Donnerstag, 9. Dezember 2010

Schokomann

Titel: Schokomann
Autor: callisto24
* * *

Meine Freundinnen und ich hatten uns schon immer gerne mit dem Übersinnlichen beschäftigt. Zugegeben waren sie mehr von der Wirksamkeit ihrer seltsam gereimten Sprüche, verbrannten Kräuter oder geweihter Kerzen überzeugt als ich, aber nichtsdestotrotz hielt ich ihr Hobby für spannend genug, um mich einzuklinken und, wann immer es ging, bei einer ihrer Aktionen anwesend zu sein.
Wohlgemerkt, es handelte sich bei ihnen um weiße Hexen, das bedeutet, welches Ritual - oder wie sie es nennen - welchen Zauber sie auch anwendeten, der dahinterstehende Grundgedanke musste zwangsläufig positiv sein. Es ging um die allumfassende Liebe, Natur und das Gleichgewicht im Universum.
Auch wenn ich beileibe nicht alles verstand, oder auch verstehen wollte, so fühlte ich mich doch wohl in ihrer Mitte. Ich musste nicht einmal vorgeben, besonders von dem überzeugt zu sein, was vorging. Es reichte ihnen, dass ich anwesend war und sie mit meiner Energie unterstützte. Wenigstens waren das die Worte, mit denen sie mich überzeugten, dabei zu bleiben, wenn sich tief in mir leise Zweifel anschlichen.
Und ich blieb. Immer. Ich denke, einer der Hauptgründe lag darin, dass ich nie eine richtige Familie hatte. Zumindest keine, die man als solche bezeichnen konnte. Dem Modewort ‚Patchwork-Familie‘ gelang es nicht einmal annähernd das Chaos zu beschreiben, in das meine biologischen Eltern mich regelmäßig stürzten. Im Lauf der Zeit verlor ich sowohl den Überblick, als auch das Interesse an meinen zahllosen Halb- und Stiefgeschwistern. Das war wohl auch nur fair, denn es kam mir nicht unbedingt so vor, als entwickelten meine Blutsverwandten oder die angeheirateten und verbandelten Familienmitglieder mehr Interesse an mir, als die vom Gesetz vorgeschriebene Notwendigkeit vorsah. Wie sollten sie auch? Es galt immer ein neues Geschwisterchen auszubrüten oder eines zu verhätscheln, das sie vor ungelöste Probleme stellte. Natürlich nur, solange ihr eigener Beziehungskram oder eine neu eingegangene oder gescheiterte Liebelei nicht jede Kraft verbrauchte.
Insofern glich der Moment, in dem mich die Mädchen unter sich aufnahmen, beinahe einer religiösen Offenbarung. Gefühle überschwemmten mich, die ich zuvor nicht gekannt hatte, und für eine lange Zeit wusste ich nicht, was ich mit diesen anfangen sollte oder konnte.
Kein Wunder, dass ich an diesen zweifelte, mich rar machte, und den Geschehnissen mit einer gewissen Skepsis begegnete.
Und so erstaunte mich fast noch mehr die Selbstverständlichkeit, mit der sie über meine Zurückhaltung und mein Zögern hinweggingen. Ich kannte es nicht, dass dem persönliche Rückzug mit Akzeptanz begegnet, er aber nicht als Aufforderung verstanden wurde, sich in Zukunft geflissentlich aus dem Weg zu gehen.
Nein, wie Stehaufmännchen standen die Mädchen immer wieder vor meiner Tür, teilten mir lachend ihre Pläne mit, luden mich zu ihren geheimen Sitzungen oder ihren weniger geheimen Treffen am See oder in der Eisdiele ein.
Wenn ich die Möglichkeit nicht anhand intensiver Beobachtung der Betreffenden ausschlösse, so bliebe ich mit Sicherheit davon überzeugt, dass sie mich in die Fänge einer Sekte zu locken planten.
