Samstag, 13. Juni 2009

Alkohol

Alkohol und Zigaretten.

Ich erinnere mich an diesen Film: Kaffee und Zigaretten, ein nachweisliches Kunstwerk, erschaffen dereinst in Schwarz-Weiß von dem unvergleichlichen Jim Jarmusch.

Damals war es Mode zu behaupten, dass eine Tasse Kaffee, stark und schwarz selbstverständlich, zusammen mit einer Zigarette am Morgen genossen, die Lebensgeister auf wundersame Weise in Schwung brächten.
Vielleicht galt es allerdings auch nur als cool, auf diese Art zu frühstücken. Denn was ist schon cool an einer Schale Müsli, einer Schüssel Cornflakes oder einem Milchbrötchen mit Früchtetee?

Nein – es musste etwas Finsteres sein, etwas, das Düsternis und Selbstzerstörung verkörperte, und zugleich oder trotz dessen, anregend genug blieb, um Interesse aufrecht zu erhalten.
Kein hirnloses Zusaufen mit dem Glimmstengel zwischen den Fingern. Statt dessen Ja zum Leben, Ja zum Morgen, aber Nein zum Alter, Nein zur Gesundheit, Nein zur Selbsterhaltung.

Natürlich – wir alle wussten, dass Zigaretten schädlich waren, ebenso wie es heutzutage jedermann weiß. Aber hält das tatsächlich denjenigen ab vom Rauchen, der wirklich Rauchen will? Ganz sicher nicht. Im Gegenteil – das Interesse am Verbotenen wird lediglich gesteigert.

Wo war ich… bei Kaffee und Zigaretten, genau.
Also Zigaretten besitzen diese dumme Nebenwirkung – sie stinken. Und nicht nur, wenn sie abbrennen, und man zufällig an einem glimmenden Glimmstengel vorbeischreitet.

Nein – das riecht eigentlich sogar ziemlich lecker. Zumindest für den ehemaligen Raucher. Der kräuselnde, silbergraue Rauchfaden, der sich so elegant in die Lüfte erhebt, der Duft nach Teer und Nikotin, nach Verbrannten weckt Erinnerungen an die ersten Züge, die im Hals wohl brannten, und dennoch oder gerade deshalb die Köstlichsten waren.

Das ist natürlich keine Entschuldigung. Sondern im Gegenteil ein Argument dafür, mit dieser Unsitte erst gar nicht anzufangen. Denn hat man einmal mit dem rauchen begonnen, so ist der Samen gesetzt, so schlummert die Sehnsucht nach der Zigarette bis in alle Ewigkeit, oder zumindest, bis man zum allerletzten Mal die Augen schließt, in den Tiefen der eigenen Seele, bereit herauszukommen, sobald man nur auf dem Bildschirm, nur auf einem Foto des verlockenden Stengels ansichtig wird.

Vergessen die Zeiten der Loslösung, der heldenhafte Kampf gegen die Versuchung, das Bedürfnis an jedem Auspuff zu schnuppern, jede Garage, jeden U-Bahn-Tunnel in die eigenen Lungen zu saugen, um zumindest den geringsten, schäbigsten Ersatz für die Droge zu bekommen.

Und bei all dem stellt sich die widersinnigste aller Fragen – was hat man überhaupt von der Zigarette?
Sie verleiht einem keine Träume, versorgt nicht mit Illusionen, noch nicht einmal die Selbsteinschätzung ändert sich – bis auf die fatale und längst veraltete Vorstellung von Coolness.

Nur dass der letzte Rest dieser Vorstellung verfliegt, sobald ein Gegenüber tief Atem holt. Denn gerade während dieser Sommertage, gerade in Verbindung mit anderen Substanzen reagiert der andere gerne mit einer speziellen Form des Naserümpfens.

Selbstverständlich bemerkt der erprobt coole Raucher und Kaffeetrinker ein solches Naserümpfen nicht. Es könnte auch sein, dass er darüber steht, dass Kleinigkeiten wie seine Wirkung auf andere nicht von dem Material sind, über das er sich Gedanken macht.
Zugegeben – eigentlich und wiederum eine recht gesunde Einstellung. Der Raucher scheint doch etwas richtig zu machen.

Problematisch wird es nur, wenn besagter Raucher eines Tages doch der Zigarette entsagt. Und machen wir uns nichts vor – irgendwann wird es passieren.
Mit der Aufgabe der Zigarette, setzt nämlich zwangsläufig und irgendwann früher oder später ein längst vergessener oder verdrängter Sinn ein - der Geruchssinn.

Auf einmal riecht man wieder. Ein Argument, das selbstverständlich auch für das Rauchen sprechen könnte, je nachdem wo man lebt oder arbeitet. Es kann sich durchaus um einen Segen handeln, wenn der Mensch nicht gezwungen ist, alles zu riechen, was ihn umgibt.

