Titel: Lachs an Salat
Autor: callisto24
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Langsam und sorgfältig rollte Camilla den geräucherten Lachs zwischen ihren Fingern. Normalerweise kam sie nicht auf die Idee, sich in die Küche zu stellen. Und schon gar nicht darauf, ihre Zeit damit zu verschwenden, sich ein Mode-Rezept aus einer In-Zeitschrift empfehlen zu lassen und daran ihre spärlich ausgeprägten Kochkenntnisse zu erproben. Wobei ‚Kochkenntnisse‘ maßlos übertrieben war. Ebenso übertrieben, wie die Annahme, ihre aktuelle Tätigkeit habe etwas mit Kochen zu tun.
Eigentlich fühlte sie sich mehr an Kinderspiele im Matsch oder Sandkasten erinnert, als sie den Quark in einer Schüssel mit der hastig abgemessenen Menge Sahne und der Messerspitze Meerrettich verrührte, die ihm den pikanten Geschmack verleihen sollte. Hastig, weil sie wie immer zu spät dran war und vor allem zu wenig Zeit veranschlagt hatte, um sich mit dieser ungewohnten Tätigkeit auseinanderzusetzen.
Herrgott, es konnte doch wohl nicht so schwer sein, etwas Quarkcreme abzuschmecken, auf dünne Scheiben geräucherten Lachs zu streichen und dann das Ganze zu handlichen Röllchen zu formen, die in dekorative Scheiben geschnitten und auf Salatblättern angerichtet einen exzellenten Blickfang bieten sollten.
Leider war es das doch.
Camilla besaß für gewöhnlich das Privileg, dass sie ihre Nahrungsaufnahme im Vorbeigehen erledigen konnte, während eines Geschäftsessens oder mit Hilfe eines Croissants, den sie sich neben dem Kaffee im Pappbecher gönnte. Ansonsten halfen Tiefkühlgerichte und Lieferservice über die Runden. Camilla war nicht wählerisch und hatte zudem den Vorteil, dass sie sich nicht allzu sehr für ihr leibliches Wohl oder gar für die Kunst des Kochens interessierte. Eine Frau in ihrer Position hatte anderes zu tun.
Aber manchmal warf das Schicksal auch einer Frau wie ihr Knüppel zwischen die Beine, mit denen sie nicht gerechnet hätte. Und das nicht im anzüglichen Sinne.
In Camillas Fall handelte es sich um ein ungünstiges Zusammentreffen widriger Umstände. Wer konnte auch ahnen, dass ihr Kollege Thorsten die Diskussion, die sie mit ihrer Assistentin betreffend der Vor- und Nachteile eines mehrgängigen Hochzeitsmenüs geführt hatte, derart auffasste, als sei Camilla eine Spezialistin in Bezug auf jegliche Fragen der Ernährung.
Die Wahrheit bestand lediglich darin, dass Camilla ein Talent mit Worten besaß, das in Verbindung mit über Jahre erprobter Überzeugungskraft durchaus den Eindruck erwecken konnte und zumeist auch sollte, als kannte sie sich in jedem gewählten Bereich, über den sie sprach, besser aus, als jeder andere.
So hatte sie nicht mit Tipps gegeizt, die der zukünftigen Braut helfen sollte, keine unverzeihlichen Fehler in der Zusammenstellung des Festmahls zu begehen. Denn auch wenn Camilla in den Kenntnissen der technischen Zubereitung von Speisen ausgesprochene Mängel aufwies, so war sie doch oft genug zu entsprechenden Veranstaltungen geladen gewesen, um eine Blick für Abfolge, geschmackliche und farbliche Abstimmung und ebenso rasch aufflackernde wie wieder untergehende Modetrends zu entwickeln. Ganz davon abgesehen, dass es in diesen Tagen Pflicht war, sich mit den gesundheitlichen Aspekten der Nahrungsaufnahme, der Addition und Subtraktion von Gewürzen, Kräutern und geschmacksgebender Zutaten ausreichend auszukennen, um seinem eigenen Körper und dem möglicher Gäste anstelle von Völlegefühl und Herzbeschwerden, den Eindruck vollwertiger Zufriedenheit ohne schädliche Nebenwirkungen zu vermitteln.