Aber nichts dergleichen ging vor. Und wie sie mir immer wieder und von Mal zu Mal glaubhafter versicherten, stand nichts anderes als die allumfassende Liebe hinter ihren Intentionen. Die und die Tatsache, dass, eingerechnet meiner Wenigkeit, die Gruppe eine in spiritueller Hinsicht offensichtlich bemerkenswert wirksame Anzahl ergab.
Wirksam in vielerlei Hinsicht, die ich nicht vollständig nachvollziehen konnte. Aber solange es sie glücklich machte, dass ein aus Blättern gelegter Kreis, ein paar dahin gehauchte Worte einen Windhauch zur Folge hatten, oder je nach Wahl ein paar Tropfen Regen, beziehungsweise ein Aufreißen der Wolken, so lag es mir fern, mich zu beschweren.
Natürlich gingen ihre Bestrebungen auch weiter. Sie verbrannten Räucherwerk und beschworen damit Ereignisse des Alltags, die sich – meiner bescheidenen Ansicht nach – keinen Deut um Reime und Düfte scherten. Aber ich behielt meine Meinung wohlweislich für mich und lächelte zustimmend, wenn eines der Mädchen begeistert davon erzählte, wie ihr Zauber tatsächlich dabei geholfen hatte, Gewicht zu verlieren, eine kleine Summe Geldes zu gewinnen, oder den Mann ihrer Träume – wenn auch nur für eine Sekunde – auf sich aufmerksam zu machen.
Sollten sie doch glauben, was sie wollten. Ich war glücklich und zufrieden damit, in ihrer Runde angenommen zu sein und mich als ein fast vollwertiges Mitglied ihrer Gemeinschaft fühlen zu dürfen.
Denn um eine Gemeinschaft handelte es sich.
Wir trafen uns regelmäßig und zwanglos. Wir ratschten, kochten, fuhren Rad oder gingen spazieren.
Natürlich alles unter dem Eindruck der einen Kraft, die unsere Welt zusammenhielt.
Und so liebte ich besonders unsere abendlichen Treffen, wenn wir uns um einen Herd scharrten und ein Gericht zuzubereiten. Nicht ohne zuvor natürlich diverse Koch- und Hexenbücher zu Rate gezogen zu haben. Denn in jedem Buch der Schatten widmeten sich lange Passagen der Wirksamkeit einzelner Kräuter und Gewürze, der magischen Essenz von Pflanzen und Früchten. Sie alle wollten mit Bedacht und mit Wissen um ihre Wirkung eingesetzt werden.
Das Leben war uns kostbar und die wichtigste Regel bestand darin, alles uns mögliche zu tun, um es zu bewahren, zu lieben und zu ehren.
Wir baten jedes Kraut, jedes Blatt, jede Wurzel um Erlaubnis, bevor wir es oder sie pflückten oder ausgruben. Nicht dass sie uns einer Antwort für würdig erachteten, aber allein die Bitte enthielt eine beruhigende Wirkung.
Ich fand mich selbst zunehmend gefangen im Bann der Gruppe, die ich im Grunde meines Herzens immer noch heimlich verlachte.
Doch der Zusammenhalt, die offen zur Schau getragene Liebe allem Lebendigem gegenüber und die nicht zu erschütternde Hoffnung, die jeden noch so absurd anmutenden Zauberspruch begleiteten, zogen mich magischer an, als eine geborene Zweiflerin wie ich für möglich gehalten hätte.
Ich genoss also in angenehmer und wie ich glaubte auch unschuldiger Gesellschaft das abendliche Gericht, schwelgte in raffinierten Zusammensetzungen und Gewürzen. Meine Freundinnen erwiesen sich immer wieder als wahre Künstlerinnen auf dem Gebiet der kreativen Küche. Die gezüchteten Kräuter, die frisch geernteten Früchte und Gemüse und das gemahlene und gequollene Getreide ergaben die interessantesten Kombinationen, die, wie ich zugeben muss, allesamt schmackhaft waren und sich wohltuend auf den Körper auswirkten.