Nichtsdestotrotz ist der Geruchssinn einer von der Sorte, der auch Freude machen kann. Die Welt duftet plötzlich wieder. Blumen, Parfüm, Duft-Öle – zuvor nicht existente Welten kehren ins Bewusstsein zurück.

Aber natürlich riecht man auch Übles. Und damit ist nicht die vor sich hin glimmende Zigarette gemeint… die Rauchwolke, nach der man unwillkürlich schnuppert, schlendert man an einem Raucher vorbei, während die letzten Reserven mobilisiert werden, um besagtem Raucher nicht seinen Glimmstengel aus der Hand zu reißen, sondern stoisch weiterzuschreiten und sich an der eigenen Stärke und Willenskraft zu erfreuen.

Nein, die Zigarette – der Zigarettenrauch zählt zu den verlockenden Düften.
Der Raucher selbst mitnichten.
Unter verschiedensten Umständen kann es passieren, dass selbst der oft erwähnte abgestandene Aschenbecher besser riecht, als der Raucher. Wer erinnert sich nicht an diesen unheiligen Dunst, diese Wolke von unsichtbarer und dennoch geradezu erschlagender Wucht?

Habe ich auch so geduftet, als ich noch aktiv war, fragt man sich unwillkürlich, und vielleicht zum ersten Mal ohne die leise Wehmut, ohne das Gefühl des unerträglichen Verzichts, der einer geradezu unverdienten Strafe gleichkommt.

Und man muss sich eingestehen, dass die Zeichen dafür sprechen, dass eine Zigarette nun mal Zigarette ist, und in Kombination mit dem menschlichen Körper gewisse Effekte produziert. Nichts passiert ohne Folgen.
Du bist, was du isst, also auch was du rauchst. Und du duftest auch wie du rauchst.

Selbstverständlich kannst du den Zigarettenmief mit einem guten Deo zu kaschieren versuchen, aber seien wir ehrlich – so stark ist kein Deo. Da helfen nur schwere Geschütze, und viele Leute lehnen es ab, als wandelnde Duftlampe durch die Gegend zu laufen.


Doch komme ich vom Thema ab, zielte ich doch eigentlich in Richtung Alkohol – wie immer.
Aber mittlerweile sind wir auch über das Frühstück hinaus. Der Tag beinhaltet schließlich noch mehr.
Lassen wir Mittagessen und belanglose Nichtigkeiten wie Arbeit, Uni
oder Schule beiseite, und gehen direkt zum interessanten Teil des Tages über.

Natürlich besteht durchaus die Möglichkeit, sich bereits vor der Happy Hour mit einem guten Schluck zu trösten, aber ich gehe doch davon aus, dass die meisten Menschen etwas stärker sind als ich, und deshalb bis zum Abend warten, um sich einen hinter die Binde zu gießen.

Wie dem auch sei: ein gemütlicher Tagesabschluss, ein Drink, eine Zigarette, um die Nervosität zu überbrücken, wenn die hübsche Blonde, oder der hübsche Dunkelhaarige zufällig herübersieht.
Keine Frage, das gehört dazu und kommt gut.
Nur dass die Kombination duftmäßig gesehen eine weitaus durchschlagendere Wirkung besitzt, als die Zigarette allein.
Oh ja… diese Kombination tötet empfindliche Geruchsnerven. Und das am erfolgreichsten, wenn man Bier zu dem Mix gibt.

Wir haben also zwei Möglichkeiten: Entweder sehen wir cool aus, fühlen uns cool, und rauchen und trinken ohne Scham und Zurückhaltung.

Oder wir leben anständig, brav, abstinent, und der teure Duft, den wir uns von dem Geld leisten können, das wir uns durch die Vermeidung des Kaufes von Alkohol und Zigaretten sparen, entfaltet sich wie eine Blume. Ohne Hindernis, ohne Barriere, ohne dass eine legale Droge uns das Gehirn vernebelt.

Natürlich, selbstverständlich und fraglos existieren gerade für den Alkoholgenuss noch andere Gründe, außer, dass er legal ist. Positive Aspekte, die zu erwähnen sich von selbst verbietet, möchte ich nicht die stets auf tönernen Füßen schwankende Trockenheit gefährden.

Nur zu dem einen, entscheidenden Punkt: Man kann sich wunderbar damit umbringen. Vor allem dauert das. Es zieht sich ein Weilchen hin, bis die Leber ruiniert ist. Und dann fängt sie an zu schmerzen.
Zusammen mit der einsetzenden Übelkeit ist es fast möglich, dass der Mensch schwach wird, und freiwillig mit den harten Getränken aufhört. Ja vielleicht sogar das Trinken vollkommen bleiben lässt. Zumindest für eine Weile. Wenn man so will.

