Sonntag, 19. Dezember 2010

Jasmin

Titel: Jasmin
Autor: callisto24
* * *

Das Leben erscheint immer wieder seltsam, nicht zuletzt, weil es die merkwürdigsten Verbindungen erschafft. Auch wenn sich heutzutage niemand mehr über Altersunterschiede wundern sollte, so wird doch die Frau, die sich den jüngeren Mann angelt, vielleicht zu heiß beneidet, als dass ihr Verhalten Schule machte.
Isabelle war eine erfolgreiche Frau. Sie kannte es nicht anders, aber war auch nicht eingebildet genug, um zu leugnen, dass ihr Erfolg in erster Linie mit ihrem Erbe zusammenhing. Ein guter Name schadete nie und schon gar nicht in ihrem Geschäft. Hatte ihr Vater als Parfümeur bereits Geschichte geschrieben, so war es ihr doch immerhin gelungen, trotz der schwierigen Wirtschaftslage, keine Verluste einzufahren. Vererbt wurde ihr nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Liebe zu den Düften und zur Erschaffung bemerkenswerter Kreationen. Ganz zu schweigen von der Liebe zu dem Glamour, der sie und ihre Profession umgab.
Dennoch fehlte Isabelle das Wichtigste zu ihrem Glück. Von Tag zu Tag hörte sie ihre biologische Uhr lauter ticken und von Tag zu Tag sah sie sich weiter davon entfernt, einen Menschen zu finden, an den sie sich zu binden bereit sei.
Dabei hatte sie nie viel auf die Meinung anderer gegeben. Die Blicke und Bemerkungen, die sie trafen, wann immer sie sich mit einem ihrer männlichen Models im Arm zeigte, erwiderte sie mit einem Lächeln. Auch als ihre Begleiter immer jünger wurden, wenigstens im Gegensatz zu ihr selbst. Isabell war sich durchaus darüber im Klaren, dass es der Neid war, der ihr die Kritik an ihren Beziehungen einbrachte. Und warum sollte sie nicht beneidet werden, wenn die schönsten Männer der Welt ihr zu Füßen lagen, ihr alle Wünsche von den Lippen ablasen.
Dennoch konnte ihr keiner geben, was sie sich ersehnte. Keinem einzigen war sie bis jetzt begegnet, der auch nur das entfernteste Verständnis für ihre Welt, für ihre Besessenheit, für ihre Liebe zu den Düften dieser Welt aufbrachte. Keiner, der eine Saite in ihr zum Klingen brachte, von der sie selbst nur ahnte, dass sie existierte.
Manchmal klagte Isabelle Mathilda ihr Leid, der einzigen Vertrauten, die sie neben ihrem Therapeuten in ihr Leben ließ. Gemeinsam lauschten sie auf das Ticken der Uhr und Mathilda unternahm, was ihr in den Sinn kam, um Isabelle von ihrer Einsamkeit abzulenken. Doch alle Bemühungen resultierten nur darin, dass Isabelle sich mehr denn je in ihrer Arbeit vergrub, dass ihre Suche nach neuen Düften sich zu einer Obsession auswuchs, die jedes andere Gefühl zu ersticken drohte.
Mathilda floh von Zeit zu Zeit aus dem bedrückenden Umfeld, gewöhnte sich ab, die Freundin zu beobachten, die Tag für Tag missmutiger und freudloser erschien. Mathilda floh weit, suchte dann ihre einzige Verwandte auf, eine Tante aus Kindheitstagen, die aus eigener Kraft eine Gärtnerei aufgebaut hatte. Was Mathilda nicht wusste: ihrer Tante Helene war es zur Gewohnheit geworden, dem eigenen Schicksal zu danken, indem sie immer wieder eine verlorene Seele in ihr Haus und in ihren Betrieb aufnahm. Jemanden, der ohne Abschluss, ohne Familie und ohne Zukunftsaussichten auf die schiefe Bahn geraten war oder andere finstere Gefilde durchwanderte.
