Mittwoch, 27. Januar 2010

Nieselregen

Titel: Nieselregen
Autor: callisto24
* * *

Er stand auf dem Dach und hielt sein Gesicht dem Regen entgegen, als fühle er ihn zum ersten Mal. Sein Haar klebte an der Stirn und seine Kleider waren bereits durchtränkt, obwohl es sich um nicht mehr als einen leichten Nieselregen handelte. Doch er befand sich inzwischen lange genug an dieser Stelle, um die kalte Flüssigkeit wie eine nasse Folie auf seiner Haut zu spüren. Es war ein gutes Gefühl. Der Regen kühlte die Hitze, die in ihm aufstieg. Hitze, die einzuordnen ein Problem darstellte, über das Sebastian sich noch weigerte nachzudenken.
Und wenn er es tat, dann versuchte er sich davon zu überzeugen, dass es Scham war, die sein Gesicht glühen ließ, Scham, die ihn dazu trieb, sich vor den Blicken anderer zu verstecken, indem er über die Nottreppe den Weg auf das flache Dach des Gebäudes wählte.
Doch glich die Scham, die er fühlte, gefährlich der Erregung, die er zu leugnen suchte.
Sebastians Augen blieben geschlossen, als er den Mund öffnete, spürte, wie die feinen Tropfen Lippen und Zunge benetzten. Es war einfach zu lächerlich. Wie ein kleiner Junge stand er dort in der Dunkelheit und versuchte vergeblich den tobenden Herzschlag zu besänftigen, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren zu ignorieren. Und das nur, weil er sich endlich überwunden hatte, die Wahrheit zu sagen.
Sebastian öffnete mit einem Ruck die Augen, presste zugleich seine Lippen zusammen. Bis jetzt war es ihm gelungen, die Konsequenzen seines Tuns zu verdrängen. Doch nun überfielen sie ihn mit wilder Macht, legten sich schwer auf seine Brust und lähmten seine Atmung, bis er plötzlich zu Ersticken glaubte. Sebastian nahm einen tiefen Atemzug und starrte in die Nacht. Er konnte nichts erkennen mit Ausnahme der dünnen Fäden des Regens, in denen sich das Licht der Straßenlaternen spiegelte, eine ständige Bewegung erzeugte, die zu seiner Nervosität beitrug.
Was, wenn Adam ihn nun hasste. Er hatte keinen Grund zu glauben, dass der Mann seine Gefühle erwiderte. Und nur weil er in einem weinseligen Moment seinen Kopf verloren hatte, nicht anders konnte, als ihn in den Lagerraum des Büros zu ziehen, und ihm mit gesenktem Blick zu offenbaren, dass er, seit er unter ihm arbeitete, sich auch wünschte unter ihm zu liegen, hieß das lange nicht, dass Adam diese Meinung teilte, geschweige denn dass er sie tolerierte.
Sebastian schloss seine Augen. Diese verdammten Betriebsfeiern. Er schüttelte den Kopf, dass sein nasses, ein wenig zu langes Haar zusätzliche Tropfen versprühte. Oder dieser verdammte Alkohol, wenn er schon ehrlich zu sich war. Es war schließlich nichts Neues, dass er nichts vertrug, was sich auch nur geringfügig auf seine Gehirnchemie auswirkte. Jeder einzelne Schluck führte unweigerlich in eine Peinlichkeit oder Katastrophe. Oder wie in diesem Fall in beides.
Sebastian wischte sich mit beiden Händen durch sein Gesicht. Die Hitze verflog und seine Finger berührten klamme Haut. Eine Rasur konnte er auch schon wieder vertragen. Sebastians Gedanken sprangen im Quadrat, als er seine Finger wieder senkte und die bleichen Handrücken betrachtete. Wie käme er auch darauf, dass Adam sich nur im Geringsten von einem Anfänger wie ihm angezogen fühlte. Von jemandem, der zu tief ins Glas sah, und sich dann zu viel herausnahm.
Wieder biss er sich auf die Lippen. Das hatte er wieder großartig hingekriegt. Sein Mantel klebte inzwischen an seinem Körper und Sebastian erschauerte. Was für ein Dilemma.
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren. Sebastian blinzelte. Eine dunkle Gestalt stand neben der Tür, die ihn auf das Dach geführt hatte. Sebastian blinzelte erneut, doch mehr als einen Umriss konnte er nicht erkennen. Er senkte den Kopf und strich sich nervös das nasse Haar aus der Stirn.
Die Gestalt kam näher und Sebastians Herz stockte. Das konnte nicht sein. Es war nicht möglich. Doch mit jedem Schritt schwand ein Stück seines Zweifels, bis er sich sicher war. Sebastian drehte sich verlegen zur Seite. Und obwohl er nur unter dem Vorhang seiner nassen Haare und aus seinen Augenwinkeln hervor blinzelte erkannte er mit jeder Faser seines Körpers den Mann, der letztendlich vor ihm stehen blieb. Sebastian fühlte Adams Lächeln auf seinem Gesicht und neigte sein Gesicht tiefer, wohl wissend dass sein Haar nun dazu dienen musste, die aufsteigende Röte zu verbergen.
„Du wirst ja ganz nass“, sagte die sanfte Stimme tadelnd. Wie oft hatte Sebastian sich gewünscht aus diesem Mund Worte zu hören, die nicht mit der Arbeit zu tun hatten, Worte die persönlicher waren als „Guten Morgen“ oder „Auf Wiedersehen.“
Er wollte sich räuspern, wollte etwas erwidern, doch die Laute blieben in seinem Hals stecken. Und plötzlich fühlte Sebastian wie eine Hand sein gesenktes Kinn berührte, wie dieses behutsam angehoben wurde. Und anstatt zurückzuzucken gab Sebastian der Bewegung willig nach, hob sein Gesicht und blinzelte unter den Regentropfen, die in seinen Wimpern hingen, hervor.
„Ich …“, versuchte er zu sagen, doch in diesem Moment sah er es. Adam lächelte. Trotz der Dunkelheit erkannte Sebastian den warmen Schein in den Augen des Älteren. Adam neigte sich näher zu ihm. „Hast du gedacht, du könntest davonlaufen?“
„Ich wollte nicht …“ Sebastians Stimme klang heiser, brach, als Adam sich noch ihm noch ein weiteres Stück näherte, als sein Mund sich Sebastians Ohr näherte. „Was wolltest du nicht?“, flüsterte er. „Mich dazu bringen, dir zu folgen? Dich zu suchen?“ Adam schüttelte den Kopf und lachte leise, eine Vibration, die Sebastian zittern ließ, sich in Hitze verwandelte, die direkt in seinen Schoß wanderte.
„Ich bin fast verrückt geworden, als ich dich nicht sofort gefunden habe“, wisperte Adam. „Nach dem, was du mir gesagt hast?“ Er legte seine Hand auf Sebastians klammen Ärmel und dieser seufzte leise. „Und dann einfach wegzulaufen.“ Adam schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Ich glaube, du möchtest, dass dir jemand Manieren beibringt?“
Sebastian schluckte, wandte den Kopf, so dass er direkt in Adams Augen sah. Kleine Fältchen bildeten sich in den Augenwinkeln und Sebastian sehnte sich nach nichts mehr als danach diese küssen zu dürfen.
„Ja“, flüsterte er. „Bitte.“
Und Adam lächelte.

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