Soweit so gut. Und wer hätte auch ahnen können, dass Thorsten gerade während des Vortrags, den sie ihrer Sekretärin hielt, gebannt lauschte und sie im Anschluss mit bewundernder Höflichkeit überschüttete. Wer hätte gedacht, dass ein Mann wie er sich von den Hausmütterchen Qualitäten, die doch so vollkommen jenseits der aktuellen Mode und den Prioritäten, die sich eine Frau von heute setzte, lagen, beeindrucken ließ.
Natürlich, Camilla war es gewohnt zwischen den Worten zu lesen und sie erkannte rasch, dass gerade dieser Punkt es war, an dem sich ein gutaussehender, alleinstehender Mann mittleren Alters, auf den sie zudem bereits seit Monaten ein Auge geworfen hatte, greifen ließ. Denn darin lag das Problem. Die Frauen, mit denen er als erfolgreicher Geschäftsmann zu tun hatte, bewegten sich, wie Camilla selbst, in Kreisen, in denen die Nahrungszubereitung, sowie die daraufhin notwendig gewordene Reinigung der Utensilien von diensthabendem Personal ausgeführt wurde.
Sollte Thorsten einer von jenen Junggesellen sein, die sich als begehrte Beute der immer noch vereinzelt auftretenden Damenwelt inmitten der Geschäftskreise verstand, so mochten es durchaus die hauswirtschaftlichen Kenntnisse und Vorzüge einer Frau sein, die ihm, wenn auch unterschwellig, eine Verbindung attraktiv erscheinen ließen.
Sicher, Camilla wusste sehr gut, dass sie nach einem Strohhalm griff, dass es für eine Frau ihres Alters geradezu unmöglich war, einen Fang wie ihn zu machen.
Und gerade deshalb war sie wohl so unüberlegt auf seine Andeutungen angesprungen, hatte sich als etwas, als jemand ausgegeben, der sie nicht war, und ihn im gleichen Atemzug zum Beweis ihrer Fähigkeiten und Künste in ihr Heim eingeladen.
Und nun stand sie da, inmitten ihrer Küche, und verfluchte sich, dass sie nicht doch den Catering-Service in Anspruch genommen hatte, der ihr als erstes in den Sinn gekommen war. Ebenso wie sie die Hilfe ihrer Haushälterin erbeten und dieses damit beauftragt hatte, die Wohnung so anheimelnd und wohnlich wie nur möglich zu gestalten, angefangen mit Blumen und Kerzen, bis über hier und da ein zierliches Porzellanfigürchen, das ebenso Camillas Weiblichkeit, wie ihren guten Geschmack zum Ausdruck bringen sollte. Wenn es auch mehr ihr finanzieller Status war, der sich so beweisen ließ, so dachte Camilla bei sich, wenigstens als ihr die Rechnung für das Schmuckstück präsentiert wurde.
Das Problem bei jeder Art von Lieferservice bestand nur darin, dass Thorsten aller Wahrscheinlichkeit nach schon jede ortsansässige Adresse selbst wiederholt getestet hatte, ebenso wie sie. Und Camilla wusste sehr wohl, dass sie sowohl an der Aufmachung, als auch am Geschmack der Speisen erkennen konnte, woher sie stammten. Und zwar nicht aus ihrer Küche.
Deshalb stand sie nun in derselben und formte, mehr oder weniger geduldig, Röllchen für Röllchen. Nur dass die Gebilde, die sie produzierte weniger einem Lachsröllchen glichen als einem undefinierbaren Klumpen.