Mathilda sah ihn selten und Helene erklärte ihr auch den Grund. Der junge Mann sprach nicht viel. Er bewegte sich in Gesellschaft anderer Menschen unsicher und ungelenk. Seine Ängste waren wohl begründet und die Flucht in die Welt der Pflanzen nur allzu verständlich. In Helenes Gewächshäusern fand er Ruhe und Frieden. Die Blumen wurden ihm zu besseren Vertrauten, als jeder Mensch es gewesen wäre. Sie sprachen zu ihm und er antwortete. Er säte, pflanzte und pflegte mit jener rückhaltlosen Liebe, die selten war und die weder Mathilda noch Helena jemals wieder beobachteten.
Peter war ein Segen für ihr Geschäft, so vertraute Helene ihrer Nichte an. Ihre Pflanzen wuchsen und gediehen, als versuchten sie, ihm damit eine Freude zu bereiten, ihn für seine Vergangenheit zu entschädigen.
Manchmal bekam sie ihn tagelang nicht zu Gesicht. Nur die Spuren seiner Arbeit, die sorgfältig gewässerten Töpfe und Kästen, die liebevoll geschnittenen Hecken und die immer wieder vorwitzig aus der dunklen, reichen Erde sprießenden Keime, erzählten von seiner Anwesenheit.
Und wenn er zurückkehrte, dann duftete er nach Jasmin, betäubend genug, als bedeckten ihn die Blüten der Pflanze immer noch. Der Duft haftete an ihm, ließ ihn über das gesamte Jahr nicht los, entfaltete sich zur Blütezeit jedoch zu nahezu atemberaubender Fülle. Wenn er an Helene vorüberging, so vertraute sie Mathilda an, dann umhüllte ihn eine Süße, die jeden rationalen Gedanken flüchten ließ. Zurück blieb nur ein Gefühl des Glücks, das mit keinem Wort zu erfassen war. Er duftete reiner als jede Blüte es könnte, klarer, als ein Hain gepflanzt aus Jasmin es im Zauber des Mondlichtes vermochte.
Sein Duft verband die Trauer seines Wesens mit dem Wunder der Natur und niemand konnte sich ihm entziehen.
Mathilda lachte, als sie Helene zuhörte. Sie kannte die teuersten Parfums, ihr Leben bestand aus den exquisitesten Gerüchen, und allein die Vorstellung, der Duft einer gewöhnlichen und nicht einmal exotischen Pflanze überträfe das fachliche Geschick der Meister auf ihrem Gebiet, entlockte ihr ein Lächeln.
Doch Helene blieb überzeugt und als Mathilde aufsah, entdeckte sie Peter, der, weit genug fort von dem lauschigen Plätzchen, an das sie sich zurückgezogen hatten, aber doch nah genug, damit sie seine hochgewachsene Gestalt bewundern konnte, mit anmutigen Bewegungen Unkraut jätete.
Mathilde betrachtete ihn sich genauer, das dunkle Haar, das ihm locker in die Stirn fiel und das er sich nicht selten mit einem ärgerlichen Kopfschütteln zurückwarf. Dennoch fiel es ihm unablässig erneut in sein Gesicht. Und als Mathilde ihre Aufmerksamkeit auf die großen, braunen Augen richtete, die so gedankenverloren in die Ferne zu blicken schienen, da wurde ihr klar, dass sie nie zuvor einen schöneren Mann gesehen hatte.