Und gerade aus diesen Gründen fühlte ich mich umso mehr überrascht, als mir ein Dessert von außergewöhnlicher Köstlichkeit und Exotik angekündigt wurde.
Und als mich die vielen zarten Hände meiner Freundinnen und Gefährtinnen auf den Weg in die Küche geleiteten, in der wir gemeinsam geschält, geschnitten, zerteilt und geköchelt hatten. Unter Lachen und Singen waren wir es gewohnt, uns dem Ritual der Nahrungszubereitung zu widmen. Die Gerüche und Düfte, die der Küche entströmten waren mir meistens vertraut. Dennoch überraschte mich die Wolke süßen Dampfes, die mir entgegen quoll und keinen Zweifel daran ließ, um welch eine Delikatesse es sich handelte.
Erstaunt wandte ich mich zu Alina um. „Ich dachte, Ihr verzichtet auf Schokolade. Die Schädigung der Umwelt aufgrund der notwendigen Transporte, die Schwierigkeiten mit dem fairen Handel …“
„Richtig“, unterbrach Alina mich lächelnd und zwinkerte Carla zu, die den Stieltopf von der Herdplatte zog und darin zu rühren begann. „Kakao und Schokolade vermeiden wir meistens. Aber es gibt Ausnahmen. Und gerade heute erleben wir eine davon.“
Ich sah nun Carla verwirrt an, die mir zulächelte, ohne mit dem Rühren aufzuhören. Der süße Duft intensivierte sich, stieg mir angenehm in die Nase, belebte meine Sinne. Dabei musste ich für mich zugeben, dass die Abstinenz von dieser Köstlichkeit für mich selbst keine unumstößliche Regel bedeutete. Im Gegenteil, ich fand mich recht regelmäßig dabei, wie ich meiner Schwäche nachgab und mir einen Schokoriegel leistete.
Sicher, in letzter Zeit wurden Momente wie dieser seltener, zumal es die Stimmung ein wenig beeinträchtigte, wenn während des Genusses immer wieder verstohlene Blicke in die Runde geworfen wurden. Nicht mit Absicht selbstverständlich, doch konnte ich nicht umhin zu fürchten, eine meiner Freundinnen aus der verschworenen Gemeinschaft des magischen Zirkels könnte mich sehen und mir Vorhaltungen machen.
Obwohl es nicht ihre Art war, dergleichen zu äußern. Doch vielleicht steigerte gerade diese Überzeugung den unangenehmen Beigeschmack sowie meinen Wunsch einer Situation wie dieser unbedingt aus dem Weg zu gehen.
Wie dem auch sei, Schokolade gehörte immer schon zu meinen großen Leidenschaften und so war es nicht nötig, dass mich die Hände der anderen voranschoben. Ich fühlte mich selbst magisch angezogen von dem köstlichen Aroma, das aus dem Topf aufstieg.
Vorsichtig, mir der Erwartungen, die an mich gerichtet wurden, nicht vollkommen sicher, näherte ich mich dem Herd, beugte mich ein wenig vorwärts, schloss meine Augen und schnupperte genießerisch. Erst dann öffnete ich meine Augen wieder und blinzelte in den Topf, in dem sich ein mit einem hellen Holzlöffel stetig in Gang gehaltener Strudel drehte.
Die köstliche Masse war von feiner Konsistenz, zart und flüssig und duftete mit exotischer Fülle.
„Was habt ihr darin?“, flüsterte ich beeindruckt und versuchte vergeblich zu verbergen, wie mir das Wasser im Munde zusammenlief.
Alina lächelte zufrieden und nickte Carla zu. „Vanille“, sagte die ebenfalls mit einem breiten Lächeln und nickte in die Richtung einer ausgedrückten Vanilleschote.