Dummerweise regeneriert die Leber sich unter Umständen wieder. Ja, die Leber kann fast wieder gesund werden, und ihre Tätigkeit munter wieder aufnehmen. Und je nachdem wie konsequent man den Alkoholismus betrieben hat, umso langfristiger und vielleicht vorerst noch unbemerkt bleiben die Langzeitschäden.

Ja, der menschliche Körper ist ein Wunderwerk, und ausgesprochen widerstandsfähig.
Es kann durchaus sein, dass man einigermaßen stabil aus dieser Sache hervorgeht – Neigung zur Selbstzerstörung hin oder her.

Und natürlich – und zur Beruhigung labiler Geister – kann mit gutem Gewissen behauptet werden, dass ja doch die Möglichkeit besteht, sich jederzeit dem guten Trunk erneut zuzuwenden.

Ja, der Mensch darf jederzeit – vom gesetzlichen Standpunkt betrachtet – seine Meinung ändern, und damit fortfahren, sich zu Tode zu trinken.

Unterstützend und hilfreich wirkt natürlich auch hier, dass Rauchen. Zigarettenindustrie, Gewerbesteuer, der Staat und der Teufel – schätze ich – sich nebst vielen anderen Unerwähnten freuen, wenn das Geschäft boomt, und eifrig gequalmt wird.

Genauso wie sich die Waffenindustrie durchaus offen freuen darf, wenn sich ein Konflikt über kurz oder lang zuspitzt.
Und ist nicht das Wirtschaftswachstum das Wichtigste? Haben wir das nicht alle gelernt?

Wohlgemerkt – das Wachstum unserer Wirtschaft natürlich. Also der, auf die es ankommt.

Denn mit der Beachtung eines biologischen Grundgesetzes dürfte jedem denkenden Menschen klar werden, dass Wachstum in jeder Form Konsequenzen nach sich zieht.
Konsequenzen für eine andere, unbedeutende Existenzform. Eine Form, von der man bald nichts mehr weiß, da sie zwangsläufig überwuchert wird.

Ist ja auch klar – irgendwohin muss die Wirtschaft wachsen. Also wächst sie dorthin wo sie vorher nicht war. Wo vorher etwas anderes war. Zum Beispiel eine andere Kultur. Und was interessiert es unser Wachstum, wenn diese Kultur ausgerupft, ausgedörrt oder vernichtet wird. Der Kolonialismus war nur die Spitze des Eisbergs. An dem Rest wird munter weitergearbeitet.

Mittlerweile interessiert das natürlich niemanden mehr, da die ‚Krise‘ hier angekommen ist, unerwartet, unbeschreiblich und aus dem Nichts aufgetaucht. Deshalb wird diese Krise erst einmal behandelt. Der Blick auf globale Zusammenhänge limitiert sich dadurch von selbst. Hatten wir zuvor vielleicht noch einen mitleidigen Blick übrig auf ein verarmtes Land, so sind wir nun ausreichend mit der Selbsterhaltung beschäftigt, um jenem Land zuzutrauen, sich doch selbst und an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.

Es versteht sich also auch von selbst, dass wir keine Möglichkeit mehr besitzen, auf Geringfügigkeiten wie faire Kaffeepreise Rücksicht zu nehmen. Um Gottes Willen – sonst noch was?

Nein – wir, als Opfer der Krise, sind geradezu verpflichtet uns das Billigste vom Billigsten anzuschaffen, im Konsum zu schwelgen, Angebot und Nachfrage zu regeln, und uns überhaupt wie pflichtbewusste Bürger dieses Landes zu verhalten.

Den Kaffee erlauben wir uns – natürlich – wir sind schließlich eine Nation von eingeschworenen Kaffeetrinkern.
Und die Zigarette kurbelt die Wirtschaft an, sorgt für Arbeitsplätze, erspart der Gesellschaft die Rentenkosten, und dem Raucher selbst das Alter.

Gleiches lässt sich auch für den Alkohol anführen.

Die Vorteile des freudigen Konsums überwiegen demnach eindeutig. Vergessen wir also belanglose Kleinigkeiten wie unangenehme Gerüche. Sie gehören zum Leben, so wie alles andere auch.

Vergessen wir den menschlichen Trieb zur Selbsterhaltung. Irgendwann muss damit Schluss sein.
Und loben wir gemeinsam die nie nachlassende Tendenz zur Selbstzerstörung, den alles überragenden Sieg der Lässigkeit, die Verdrängung von Realität und Durchblick.
Den unnachahmlichen Charme, den ein qualmender und saufender Fünfzigjähriger verströmt, oder die Anziehungskraft einer Dame in den besten Jahren, die sich alleine auf ihrem Sofa den Likör gibt, bis sie ins leerstehende Bett taumelt.
Das ist unsere Gesellschaft. Lieben und erhalten wir sie. Alkohol und Zigaretten bleiben dabei unerlässlich.

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