Sonntag, 31. Januar 2010

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Autor: callisto24
* * *


Da stand ich nun vor der leeren Leinwand und bemühte mich vergeblich um Inspiration. Der Augenblick war günstig. Gerade hatte ich die kleine Chantal in ihr Bett gelegt, in dem sie, gottlob, noch die meiste Zeit ihres gerade mal vierwöchigen Lebens verbrachte. Ich hätte nie gedacht, dass so ein kleines Wesen so viele Nerven kosten könnte. Und angeblich war das erst der Anfang. Dabei reichte es mir wirklich schon. Keine Nacht durchschlafen und wahrscheinlich auch keine Chance mehr, die überschlanke Figur, mit der ich als junges Mädel um jeden Preis Model werden wollte, jemals wiederzuerlangen. Schauspielerin wäre ich auch nur allzu gerne geworden. Dafür hatte ich mir sogar einen Künstlernamen zugelegt: „Claire Valaire“. Damals konnte es mir gar nicht französisch genug zugehen. Und es hörte sich doch auch bei weitem bedeutender an als „Julia Oberstein“.
Wahrscheinlich war es auch die französische Herkunft, die mich an Jacques so fasziniert hatte und mich dazu gebracht hatte diese Katastrophenehe einzugehen. Aber zwei Schauspieler ohne ernstzunehmende Ausbildung, die vergeblich auf den großen Durchbruch warteten, das konnte nicht gutgehen. Da war ich mit Philip schon besser dran. Ihn kannte ich eigentlich schon aus dem Kindergarten, und die ganzen Witze unserer Eltern, dass wir noch eines Tages als Brautpaar enden würden, hatten sich schließlich doch bestätigt. Und was konnte ich mir auch mehr wünschen als einen liebevollen, treuen Ehemann, der mit Freude seiner Arbeit als Mechatroniker nachging. Dass er dazu noch in der Werkstatt meines Vaters arbeitete, konnte mir eigentlich nur recht sein. Wenn da nur nicht dieser ungute Beigeschmack gewesen wäre. Als ob alle zusammen etwas ausgeheckt und mich in die Falle gelockt hätten. Sollte ich vielleicht im Windeln Wechseln und Fläschchen Zubereiten die Erfüllung meines Lebens finden?
Ich sah von der kahlen Leinwand weg und blickte in den Spiegel. Mit etwas Training und viel Tennis bekäme ich vielleicht doch eines Tages wieder meine alte Figur zurück. „Ach ja, Tennis“, entrang sich mir ein Stoßseufzer. „Bis ich wiederauf dem Platz stehen kann, bin ich wahrscheinlich schon alt und grau geworden.“
Aufmerksam durchforstete ich mein Gesicht nach kleinen Fältchen, aber dank der zahlreichen Cremes und Feuchtigkeitspräparate, die man mir während meiner Arbeit als Mannequin aufgedrängt hatte, sah ich, mit ein wenig Fantasie, trotz der Übermüdung noch immer aus wie 17. In den Discos und Clubs konnte ich mich immer noch sehen lassen. Jedoch auch das konnte ich wahrscheinlich fürs erste vergessen. Philip meinte ohnehin schon, dass ich zu wenig Zeit mit dem Baby verbrächte und Babysitter kamen für ihn nicht in Frage. Aber der hatte leicht reden. Außer Autos kannte er gar nichts. Nur ich wollte einfach noch nicht zum alten Eisen zählen. Wenn ich eine meiner Rockplatten anhören wollte, hieß es sofort: „Leise, das Baby! Aber ich konnte doch nicht nur Wiegenlieder hören, von morgens bis abends. Das musste doch auch irgendwie anders gehen. Vielleicht wäre ja Rockmusik genau nach Chantals Geschmack?
‚Ich sollte einfach nicht so viel auf Philip hören“, beschloss ich, während ich mit dem Pinsel Kreise in die Luft malte. Schließlich würde mein Name mit Sicherheit eines Tages bei Weitem bekannter sein als seiner.
Deswegen wollte ich mit der Malerei anfangen. In großen Lettern über der teuersten Galerie der Stadt sollte mein neuer Künstlername prangen. Natürlich nur ein Wort wie bei allen großen Künstlern. Ich schwankte dabei noch zwischen ‚Juliette‘, um meinen Vater zu erfreuen, und ‚Roxanne‘, denn dem Englischen gehört die Zukunft.
Aufmunternd sah ich meinem Spiegelbild in die braunen Augen. Worauf wartete ich denn noch?
Schon als Kind hatte mich alle Welt wegen meiner hübschen Zeichnungen gelobt. Und jetzt sollten sie sich wegen meiner Ölgemälde ebenso begeistert zeigen. Der Haken war nur: Es gab noch gar keine Ölgemälde. Mir fiel einfach nichts ein. Und kaum hatte ich die rettende Idee und begann die Farben auf meiner Palette zu mischen, schon ertönte das grässliche Geschrei wieder aus dem Baby-Phon, und die Pause war erst einmal beendet.
Aber dieses Mal nicht. Denn an diesem Tag geschah etwas ganz Besonderes, etwas, das meine Kindheitsträumereien auf einen Schlag beenden sollte.
Und wer hätte je gedacht, dass ich jenes üble Geschrei eines Tages tatsächlich vermisste.

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