Ich staunte. Vanille und Schokolade in einem Gericht. Offenbar musste es sich um einen ganz besonderen Anlass handeln, der darüber hinwegsehen ließ, dass eine beträchtliche Menge an Kohlendioxid in die Atmosphäre gepumpt werden musste, um die Utensilien aus den warmen Ländern in ihre Heimat zu bringen.
„Zimt“, fuhr Carla fort und zwinkerte mir zu. „Ingwer, Chili …“
„Chili?“, unterbrach ich sie erstaunt. „Wofür? Was wird das wenn es fertig ist?“
Alina schnalzte mit der Zunge, beugte sich zu mir vor und legte mir ihre weiße Hand auf die Schulter. „Geduld“, flüsterte sie. „Du wirst das Ergebnis noch früh genug zu sehen bekommen.“
Ich leckte mir begeistert die Lippen. „Das kann ich kaum erwarten“, gab ich ehrlich zu.
Carla und Alina wechselten einen Blick und ich hörte die anderen in meinem Rücken leise kichern.
„Chili bestimmt die Würze“, sagte Carla. „Er soll ja nicht zu langweilig werden. Ein wenig Feuer gehört dazu.“
„Er?“, fragte ich erstaunt und runzelte die Stirn. „Also wird es ein Kuchen oder Auflauf?“
Ich hatte im Stillen darauf gehofft, dass es sich um kein Backwerk handelte. Alina lachte, als verstünde sie meine Sorge. „Kein Kuchen, kein Auflauf“, zerstreute sie meine Befürchtungen. „Aber er wird süß und schwer.“
„Süß und stark“, verbesserte Carla sie und beide lachten über einen Scherz, den ich nicht verstand.
Ich räusperte mich unsicher. „Zucker ist also schon darin“, riet ich und sah mich um, auf einmal nervös geworden. Ich begann mich zu fragen, warum wir alle in der Küche standen, als warteten wir auf etwas. Und noch dazu schien jeder zu wissen, worauf wir warteten. Jeder außer mir.
„Besser als Zucker“, bemerkte Alina. „Wir haben einen Sirup aus Honig destilliert. Ihn mit Zuckerrübensaft ziehen lassen und mit Holunderblüten versetzt.“
„Oh.“ Ich zeigte mich beeindruckt. „Das wird sicher gut.“
Clara lachte, nahm den Topf hoch und schickte sich an, die Küche zu verlassen. Das verwirrte mich und ich sah fragend zu Alina auf. „Ist es das? Ist es schon fertig?“
Mir war nicht klar, was für ein Dessert dieser Topf enthielt. Auch hatte ich nirgendwo angerichtete Teller mit Früchten oder anderen Leckereien gesehen, die mit der delikaten Schokoladensauce verziert werden sollten.
Clara zog den Löffel aus der Mitte des Topfes, kippte ihn leicht und ließ die sämige und glattfließende Masse herabfließen bis ich erkannte, dass es sich bereits um eine Schöpfkelle mit einem feinen Ausgussstück handelte, mit der sie hantierte.
Trotzdem kam ich immer noch nicht darauf, welchem Zweck die warme Flüssigkeit zugedacht war und folgte Clara und Alina erwartungsvoll. Die Schritte hinter mir bewiesen, dass die anderen uns folgten und wenn ihre Sinne mit eben dem köstlichen Duft erfüllt waren wie meine, dann fühlten sie ebenso die Vorfreude auf künftige Genüsse.
Mit wachsendem Erstaunen stellte ich fest, dass wir nicht nur an unserer Speisetafel mit den unangetasteten Resten der Mahlzeit und dem aufeinandergestapelten Geschirr vorbeigingen, sondern sogar das Haus verließen. Für einen Moment dachte ich, dass wir uns vielleicht auf der Terrasse sammelten, um den angenehmen Sommerabend zu genießen, doch auch über sie liefen wir achtlos hinweg und betraten den weitläufigen Garten, den ich bislang nur bei Tageslicht gesehen hatte. Eine dicht bewachsene Wunderwelt, geschmückt mit seltenen Blumen und wenig verbreiteten Kräutern, denen Alina auf ihrem Besitz ein Zuhause gewährte, dehnte sich vor uns aus und mein Erstaunen wuchs, als wir tiefer in das Dickicht vordrangen. Denn wie ein Dickicht kam es mir beinahe vor, war es bei Tage doch einfacher den herabhängenden Zweigen auszuweichen oder sie einfach zu umgehen.