Helene sah sie lächelnd an. „Hat was der Knabe, oder nicht?“
Mathilde nickte widerstrebend. „Du weißt ja, dass meine Vorlieben nicht in den männlichen Reihen der Schöpfung liegen, aber er sieht tatsächlich hübsch aus.“
„So dumm es sich anhört“, seufzte Helene. „Aber wenn du erst neben ihm stehst und seinen Duft einatmest, dann orientierst du dich vielleicht um.“
Mathilde lachte. „Ich glaube nicht, dass sich vierzig Jahre so rasch auslöschen lassen.“
Worauf Helene den Kopf schüttelte. „Weißt du, wenn sogar ein betagtes Frauenzimmer wie ich, das eigentlich jenseits von Gut und Böse sein sollte, Attraktivität bemerkt, dann ist nichts unmöglich.“
Mathilde lachte noch, als ihr ein Gedanke kam und sie runzelte ihre Stirn. „Bezweifle ich zwar, aber ich habe eine jüngere Freundin, die momentan in einer Krise steckt. Vielleicht sogar in mehreren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Bekanntschaft mit jemandem, der nicht von seinem guten Aussehen oder dem Geschäft allzu abgelenkt wird, ihr weiterhelfen kann.“
Helene biss sich auf die Unterlippe, zögerte mit der Antwort. „Ich wünsche dem Jungen mehr als alles andere ein besseres Leben. Aber er zieht sich sehr zurück. Du weißt wie das ist mit den gebrannten Kindern. Ob er sich in deiner Welt zurechtfände, wage ich zu bezweifeln.“
Mathilda setzte sich eifrig auf. „Das soll er auch gar nicht. Ich dachte eher, dass Isabelle aus ihrem Trott ausbrechen könnte, aus ihrer künstlichen Laborwelt, in der sie Düfte zusammenmischt, deren Ursprünge ihr nicht einmal bewusst sind.“
Helene schüttelte den Kopf. „Nach allem, was du mir über sie erzählst, glaube ich kaum, dass du sie dazu bewegen kannst, hier heraus in die Einöde zu fahren. Und womit willst du sie überzeugen, meiner Gärtnerei oder einem einfachen Angestellten ihre Aufmerksamkeit zu schenken?“
Mathilda seufzte. Aber eine Idee hatte sich in ihr festgesetzt und wollte nicht weichen.
Nicht, als sie sich verabschiedete, ohne Peter nähere Beachtung geschenkt zu haben.
Auch nicht, als sie sich wieder in der Tretmühle befand. Und schon gar nicht, wenn ihr Blick auf Isabelles verkniffenes Gesicht fiel, als sie zusah, wie die Freundin sich in ihre Arbeit stürzte, ohne einen Erfolg für sich verbuchen zu können. Nicht in privater und auch nicht in beruflicher Hinsicht. Ein Umstand, der Isabelle zusätzlich zu belasten begann. Sie wusste sehr gut, dass es an der Zeit war, eine neue Kreation auszurufen. Wer sich nicht rührte, ging in der Menge unter, und sie hatte sich schon allzu lange ablenken lassen, viel zu lange nicht mehr auf dem gesellschaftlichen Parkett und in der Geschäfts- und Modewelt blicken lassen.
„Ich wollte einen triumphalen Einzug halten“, klagte sie Mathilde ihr Leid. „Ich wollte mit einem neuen Duft, einem Ehemann und Familie aufwarten. Die Zeitungen sollten über mich schreiben, die Menschen sich den Mund zerreißen. Und nun bin ich nichts als eine einsame, alte Jungfer, die nur noch ihre Arbeit hat. Und nicht einmal die vermag ich zu erledigen.“ Isabelle schluchzte auf und Mathilda litt mit ihr.
