben.
Also komme ich zu dem Schluss, dass ich sie auch nicht vermissen würde. Könnte ich sie und meinen Mann gemeinsam von der Klippe stürzen, könnte ich mich vielleicht befreit fühlen. Mit der Klippe wird es wohl nichts. Aber vielleicht hilft eine Zutat im süßen Tee. Nicht umsonst plane ich bereits seit Jahren das Anpflanzen der Herbstzeitlose. Ein wundervolles Gewächs, geschmeidig im Wuchs und vielfach verwendbar. Jetzt, wo die Kinder groß sind, und eine Warnung verstehen, steht meinem Gartentraum im Grunde nichts mehr im Wege.
Und wenn meine Freundin sich das nächste Mal einlädt, und sich über Schimmel auslässt, hätte ich etwas anzubieten. Der Rest des Tees fände vielleicht noch gute Verwendung für meinen Mann, wenn er nach getaner Arbeit in sein Heim zurückkehrt. Gesetzt den Fall, ich fühlte mich bereit dazu, den Daseinskampf auf meine Schultern zu laden, mich mit Lebensversicherung, Witwenrente und ähnlichen unverständlichen Begriffen auseinanderzusetzten.
Zudem bliebe mir eine Menge Arbeit erspart. Den Keller entschimmeln, soweit kommt es noch!
Lieber wende mich sinnvolleren Ängsten zu. Der Röntgenaufnahme zum Beispiel, die der Zahnarzt heute für meinen Jüngsten vorschlug. Nein zu sagen fiel mir von jeher schwer, also stimmte ich ohne weitere Fragen zu. Und die Konsequenz ist die gewohnte Panik. Panik vor Röntgenstrahlen, vor Krebs, vor Spätfolgen, vor Tragik, Schmerz und Katastrophen.
Ich hasse Ärzte. Sie bringen nichts als Kummer. Warum müssen sie röntgen. Ich hätte nein sagen sollen, aber natürlich konnte ich nicht. Schließlich hätte er nicht gefragt, wenn er es nicht für sinnvoll gehalten hätte.
Ich hasse mein Leben, hasse Ärzte, hasse Schimmel, hasse meine Phantasie, hasse Ängste, hasse alles. Punkt.
Ich werde den Tee wohl in größeren Mengen brauen müssen. Mein Zahnarzt wird sich über eine Tasse freuen.
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