Doch schließlich betraten wir tatsächlich eine Art Lichtung, an die ich vergeblich versuchte, mich zu erinnern. Zwar konnte ich mir weder vorstellen, dass Alina sie frisch angelegt hatte, noch rechnete ich damit, dass sie mir bei meinen bisherigen Besuchen entgangen war.
Nichtsdestotrotz stand ich nun unvermittelt auf einer freigelegten Fläche, umrahmt von Büschen und Bäumen. Erkennen konnte ich deren Umrisse aufgrund der vereinzelt aufgestellten Fackeln, die Alina nun zu entzünden begann. Mit der Ausdehnung des Lichtes wurde es mir auch möglich, die Beschaffenheit des Bodens unter meinen Füßen genauer zu erkennen und ich bemerkte deutliche Anzeichen dafür, dass dieser Ort bereits wiederholt als Feuerstelle benutzt worden war. Ein Kreis aus weißen, großen Steinen schloss eine sauber glattgefegte Fläche ein, in deren Mitte ein sorgfältig aufgeschichteter Stapel trockener Zweige lag. Trocken genug, dass sie in einer Stichflamme aufgehen konnten und kaum die Möglichkeit für ein gemütliches Lagerfeuer boten. Sollte es das sein, was geplant worden war.
Dass dem nicht so war, wurde mir umso bewusster, als Clara ohne weitere Umschweife und auch ohne das leise Gemurmel unverständlicher Sprüche, auf die zu achten, mir es zumeist an Interesse und Energie mangelte, den Kreis betrat. Sie stieg einfach mit ihrem Topf in der Hand über die Steinreihe und begann damit, innen an dieser entlang zu laufen. Runde um Runde lief sie, bis ich auf einmal bemerkte, dass die anderen die Zeit genutzt hatten, um sich ebenfalls in einem Kreis aufzustellen, der die Szenerie umschloss. Nur ich stand außen vor, innerhalb des aus Menschen gebildeten, doch außerhalb des Steinkreises, in dem Clara sich befand.
Verwirrt sah ich mich um, suchte Alinas Blick. „Was ist hier los?“, fragte ich. Alina nickte und auf dieses Zeichen hin fassten sich die anderen an den Händen und begannen damit, leise zu summen, während Alina das Wort an mich richtete. „Du bist nun lange genug bei uns“, begann sie, löste sich von ihren Kameradinnen und nahm mich bei den Händen. „Daher hielten wir es für richtig, dir anhand eines ganz besonderen Desserts zu demonstrieren, welche Gaben die Natur für uns bereitstellt.“
Ich schluckte trocken und konnte es nicht verhindern, dass sich eine leicht unangenehme Vorahnung in mir breit machte.
„Und das bedeutet?“, fragte ich mit vorgetäuscht fester Stimme.
Alina lächelte freundlich und drückte meine Hände. „Das bedeutet, dass du dir etwas gönnen solltest. Und wir werden dafür sorgen, dass dir alle Möglichkeiten offen stehen.“
Sie drehte sich zu Carla, die nun auch stehen geblieben war und ein ebenso geheimnisvolles wie beunruhigendes Lächeln aufgesetzt hatte.
„Was habt ihr vor?“, fragte ich und versuchte meine Hände denen Alinas zu entziehen. Körperkontakt gehörte noch nie zu den Dingen, die mir besonders leicht fielen.