Überall klebte die Meerrettich-Sahne-Creme, die eigentlich nur als dünne Schicht auf die Lachsscheiben aufgestrichen, mit hauchfein gehackter Petersilie bestreut, ein filigranes Gebilde der Köstlichkeit ergeben sollte, nach dem Thorsten sich alle zehn Finger leckte.
Doch schon beim Abschmecken versagte Camilla nach Strich und Faden. Dabei wusste sie nicht einmal, ob sie zu viel oder zu wenig des teuren Meersalzes verwendet hatte, oder ob der Meerrettich zu stark vorschmeckte. Das Einzige, was ihr klar wurde, nach wiederholtem und verzweifeltem Probieren, war die Tatsache, dass die vermaledeite Creme wie Feuer in ihrer Kehle brannte. In ihrer Ratlosigkeit hatte sie noch mehr Sahne hinzugefügt, wodurch die Konsistenz mehr einer dickflüssigen Suppe zu gleichen begann, die nun von allen Seiten des dünn geschnittenen Lachsfilets herunter rann und auf seiner Mitte lediglich einen feuchten Glanz hinterließ.
Camillas Augen brannten mit noch nicht geweinten Tränen. Wieso konnte sie in einem Raum voller Aufsichtsratsvorsitzender sicher und fehlerfrei auftreten, aber kein lächerliches Lachsröllchen zubereiten?
Es sollte doch nur eine winzige Probe ihres Könnens sein, eine Demonstration ihrer Fähigkeiten, in gelöster Stimmung mit einem Glas Sekt zu sich genommen, bevor sie sich in ein vornehmes Restaurant begaben, wie Menschen ihrer Klasse und ihres Anspruches es gewohnt waren.
Und jetzt stapelten sich die Schüsseln in der Spüle, hingen im Eifer des Gefechtes zerrissene Lachsscheiben unbeachtet von Tellerrändern, während sie, in ihrer Panik, einen neuen Versuch begonnen hatte.
Camilla war sich sicher, dass Sahnetropfen in ihrem sorgfältig zurückgesteckten Haar hingen. Sie hatte es noch nicht geschafft, ihren Lippenstift nachzuziehen oder die Weste zu wechseln, die – so war sie sich sicher – inzwischen unangenehm nach Fisch roch.
Stattdessen kratzte sie den letzten Rest Quark aus der dritten geöffneten Schale und benutzte in ihrer Verzweiflung eine der ungebrauchten Müslischalen aus dem oberen Küchenschrank. Sämtliche Edelstahl Schüsseln klebten bereits mit verkrusteter Creme, trugen Salzränder oder bliesen Petersilie in die Luft, wenn man sie nur ansah.
Das war auch so ein Punkt: die Petersilie. Camilla gelang es nicht, diese derart fein zu hacken, wie sie es gewohnt war, sie vor sich auf dem Teller zu sehen.
Mit welcher Begeisterung hatte sie die frische, ökologisch einwandfrei gewachsene und gedüngte Pflanze erstanden. Mit eben der Begeisterung, mit der sie sich im Delikatessgeschäft bezüglich des Fisches beraten ließ. Und nun stand sie vor einem Teller zerrupfter, grüner Blätter, die mehr an Unkraut erinnerten, als an alles andere, und die einfach nicht klein zu kriegen waren.
Zerfranst, plattgedrückt und in unangenehm großen, unförmigen Fetzen klebten sie auf dem zweiten Schneidebrett, das Camilla aus dem Schrank geholt hatte, nachdem die grüne und sich gefährlich ausbreitende Färbung des ersten sie zunehmend irritiert hatte. Wer hätte auch gedacht, dass Petersilie derart abfärbt?
Mit einem erschöpften Seufzer betrachtete Camilla die beiden Teller, auf denen sie die verschiedenen Salatblätter vor viel zu langer Zeit angerichtet hatte. Sie begannen bereits damit sich an den Rändern einzurollen, wirkten unangenehm trocken und Camilla warf einen Blick auf die Salatschleuder in der die letzten auf ihren Einsatz warteten, die eigentlich schon längst mitsamt den Lachsscheiben abgedeckt und gekühlt im Kühlschrank liegen sollten.