Sie räusperte sich überlegt. „Dass die Zeitungen über dich schreiben, lässt sich doch sicher auch anders erreichen. Es kommt nur auf eine ausreichend bombastisch aufgezogene Werbeaktion an. Nach meinem Empfinden brauchst du nicht mehr als ein gesellschaftliches Ereignis. Ob nun mit oder ohne Mann.“
Isabelle stöhnte. „Was soll ich mir darunter denn vorstellen? So eine Art Ball ausgerichtet für ein Aschenputtel? Nur dass ich in diesem Fall der Prinz bin?“
Mathilda schnalzte mit der Zunge. „An was du nur wieder denkst. Kann es sein, dass du so auf die Suche nach einem Mann fixiert bist, dass nichts anderes mehr für dich existiert?“
Isabelle senkte den Kopf. „Möglich“, gab sie zu und stöhnte. „Und ich weiß auch nicht, wie ich aus diesem Karussell aussteigen kann. Es dreht und dreht sich, bis ich zu alt und vertrocknet bin, um mich sogar nach Hirn- und gefühllosen Dressmen umzusehen.“
„Hm.“ Mathilda blinzelte. „Ich dachte an eine Werbeaktion revolutionärer Ausmaße. Warum nicht mit der Suche nach einen Prinzen verbinden?“
„Ach du.“ Isabelle versuchte ihr einen Klaps zu verabreichen, aber Mathilda drehte sich rasch genug weg. „Im Ernst – wir suchen den neuen Duft. Jeder der dazu beitragen kann, darf sich vorstellen. Und das im Rahmen eines gigantischen, von den Medien live übertragenen Events.“
Isabelle hielt in der Bewegung inne. „Du meinst, die letzte Komponente meiner neuen Kreation. Der zarte Hauch, nach dem ich suche. Wir sollen versuchen, ihn mit Hilfe einer Ausschreibung zu finden?“
Mathilda zuckte mit den Schultern. „Was haben wir zu verlieren? Selbst wenn der Duft kein durchschlagender Erfolg wird, so dürfte die Strategie ausreichen, um die Ausgaben wieder hereinzuholen. Und du bist wieder im Gespräch.“
Isabelle atmete tief durch und nickte. Die Saat war gesetzt und Mathilde blieb es nun übrig darüber nachzudenken, wie sie ihre heimliche Vision in die Realität umsetzen konnte.

Peter strich sich sein Haar zurück und legte den Kopf schief, als Helene näher kam. Er stützte sich auf den Spaten und wartete, beobachtete wie Helene vorsichtig schnupperte, lächelte und dann in sicherem Abstand stehen blieb. Er hatte damit aufgehört, darüber nachzudenken, was es war, das sie fernhielt. Bis jetzt machte sie noch keine Anstalten, ihn herauszuwerfen. Das Einzige, wovor er sich fürchtete, denn der Garten, die Gewächshäuser und vor allem die Jasmin-Sträucher, die er hegte und pflegte und in deren Mitte, gut versteckt vor der Welt, sein Lieblingsplatz lag, waren ihm ein Zuhause geworden. Das einzige Zuhause, an das er sich erinnern konnte.
Helena warf einen Blick auf die weißen Blütenblättern, die auf seine Schultern gefallen waren und sich in seinem Haar verfangen hatten, ohne dass er sich dessen bewusst war, und seufzte leise.
„Du solltest einmal raus hier“, schlug sie vorsichtig vor. Nicht unerwartet erstarrte der Mann.
„Was ist geschehen?“, fragte er mit belegter Stimme.
„Nichts“, beeilte Helene sich zu versichern. Es war nicht fair, dass ein Junge, der durch Waisenhäuser, Jugendgefängnisse und üble Erfahrungen gegangen war, sich so sehr vor dem Leben fürchtete, dass er sich in einem Garten verkroch. Nicht einmal, wenn es ihr Garten war.
Helene rief sich in Erinnerung, was Mathilda zu ihr gesagt hatte. Sie nickte in Richtung des Jasmins. „Ich brauche deine Hilfe.“
Sie räusperte sich verlegen. „Das Geschäft läuft im Augenblick ein wenig schleppend. Das bedeutet, ich muss jede Chance ergreifen, um ein wenig Aufheben um den Betrieb zu machen. Wenigstens wenn ich meine Rente sichern will. Und da wurde mir angetragen, ein paar meiner besonders wohlriechenden Pflanzen vorzustellen. Im Rahmen einer Gala.“
Peter verzog kurz den Mund, presste dann die Lippen zusammen.