Doch Alina hielt mich in einem schraubstockartigen Griff bis das Bedürfnis, mich ihm zu entziehen aus meinen Gedanken wich, ersetzt wurde durch haltloses Staunen, das mich mit dem Anblick Carlas erfasste, die tatsächlich damit begann die köstlich duftende und immer noch warm dampfende Schokoladensauce auf den zwar gefegten, aber mit Sicherheit nicht besonders sorgfältig gesäuberten Erdboden zu gießen.
Mein Mund öffnete sich mit dem Wunsch, einen begründeten Protest anzustimmen. Doch verstummte ich, als mir zu meiner immer größer werdenden Verwunderung bewusst wurde, dass sie nicht wahllos Schokolade auf dem Boden verteilte, sondern – ganz im Gegenteil – mit Hilfe ihres Schöpflöffels langsam eine Linie auf den bloßen Grund malte. Sprachlos beobachtete ich, wie um den angehäuften Stapel von Zweigen herum ein Bild entstand. Ich blinzelte zweifelnd, doch musste mir eingestehen, dass ich keineswegs irrte.
Sie zeichnete eine Figur, die mit viel Fantasie als eine Art Lebkuchenmännchen durchgehen konnte. Langsam entwickelten sich Arme und Beine, der runde Kopf prangte bereits auf der mir gegenüberliegenden Seite des Holzes.
Ich merkte nicht, wie Alina mich losließ, zuckte jedoch zusammen, als plötzlich in meinem Augenwinkel ein Licht aufflammte, das brennende Streichholz durch die Luft wirbelte und sobald der erste Funke die trockenen Zweige erreicht hatte, diese entzündete.
Automatisch wich ich einen Schritt zurück, als die Hitze mir entgegenschlug, wurde jedoch aufgehalten durch die Hände meiner Freundinnen, der im Gegensatz zu mir in das Geschehen Eingeweihten.
Rascher als ich begreifen konnte, was vor sich ging, brannten die Zweige lichterloh. Zu meinem Schrecken dehnten sich die Flammen, krochen über den Boden und näherten sich der bereits flüssigen Schokolade. Diese begann damit, Blasen zu werfen, sich zu bewegen und ebenfalls auszudehnen. Beine und Arme wuchsen, der runde Kopf nahm eine Form an, die bald menschliche Attribute aufwies. Zumindest äußerlich menschlich, wie ich mir sagte, als ich mit steigendem Grauen beobachtete, wie das Feuer an Hitze und an Helligkeit abnahm, dafür auf die Schokoladenränder zuwuchs, nach und nach die gezeichnete Form anfüllte.
Ich irrte nicht, es bildete sich eine Gestalt aus der Vereinigung von Feuer und Schokolade. Die Figur regte sich, streckte ihre Glieder, eines nach dem anderen und hob ihren Kopf, um mich anzusehen.
Erst jetzt merkte ich, dass mein Mund immer noch offen stand und ich schluckte trocken. Dass Carla inzwischen den leeren Topf auf den Boden gestellt und sich zu mir gesellt hatte, wurde mir erst bewusst, als sie meine Schulter berührte und ich mich instinktiv zu ihr umdrehte.
„Das ist unser Geschenk an dich“, sagte sie lächelnd. „Der seltenste Nachtisch, den du dir vorstellen kannst. Ein Mann aus Schokolade.“
Ich nickte verblüfft, als die Figur sich erhob, weiter streckte und dehnte, bis er schließlich im Licht der Fackeln am ehesten mit einem in Schokolade getauchten Athleten vergleichbar war.
Er roch ein wenig verbrannt, als er mich in seine Arme schloss, doch das betäubende Aroma von Kakao und Ingwer stieg mir in den Kopf und verjagte jeden Zweifel.
Und zwar wirklich jeden Zweifel. Es ist vielleicht unnötig anzufügen, dass ich von diesem Moment an zu einem treuen und gläubigen Mitglied der Gruppe geworden war. Und das nicht nur, weil mein Schokomann gar so lecker schmeckte.

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