Freitag, 7. Januar 2011

Der Job II

Titel: Der Job II
Autor: callisto24
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Der Job, Teil II

Selbstverständlich habe ich niemanden umgebracht. Und schon gar kein Kind. So etwas fiele mir selbstverständlich nicht einmal in meinen allerschrecklichsten Albträumen ein. Und wie auch immer, vor allem wäre es doch niemals zu dieser Fortsetzung gekommen, hätte ich mich meiner unausgereiften Verwandtschaft bereits in diesem frühen Stadium entledigt. Dies tat ich selbstverständlich nicht. Dafür stand ich selbstlos und opferbereit genau eine Woche später wieder auf der Matte, um mir ein oder mehrere Beine auszureißen. Doch sollte dieses Mal alles anders kommen. Denn höhere Mächte als ich beschlossen eiskalt, dass diesmal die ganze Sache nicht im Heime des jungen Nachwuchses stattfinden sollte, sondern stattdessen in meinen eigenen vier Wänden. Mein Heim, missbraucht als Babyaufbewahrungsklappe. Wie gewohnt, war ich natürlich nicht in der Lage abzulehnen, sprich einfach ‚Nein‘ zu sagen. Weshalb ich es auch nicht tat, sondern äußerlich freudig zustimmte. Und so trudelten sie ein. Einer nach dem anderen. Füllten mein Heim mit Lärm, Geschrei, Tränen, Windeln und Kinderkotze. Gut, eigentlich war ich es, der mein Heim mit Lärm füllte. Denn da ich keine Stille ertrage, und schon gar keine Stille, die von mir erwartet mit Dialogen gefüllt zu werden, die ich mit Minderjährigen führe, welche der Sprache kaum oder überhaupt nicht mächtig waren, griff ich wie immer in einer Notlage zur CD. Und da ich kein Unmensch bin, sondern ein äußerst verantwortungsbewusstes Stück Mensch wählte ich in diesem Fall nicht meine üblich bevorzugten Stücke mit leichtem Death Metal Einschlag und den gewaltverherrlichenden Texten, sondern die extra für Fälle wie diese angeschaffte Liedersammlung für Minder-Bemittelte, zusammengestellt und vorgetragen mit schmalziger Stimme eines Möchtegern-Barden, der sich von einem aufgeregten Kinderchor begleiten ließ. Und diese Kinder-CD ließ ich dementsprechend hinauf und hinunter dudeln, wieder und wieder von vorne. Was den Vorteil besaß, dass Kinder älteren Geburtsdatums bereits begannen, sich Gedanken um die Texte zu machen, während Kinder, deren Existenz gerade erst begonnen hatten, sich von dem Rhythmus, dem auditiven Vergnügen oder auch nur den blinkenden Lichtern auf dem Apparat, der das Abspielen übernahm, leiten und ablenken ließen. Und eine Grundregel bestand doch immer darin, die Aufmerksamkeit der lieben Kleinen zu binden, sie gut genug zu beschäftigen, dass sie sich die vor ihnen liegenden Stunden zumindest nicht über das Maß des Erträglichen hinaus, beschwerten. Was ich nicht dabei bedacht hatte, war die Belastung, der ich selbst mein eigenes Nervenkostüm aussetzte. Eine Belastung, die alleine schon schwer zu ertragen wäre. Denn permanentes Gedudel Hirn- und Talent-loser Versuche von unbegabten Nichtskönnern, bei denen es nicht dazu reichte, sich als echter Musiker zu etablieren, und die deshalb als Kinderkomponist ihre Nische suchten, musste über kurz oder lang den auch nur mäßig musikalischen Zuhörer die Wände hochtreiben.
Meine Nerven begannen demnach schon nach kürzester Zeit zu beben. Und das blieb beileibe nicht alles. Nehmen wir die Spielsachen. Natürlich verteilte ich diese in regelmäßigen Abständen über den Fußboden. Hauptsächlich natürlich um den Kurzen kleine, möglichst abgetrennte Inseln zu bieten, auf denen sie sich auf unbestimmte Zeit weitgehend ruhig aufhalten und beschäftigen konnten. Natürlich taten sie dies nicht. So wie Kinder nie das tun, was man ihnen aufträgt. Nicht einmal in diesem zarten Alter. Und wenn sie es in diesem nicht lernen, wann sollten sie es je tun? Ehrlich gesagt, hege ich nicht viel Hoffnung für diese Generation. Oder für die davor, oder die danach.
Wie auch immer. Diese Kinder weigerten sich also, auf den abgegrenzten und wohl ausgeklügelten Plätzen zu bleiben, die ich strategisch angelegt hatte. Nicht zuletzt unter Beachtung eines Mindestabstands, der vermeiden sollte, dass sich die zu Betreuenden untereinander zu nahe kamen. Ganz besonders nicht nahe genug, um Differenzen irgendwelcher wie auch immer gearteter Gestalt, zu entwickeln oder gar auszutragen.
