Donnerstag, 18. Februar 2010

Fluch

Titel: Fluch
Autor: callisto24
* * *

Der Weg führt nach Nirgendwo

„Wie konnte das nur passieren?“ Sie fragte es sich immer und immer wieder. Was war nur falsch gelaufen? Das war es doch nicht, was sie gewollt hatte. Alles andere, nur das nicht.
Halb blind vor Tränen steuerte Carina den alten Wagen die verlassene Landstraße entlang.
Begonnen hatte es wie eine von Kevins üblichen verrückten Ideen.
„Du wirst sehen, es gibt nichts Einfacheres als diesen Plan. Bevor wir uns richtig umsehen können, liegen wir mit einem riesigen Haufen Bargeld in Rio am Strand. Und geschädigt wird auch niemand. Wozu gibt es schließlich Versicherungen?“
Carinas Zweifel und Ängste wusste er gekonnt nach und nach zu zerstreuen. Und letztlich, warum auch nicht?
Die alte Witwe Myrtletraub würde es sicher kaum bemerken, wenn ein paar ihrer Klunker fehlten. Sie trug ohnehin Jahr und Tag dasselbe schlichte braune Kostüm mit der Perlenkette, während ihre berühmte Schmucksammlung vor sich hin staubte.
Bereits am ersten Tag ihrer Stelle als Hauswirtschafterin bei der alten Myrtletraub hatte diese Carina mit ernster Miene darauf hingewiesen, unter gar keinen Umständen dem Schmuck zu nahe zu kommen.
„Ein Fluch liege darauf“, hatte die Witwe geheimnisvoll gewispert. Und wäre Kevin nicht in ihr Leben getreten, dann hätte Carina auch nie einen weiteren Gedanken daran verschwendet. Denn seit ihrem ersten, missglückten Versuch als Ladendiebin hielt sie sich streng an alle Gesetze und Vorschriften.
Bis zu diesem Tag.
Kevins ständige verlockende Träume und Versprechungen hatten endlich Früchte getragen und Carina war fest entschlossen, ihrer großen Liebe überall hin zu folgen.
Aber dann kam alles anders.
Die Witwe war verreist und Carina hatte die Gelegenheit genutzt.
In ihrer kleinen Wohnung breitete Kevin dann die gestohlenen Ketten und Ringe, die Broschen und Armreifen gierig vor sich aus. „Ist das auch wirklich alles?“, fragte er. „Mehr gibt’s da nicht zu holen? Wenn ich das verscherbelt habe, bleibt uns nicht viel mehr als die Flugtickets. Es hilft nichts. Gib mir den Schlüssel, ich muss da auch hin. Vielleicht finden wir Antiquitäten, Bilder oder solchen Kram.“ Er sah Carina abschätzend an. „Du hast sicher etwas übersehen.“ Damit griff er zum Telefon. „Theresa, ich bin’s. Wir treffen uns Turmstraße 19. Es muss sich da mehr herausholen lassen.“
„Was hat das zu bedeuten?“, stammelte Carina. „Mit wem willst du dich treffen?“
„Aber Schatz“, brummte Kevin beiläufig. „Beruhige Dich und gib mir den Schlüssel.“
„Nein.“ Carina presste die Lippen zusammen und wich einen Schritt zurück.
Kevin runzelte die Stirn. „Nun komm schon, Süße. Zier dich mal nicht.“
„Nein“, schrie Carina hysterisch. „Was ist mit uns? Was ist mit Rio?“
„Gib mir den Schlüssel und alles klärt sich von selbst.“ Kevin trat ein paar Schritte vor und griff nach ihrer Handtasche. Wie in Trance ließ Carina es zu, dass er diese durchwühlte und danach achtlos fallen ließ. Als er den Schmuck zusammenpackte, fragte sie urplötzlich ruhig geworden. „Du fährst nicht mit mir fort, oder?“
Kevin hielt inne, hob den Kopf und grinste sie an. „Mit einer grauen Maus wie dir? Wohl kaum.“
An das Weitere erinnerte Carina sich nur noch dunkel. Wie sie die Stoffschwere gegriffen und zugestochen hatte. Der ungläubige Blick Kevins und dann das viele Blut. Sie musste nur noch raus, fort von dem verfluchten Schmuck, fort von ihren zerstörten Träumen.
Der Motor begann zu stottern. Der Benzintank war fast leer. Ohne zu wissen was sie tat, steuerte Carina den Wagen in den Straßengraben, bis er an einem trockenen Busch zum Stehen kam.
Sie floh aus dem engen Käfig des Autos und ohne einen Blick zurück zu wagen rannte sie weiter. Nur fliehen vor den Erinnerungen. Schneller und immer schneller hastete Carina vorwärts. Sie lief und lief, bis sie auf einmal keinen Boden mehr unter den Füßen fühlte. Für einen Moment fiel sie frei wie ein Vogel, bis der Aufprall ihr das Bewusstsein, die Erinnerung und das Leben nahm.

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