Doch was sie auch getan hatte – keines der ursprünglich saftigen Blätter, die sie wusch und schleuderte, behielt auch nur annähernd die Frische und appetitliche Ausstrahlung, die sie vom Anblick dergleichen gewohnt war.
Und nun lagen die traurigen Überreste des sorgfältig ausgewählten Gemisches aus Rucola, Feldsalat und Endivie wie ein trauriger Abklatsch ihrer selbst erwartungslos auf dem weißen Porzellan und harrten der Geschehnisse, die da kommen sollten, aber offensichtlich auf sich warten ließen.
Camilla wagte es kaum auf die Uhr zu sehen und als sie es doch tat, fiel ihr vor Schreck der Löffel, mit dem sie gerade heftig in ihrer Müslischüssel rührte, aus der Hand und landete inmitten der immer noch seltsam klumpig wirkenden Creme. Ein unglücklicher Blick über die, bis auf den letzten Zentimeter, ausgenutzten Fläche des ansonsten ausgesprochen geräumig wirkenden Küchentisches, stattete Camilla mit dem Mut der Verzweiflung aus und sie begann damit, den Löffel aus der Schüssel zu fischen und das unförmige Gemisch auf die letzte, ausgebreitete Lachsscheibe zu klatschen.
Mit hastigen Bewegungen strich sie es halbwegs glatt, griff mit den zwar perfekt manikürten, jedoch mit Quark und Sahne verschmierten Fingern in das letzte Häufchen grob zerkleinerte Petersilie, drückte diese ein wenig zu fest, damit sie ihr nicht erwischte und bröselte dann die grünen Bröckchen über die uneben gestrichene Creme.
Mit einem weiteren Blick auf die Uhr, formte sie aus der Scheibe ein Gebilde, das zumindest entfernt einer Rolle ähnelte und dankte den Göttern, dass wenigstens dieser Handgriff nicht vollkommen daneben ging.
Camilla ignorierte die weißen und grünen Tupfen, die ihre Finger auf dem rosafarbenen Lachs hinterließen, griff hastig nach dem Sägemesser, als es an der Tür schellte, und sägte beherzt die Rolle in unterschiedlich dicke Scheiben.
Das heißt, Scheiben waren es weniger, sondern eher zusammengepresste Ovale, die Camilla hektisch auf die Salatblätter warf. In der Not half eben nur Improvisation, aus anderen Fachrichtungen als der schwierigen Welt der Kochkunst war ihr diese Weisheit schon seit langem bekannt.
Sie hielt ihre Hände unter den laufenden Wasserhahn, rieb sie an der Schürze trocken, die sie gleich darauf abnahm, zusammenknüllte und in eine Ecke der Küche kickte, während sie beide Teller schnappte und in das Wohnzimmer balancierte, in dem sie wenigstens geistesgegenwärtig die Getränke bereits in einem Sektkühler bereitgestellt und das Licht gedimmt hatte.
Für einen Blick in den Spiegel blieb keine Zeit, aber dafür knallte Camilla die Küchentür mit ärgerlicher Wucht zu, als wollte sie sicher gehen, dass diese sich so schnell nicht wieder öffnete.
Sie strich ihr Haar aus dem Gesicht, kniff sich in die Wangen, um das fehlende Rouge zu ersetzen und öffnete dann mit ihrem erprobten und durchaus bewährten Lächeln die Tür.
Und dort stand Thorsten, gepflegt und gutaussehend wie immer, als er mit elegantem Griff hinter seinem Rücken einen raffiniert zusammengestellten Blumenstrauß hervorzauberte.
Strahlend erwiderte er ihr Lächeln, als sie den Strauß entgegennahm und Thorsten hereinbat. Während sie eine Vase hervorsuchte und den Strauß ins Wasser stellte, behielt sie das Lächeln der Einfachheit halber auf ihrem Gesicht und konzentrierte sich darauf, ihren Atem zu beruhigen. Es war einfach lächerlich, dass eine Frau ihren Alters und ihrer Erfahrung sich wegen eines zwanglosen Treffens unter Kollegen derart verrückt machte.