Natürlich blieben alle diese Vorsichtsmaßnahmen vollkommen und insgesamt nutz- und funktionslos. Offenbar scheint nicht nur dem Erwachsenen das Gras auf der anderen Seite des Zaunes grüner. Nein, auch bei den Kleinsten fängt diese Unsitte bereits im zartesten aller Altersstufen an. Praktisch sobald sie krabbeln können, drängt es sie, die ihnen zugewiesenen Plätze zu verlassen. Und dies nur zu dem einen Zwecke. Um ihrem Leidensgenossen genau das wegzuschnappen, woran dieser gerade im Moment sein Herz gehängt hat. Und offenbar wird jede Begierde dieser Art nur noch angestachelt, durch den Widerstand, Protest oder die Tränen des Kontrahenten. Sie voneinander fernzuhalten, reicht also nicht aus. Man müsste sie in gesonderten Zimmern unterbringen, in Zellen sozusagen. Wände zwischen ihnen hochziehen, am besten gepolsterte, damit sie sich nicht miteinander verständigen und so von den Vorteilen ihrer differierenden Spielsachen überzeugen könnten.
Wie auch immer, da mir jede Möglichkeit, die in diese Richtung führt, aus Platzmangel und anderen praktischen Gründen von vorneherein verwehrt blieb, musste ich mich damit abfinden, dass ein gewisser Geräuschpegel zusätzlich zu dem permanenten Gedudel nicht zu vermeiden war. Doch nicht nur dies. Auch das hin und wieder leider Gottes notwendige Hochheben, Herumtragen und in den Armen Schaukeln der weniger selbstständigen, um nicht zu sagen, labilen Kurzen, erwies sich als wachsende Belastung. Hauptsächlich in Hinblick auf meine nicht sonderlich ausgeprägte Rückenmuskulatur. Im Klartext, meine Bandscheiben protestierten nach einer Weile. Bücken und Hochheben konnte nicht angenehm, und langfristig sogar unerträglich werden. Dennoch ließ es sich nicht stoppen, sollte geplant sein, den Nachmittag ohne nachbarlichen Besuch, beziehungsweise dem Auftreten auf den Plan gerufener Ordnungshüter oder Beamten des Jugendamtes hinter mich zu bringen, so musste doch zumindest den Lautstärksten aller Beschwerden nachgegeben werden. Und ich tat so bis ich… ja bis ich buchstäblich nicht mehr konnte. Jeder Mensch hat seine Grenzen. Und meine lagen bei schmerzendem Rücken, schmerzenden Ohren und dem permanenten Treten auf scharfe und kantige Gegenstände, welche die lieben Kleinen mit Begeisterung durch die Gegend warfen. Denn so sah es aus, nicht einmal diese Unart konnte ich ihnen abgewöhnen. Nein, meine sorgfältig verteilten und aufgetürmten Spielsachen konnten nicht an den Plätzen verbleiben, die ich ihnen zugewiesen hatte. Sie bewegten sich praktisch selbststätig. Und dieses genau vor oder unter meine Füße. Mit der Konsequenz, dass ich entweder vor Schmerzen aufschrie, weil sich eine gefährliche Spitze in meine empfindliche Fußsohle bohrte, oder dass ich sogar Gefahr lief zu stolpern, und in voller Länge auf den Fußboden, gespickt mit zerklüfteten Landschaften zu fallen. Schrammen, Beulen und Blessuren waren logische Folge. Doch nicht mit mir. Nicht lange. Ich erkannte meine Grenzen. Gute Vorsätze waren eine Sache. Gutes Benehmen eine andere. Diese Kinder konnten sich einfach nicht benehmen. Und als das momentan meinen Rücken ruinierende Exemplar seinen Mageninhalt auf meinem Seidenpullover ausleerte, während mir ein anderes freudig demonstrierte, wie schön es einen Strahl in die Ecke stellen konnte, lief das Fass über. Das Monster in mir kam zum Vorschein, so sehr ich auch geglaubt hatte, es bändigen zu können. Zum Glück hatte ich mein Domizil in einem der oberen Stockwerke gewählt. Vielleicht lag der Grund bereits in einer entsprechenden Ahnung. Vielleicht war es auch Zufall oder handelte sich einfach nur um Glück. Auf jeden Fall, egal was man ihnen vorwerfen will, die Bälger waren doch erfreulich leicht. Und der Innenhof, in den ich sie warf, wurde so gut wie nie benutzt. Zeit genug, um das Nötigste zu packen und einen neuen Aufenthalt zu suchen. Vielleicht fände ich dort Kinder, die sich meinen erzieherischen Fähigkeiten eher anpassten. Die Hoffnung stirbt nun mal nie.

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