Helene seufzte leise. „Ich würde selbst gehen, aber mein Bein macht mir wieder Schwierigkeiten. Und außerdem würde ich mir wünschen, dass du öfter unter die Leute kommst.“
„Mir geht es gut“, antwortete Peter ruhig.
„Ich weiß, natürlich. Ich weiß auch, dass du dich hier wohler fühlst. Aber manchmal muss man dem Glück auch eine Möglichkeit geben, sich zu entfalten.“
Peter runzelte die Stirn. „Ich bin glücklich.“
Helene ging einen Schritt auf ihn zu und atmete genießerisch ein. „Sei so gut und tu mir den Gefallen. Ich bitte dich.“
Worauf Peter nicht anders konnte, als den Kopf zu senken und zuzustimmen.
Und noch ehe er sich versah, war der Tag gekommen. Nach Helenes Anweisung lud er den Laster voller Blütenzweige, die er mit blutendem Herzen abgeschnitten hatte. Arme voller herrlicher weißer und betäubend duftender, sich gerade erst öffnender Knospen trug er durch den Garten, strich liebevoll über die zusammengebundenen Äste.
Immer wieder stoppte er die Fahrt, um die Blüten mit Wasser zu benetzen, sie in einem feuchten Nebel zu umfangen, der ihre Farben erstrahlen ließ und ihre Frische erhielt.
Als Peter den Empfang erreichte, zögerte er. Und als man ihn, anstatt ihn zum Personal zu dirigieren, in eine Reihe Bewerber einfügte, die mit Flakons, Töpfen oder ihrerseits gewaltigen Blumensträußen ungeduldig warteten, glaubte Peter sich einem Irrtum zum Opfer gefallen.
Er trug immer noch das Hemd, in dem er Gartenarbeit verrichtet hatte. Seine Hose wies Gras-Flecken auf und sein Haar wirkte ungekämmt. Die Gestalten neben ihm jedoch sahen aus, als bereiteten sie sich auf ein Bewerbungsgespräch vor, als stünden sie kurz davor, eine wichtige Erfindung zu präsentieren.
Peter drückte die Zweige näher an seinen Körper und duckte sich in einem unbewachten Moment zur Seitentür heraus. Rasch fand er den Ausgang und stand einen Moment später auf einer weitläufigen Terrasse.
Er lauschte auf die Musik, die Geräusche der Festlichkeit, deren bunte Lichter bis zu ihm flackerten. Unentschlossen verharrte er, überlegte krampfhaft, wie er seiner Verwirrung Herr werden konnte, ohne Helene zu enttäuschen.
Ein plötzliches Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Türen wurden zugeschlagen und geöffnet, bis rechts von ihm ein oranger Schein aus dem Gebäude drang, gefolgt von raschen Schritten.
„Nun stell dich nicht an“, rief Mathilda hinter Isabelle her. „Du weißt, warum wir das veranstalten und kannst mir nicht erzählen, dass es so furchtbar für dich ist.“
Isabelle fuhr herum. „Ich schnuppere an wildfremden, merkwürdigen Gestalten und das zur Belustigung von Film und Fernsehen. Sag mir nicht, dass ich mich anstelle. Wenn ich gewusst hätte …“
Sie stoppte in ihrem Schritt. Der Moment, in dem sie Peter sah, war zugleich der Moment, in dem ein Windhauch den köstlichsten Duft zu ihr schickte. Unübertroffen in seiner Süße und zugleich von einer dunklen Schwermut, die mit unendlicher Zärtlichkeit ihre Sinne streichelte. Ihr Blick weitete sich. Sie erblickte die hohen Zweige, an denen unzählige weiße Blüten hafteten und zugleich die Gestalt, deren Arme sie mühsam umfingen.
Große dunkle Augen fanden ihre und Isabelle stockte der Atem, als sich die fein geschwungenen Lippen in Erstaunen öffneten.