Mühsam zwang sie die Vorstellung der kritischen Gedanken, die sich in Thorsten erheben mochten, der aufmerksam auf die zum Glück mäßig beleuchteten Teller blickte, nieder. Positiv denken, so hieß die Devise. Und letztendlich konnte sie immer noch behaupten, dass das Gericht exakt so gedacht war, wie es sich ihnen präsentierte. So unwahrscheinlich ihm das auch vorkommen mochte, verfügte Camilla doch über ein gewisses Maß an Überzeugungskraft, das zu nutzen, in diesem Moment wohl angebracht war.
Für einen Moment überlegte sie, ob auf das Kerzenlicht nicht besser verzichtet werden sollte, um die genauere Betrachtung gewisser Details zu verhindern, doch bevor sie den Gedanken noch zu Ende denken konnte, hatte Thorsten bereits mit charmanten Worten die Erlaubnis eingeholt und erwies sich als der Kavalier, für den Camilla ihn immer gehalten hatte.
Hastig versuchte sie seine Aufmerksamkeit von den Speisen auf den Sektkühler zu richten und selbstverständlich wurde Thorsten auch hier nicht müde, seine perfekten Manieren auf ausgefeilte Weise zu präsentieren.
Er füllte ihre Gläser und strahlte sie immer noch unentwegt an, als sie vorsichtig nippte und sich bemühte, gleichermaßen unschuldig und verführerisch zu erscheinen.
Mit einer weit ausholenden Geste bot er ihr den Arm und geleitete sie den halben Schritt an ihren schmalen Art Dekor Tisch, der gerade genug Platz für die beiden Teller und ihre Gläser bot.
„Das ist norwegischer Edellachs aus königlicher Zucht“, erklärte sie, und versuchte nicht daran zu denken, dass das Zucken in seinem Gesicht ein Naserümpfen bedeuten könnte.
„Gefüllte Lachsroulade an Salat“, fuhr sie schnell fort. „Einfach und unaufdringlich, passt für jede Gelegenheit.“ Sie schluckte nervös. „Lachs beugt zudem den in unserer Gesellschaft und diesen Breitengraden weit verbreiteten Vitamin-D-Mangel vor“, erklärte sie weiter in dem Versuch, seine Aufmerksamkeit von dem Anblick, der sich auf seinem Teller bot, abzulenken. „Gerade wenn ein gewisses Alter überschritten wurde und die Osteoporose droht, sollte man peinlich genau darauf achten ...“
Camilla brach erschrocken auf und spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg. Hastig schlug sie die Augen nieder. Ihre Wangen glühten, während sie auf die verhunzten, ausgesprochen individuell verformten und sich geradezu im Stadium der Auflösung befindenden Lachsröllchen starrte.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Der größte Fehler, der ihr nur hätte unterlaufen können, und sie war mit beiden Beinen in den Abgrund gesprungen, der sich vor jeder Frau auftat, die ein gewisses Alter überschritten hatte. Frau sprach nicht über die Anzahl der Jahre, die sie auf dem Buckel trug, niemals. Und schon gar nicht in Gegenwart eines potentiellen Fanges. Alleine anzudeuten, dass die eigene Aufmerksamkeit sich von der allgemeinen Achtsamkeit und der modern gesunden Lebensführung, auf die schlicht notwendige Schadensbegrenzung, die der unwiderruflich eintretende Verfall des Körpers mit sich brachte, beschränkte, bedeutete den Todesstoß für jede auch nur in Erwägung gezogene Romanze.
