Titel: Nacht
Autor: callisto24
* * *
Es ist finster. Sie presst ihre Augen zusammen, aber es hilft nicht. Jeder Blick auf die digitale Anzeige des Weckers ist einer zu viel. Der Tag noch nicht vorbei, und doch nähert sich die Mitternacht mit bedrohlicher Unvermeidlichkeit. Und mit der Stunde, die den kommenden Tag vom vorhergehenden trennt, diesem Niemandsland existentieller Unsicherheit, handelt es sich um exakt den Raum, den sie fürchtet.
Inmitten einer, sich ins Unendliche dehnenden Leere, wagen sich Schrecken und Dämonen der Nacht furchtlos hervor, bereit sie zu jagen, zu verfolgen und niederzudrücken. Es spielt keine Rolle in welcher Position sie sich befindet, ergibt keinen Unterschied, ob sie sich einrollt, als befände sie sich noch im Mutterleib, oder ob sie die Decke über den Kopf zieht und ihren Körper flach auf die Matratze presst in der Hoffnung, das Grauen spaziere an ihr vorbei ohne Notiz zu nehmen.
Bereits wenn sich die Geisterstunde nähert, hört sie die ersten, scheuen Geräusche. Leise noch, vorsichtig, als testen sie, inwieweit die Luft rein, die Menschen in traumlosen, tiefen Schlaf gesunken sind. Denn vertrieben werden können sie nur von den selbstsicheren und von ihrer eigenen Bedeutung überzeugten Exemplaren, jenen, für die Zweifel ein Fremdwort bedeuten. Sie glauben nicht an Dämonen und verleihen ihnen so keine Macht.
Aber sie glaubt. Sie will es nicht, aber sie glaubt. Sie hasst es, verabscheut ihre Dummheit, ihre Naivität, erklärt sich selbst für verrückt, sobald das erste Tageslicht durch die Vorhänge dringt. Aber solange Dunkelheit herrscht, solange ist sie gefangen, solange ist sie den grausamen Geschöpfen ausgeliefert, deren Schritte in leeren Gängen hallen. Monster schleichen ihre Treppen hinauf. Die Stiegen knarren, wenn Krallenfüße gegen blankes Holz schaben. Und sie hört ihr Keuchen, vernimmt das rasselnde Stöhnen, das sich ungehindert nähert. Ungehindert, weil sie alleine ist. Selbst in einem Haus voller Menschen, ist sie als Einzige wach. Nur sie weiß, sie allein fühlt, wie die schwarze Kutte über den Boden schleift. Sie spürt, wie das Wesen sich ihr nähert, wie es sich über sie beugt, ihr seinen fauligen Atem in den Nacken bläst.
Und ohne es zu sehen, weiß sie, dass es die Fratze vor sich herträgt wie einen Schild. Die fürchterliche Grimasse, deren Anblick sie ohne Umwege in die Hölle, in den Wahnsinn oder in Schlimmeres befördert.
Deshalb hält sie ihre Augen geschlossen. Deshalb liegt sie stocksteif und unbeweglich, die Fäuste unter der Decke geballt. Sie will sich bewegen, will schreien, den Schrei ausstoßen, der sich in ihr aufbäumt. Doch sie ist gelähmt. Kein Muskel regt sich, kein Nerv zuckt, als der Tod sich über sie beugt. Und wieder verschwindet. Wie jede Nacht.
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