Eine samtene Stimme drang leise an ihr Ohr, doch der Sinn der Worte entging ihr, als sie die zarten seidigen Blütenblätter bemerkte, die sich an seine Kleidung schmiegten, aus seinem Haar aufblitzten.
„Entschuldigung. Ich … sollte nicht hier sein“, murmelte Peter und wich zurück, als die Frau einen Schritt auf ihn zuging.
Mathilda verharrte im Hintergrund. Sie versuchte Isabelle Peters Anwesenheit, Helenes Idee zu erklären, doch ihre Worte verhallten ungehört.
Isabelle streckte langsam ihre Hand aus und diesmal wich Peter nicht zurück.
„Jasmin“, wisperte sie. „Jasmin hat gefehlt, ist es nicht so?“
„Jasmin fehlt immer“, antwortete Peter zögernd, als Isabelles Augen aufleuchteten. Ihr dunkles Grau glänzte im orangen Licht, das sie wie ein sanfter Schimmer umgab, und Peter wusste, dass er nie etwas Schöneres gesehen hatte. Keine Blüte, keine noch so perfekte Rose glich dieser Frau, die so selbstbewusst, so elegant, so königlich erschien. Und die ihn zugleich ansah, als trüge er die Lösung für alle Geheimnisse des Universums in sich. Deren Hand immer noch ausgestreckt war, als suchte sie seine Hilfe, als bräuchte sie ihn und sonst niemanden.
Peter bemerkte nicht, wie ihm ein Teil der Zweige aus den Armen rutschte, als er zögernd nach ihren Fingern tastete, als seine warmen Hände ihr schmales, kaltes Handgelenk berührte, bevor sie sich ineinander verschlangen.
Isabelle schloss die Augen, als sein Duft sich entfaltete, sie liebkoste und schließlich umfing. Fast fühlte sie sich, als schwänden ihr die Sinne und als sie ihre Augen wieder öffnete, blickte sie in ein fragendes Gesicht, umrahmt von weißen Blütenblättern.
„Bleib bei mir“, bat sie, noch ehe sie zu sich kommen konnte. „Ich möchte nicht mehr ohne dich sein.“
Ein Laut hinter Isabelle ließ sie zusammenzucken, als sie aus den Augenwinkeln Mathilda auf sich zukommen sah. Die Freundin strahlte.
„Ich verstehe nicht“, stieß Peter heiser hervor, ohne seinen Blick von Isabelle zu nehmen.
„Das ist Schicksal“, jubilierte Mathilda. „Davon hätte ich nicht zu träumen gewagt, aber Helene hatte Recht. Ihr gehört zusammen.“
Isabelle schluckte, blinzelte und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, die wild durcheinanderwirbelten. Bilder und Düfte von nie zuvor empfundener Intensität beschleunigten ihren Herzschlag. Und Peter befand sich in ihrem Zentrum, er nahm ihre Gefühle für sich ein, wie sie es nie zuvor gekannt hatte.
„Was ist mir dir?“, fragte sie leise, als Peter seinen Blick senkte.
„Ich kann nicht“, antwortete er und seine Stimme brach. „Ich bin nicht, was du denkst.“
Isabelle kam näher. Sie hob ihre verschlungenen Hände und legte seinen Arm um ihren Hals. Zwischen ihnen barsten die Knospen, brachten die Welt dazu stillzustehen, als sie flüsterte: „Du bist genau der, den ich gesucht habe“, flüsterte sie. „Was vorher war spielt keine Rolle. Die Zukunft existiert nicht. Aber jetzt halte ich dich fest und lasse nicht mehr los, solange du mich willst.“
Als er seinen Kopf an ihrer Schulter barg, funkelten Blitzlichter, brandete der Applaus auf. Und der Duft des Jasmin füllte ihre Herzen und trug sie davon in die Schönheit der Nacht.

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