Camilla fühlte das Bedürfnis, sich ihre eigene Zunge abzubeißen. Sie konnte es nicht glauben, dass sie tatsächlich Osteoporose erwähnt hatte. Ebenso gut hätte sie auch über ihren bevorstehenden Einzug ins Seniorenstift sprechen können. Nicht dass sie das vorhatte. Aber nach diesem Abend konnte sie die Hoffnung auf einen Lebensabend, der etwas anderes als Kaffeekränzchen und Gruppensingen beinhaltete, wohl endgültig aufstecken.
So grübelte Camilla düster vor sich hin, bis ein leises Räuspern sie zwinkern und aufblicken ließ. Camilla begegnete einem belustigten Lächeln, das keinen Zweifel daran ließ, dass Thorsten ihre Verlegenheit durchaus aufgefallen war.
Nichtsdestotrotz räusperte er sich erneut und nickte dann in die Richtung seines Tellers.
„Das sieht sehr gut aus“, meinte Thorsten charmant und Camilla glaubte zu bemerken, wie sich der Rotton ihrer Haut intensivierte.
Thorsten fasste todesmutig die schlanke Vorspeisengabel, sammelte eine der Scheiben so gut es ging auf diese und balancierte sie zum Mund.
„Mm“, murmelte er dann und schluckte, leckte sich nachdenklich die Lippen. „Äußerst delikat.“
Und lächelte wieder, so dass Camilla nicht sicher war, ob oder inwieweit er es ernst meinte.
Also folgte sie seinem Beispiel und führte eine Gabel, mit der sie ein ausgefranstes und weiß–grün betupftes Stückchen Lachs aufgespießt hatte, zum Mund.
„Das soll so sein“, murmelte sie, bevor sie kostete. „Die Vermählung von Haute Cuisine mit der Vertrautheit des Alltags ergibt den Hauch Klassik, den sich jedermann insgeheim wünscht.“
„Und jede Frau“, ergänzte Thorsten und zwinkerte wieder.
Camille zwinkerte zurück, kaute rasch und schluckte. Schluckte wieder.
„Verflixt“, entfuhr es ihr.
„Was ist denn?“ Thorsten zog fragend die Augenbrauen hoch.
Camille biss sich auf die Unterlippe und schlug dann die Augen nieder. „Ich habe den Meerrettich vergessen“, stieß sie dann betreten hervor. „Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Jetzt schmeckt es nach … nichts.“
Als Thorsten sich vorbeugte und ihr eine lose Strähne aus der Stirn strich, zuckte sie zurück und sah ihn groß an. Er lächelte wieder und warf dann einen Blick zu der fest verschlossenen Küchentür.
„Ich dachte mir schon, dass es nicht so einfach war“, meinte er dann.
Camilla blinzelte. „Aber, wie kommst du darauf?“, versuchte sie möglichst unbeeindruckt zu erscheinen.
„Nun.“ Thorsten räusperte sich wieder und gab ihr dann mit dem Zeigefinger einen Stups auf die Nasenspitze. „Ich ging davon aus, dass Petersilie auf der Nase und Quark in der Frisur nicht zu deiner üblichen Aufmachung gehören.“
Wenn Camilla nicht schon knallrot gewesen wäre, dann hätte ihr Gesicht spätestens jetzt diese Farbe angenommen.
„Ich … also … was das Kochen angeht …“
Thorsten legte ihr sanft seinen Finger auf die Lippen und schüttelte leicht den Kopf. „Ist schon in Ordnung. Ich helfe dir dabei, die Küche aufzuräumen.“ Er lachte leise. „Liege ich richtig damit, dass das dein momentan größtes Problem darstellt?“
Camilla nickte verlegen und Thorsten lachte wieder, worauf Camilla sich ein Herz fasste. „Das hat aber Zeit“, schlug sie vor, „vielleicht sogar bis morgen früh?“
Worauf Thorsten lachend seinen Kopf schüttelte. Doch an der Art, wie die kleinen Fältchen um seine Augen ein belustigtes Muster entwarfen, erkannte Camilla, dass ihre Bemühungen, wenn auch anders als sie erwartet hatte, letztendlich von Erfolg gekrönt waren.
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