Titel: Stern
Autor: callisto24
* * *
„Geh nicht“, flüsterte Lasse in Giovannis Ohr. „Ich kann nicht so lange ohne dich sein.“
Giovanni hielt den jüngeren Mann fester, zog ihn näher an sich, obwohl eine größere Nähe physisch kaum möglich schien. „Ich muss“, antwortete er leise in Lasses Ohr. „Ich habe es dir doch erklärt. Es… es ist zu schwer für mich.“
Lasse lehnte seinen Kopf an Giovannis Schulter, rieb seine Wange gegen den kratzigen Wollpullover. „Bitte bleib bei mir“, flehte er noch einmal.
Giovanni atmete mit einem Seufzer aus, einem Laut, der zugleich Schmerz als auch Erleichterung ausdrückte. „Dann komm mit mir“, flüsterte er. „Wir könnten zusammen sein. Wir könnten an Deck schlafen, über uns die Sterne.“
Lasse schluchzte. „Du weißt, dass ich nicht gehen kann“, wisperte er. „Es gibt zu vieles hier, zu viele Verpflichtungen, zu viele Zwänge.“
„Und genau deshalb muss ich gehen“, antwortete Giovanni. „Ich kann dir nicht dabei zusehen, wie du dich zerstörst, wie du all das versteckst, was dich ausmacht, wofür du bestimmt bist.“
„Ich verstecke nichts“, wehrte sich Lasse. „Das ist mein Leben. Meine Pflichten, meine Beziehung, meine Familie – alle verlassen sich auf mich. Keiner könnte es verstehen.“
„Du gibst ihnen auch keine Chance.“ Giovanni drückte Lasse einen Kuss auf die Stirn. „Aber das ist in Ordnung. Das bist du. So bist du, und ich liebe dich auch aus diesem Grund, weil du so bist.“
„Giovanni“, flüsterte Lasse und barg sein Gesicht an Giovannis Schulter. „Es… es tut mir so leid.“
„Stell dir nur vor, wie es sein könnte“, sagte Giovanni auf einmal heiser. „Stell dir nur für einen Augenblick vor, was wäre, wenn wir uns nicht auf diesem Steg befänden. Wenn ich nicht die Leine des Bootes hinter mir wüsste, bereit gelöst zu werden, sobald ich meinen Fuß auf das Schiff setze. Wenn wir nicht hier wären, Gefangene unserer Leben. All der Pflichten, die uns eine verschwendete Zeit, die wir ohne einander verbringen mussten, auferlegten.
Lasse schloss die Augen und stellte es sich vor. Seine Hände krallten sich in den Stoff der Kleidung, die Giovanni trug, und er fühlte, wie der andere seine Arme enger um ihn schlang, wie er ihn emporhob, ihn in eine Fantasie entführte, die er bislang nur vage und mit wenigen Worten entworfen hatte.
Die Luft trug ihn, ebenso wie Giovanni ihn durch die Luft trug, bis sie mit einem Ruck an ihrem Ziel ankamen. Lasse blinzelte, als der Boden unter seinen Füßen zuerst vibrierte und dann begann zu schwanken. Oder er hatte schon immer geschwankt, nur dass Lasse die Bewegung jetzt erst wahrnahm. Keine unangenehme Bewegung, eher ein sanftes Schaukeln, das keine Sorgen oder Unruhe verursachen konnte. Nicht solange Giovanni ihn festhielt, solange er seine starken Arme um Lasse geschlungen hielt und keine Anstalten unternahm, keinen Versuch, ihn jemals wieder loszulassen. Lasse schloss die Augen wieder und stieß einen zufriedenen Seufzer aus, der von einem tiefen Lachen beantwortet wurde, welches schwach an sein Ohr drang, welches er mehr in Giovannis Brust spüren konnte, als dass er es hörte.
„Was ist so lustig“, flüsterte er gegen den warmen Stoff, ohne seine Augen wieder zu öffnen. Stattdessen rieb er seine Stirn gegen den Körper des Größeren und seufzte erneut zufrieden.
„Nichts“, wisperte Giovanni zurück. „Nur deine Fantasie. Sieh, wohin du uns gebracht hast.“
Lasse deutete ein schwaches Kopfschütteln an. „Ich will es nicht wissen“, gab er zu. „Ich will nur sein, wo du bist.“
„Sieh nur hin“, ermunterte ihn Giovanni erneut. „Wir sind alleine. Du hast uns an den ruhigsten und einsamsten und gleichzeitig schönsten Ort geführt, den ich mir nur erträumen könnte.“
„Und wo sollte das sein?“ Nun blinzelte Lasse doch, drehte seinen Kopf und schmiegte seine Wange gegen den Stoff, während er aufsah. „Oh“, stieß er hervor.
„Nicht wahr?“, lachte Giovanni glücklich.
„Wo sind wir?“, fragte Lasse. „Es sieht aus als flögen wir… durch die Sterne.“
Amüsiert schüttelte Giovanni seinen Kopf. „Auf ruhiger See“, antwortete er leise. Die Sterne spiegeln sich in der glatten Oberfläche und wir schweben. Wir schweben über das Wasser.“
„Ja“, murmelte Lasse. „Und wir sind allein.“
„Niemand kann uns sehen“, bestätigte Giovanni. „Niemand wird je wissen, wo wir sind, oder was wir tun.“
„Dann lass uns hier bleiben“, antwortete Lasse. „Auf unserem eigenen Stern. Wie ich wünschte, dass es immer so sein könnte. Wenn du nur wüsstest wie sehr.“
„Aber das weiß ich doch“, flüsterte Giovanni zärtlich. „Glaub mir, ich weiß es.“
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