Mittwoch, 3. Februar 2010

Gewitter

Titel: Gewitter
Autor: callisto24
Die Welt dreht sich weiter
* * *

Ilse lächelte gezwungen und sah dabei konzentriert auf den schmalen Weg vor sich. Obwohl sie allgemein als unsichere Fahrradfahrerin galt, blickte sie aus einem anderen Grund nicht zur Seite. Es war schon schwierig genug, dem ständigen Geplapper ihrer Schwiegermutter ausgeliefert zu sein. Dazu noch den Anblick des ständig vor purer Lebensfreude überströmenden Gesichtes, das konnte sie nicht ertragen.
Die Anderen, allen voran Ilses Mann Bernd, dem man seine vierzig Jahre genauso wenig wie seine erfolgreiche Karriere im Geschäftsleben ansah, radelten fröhlich vorneweg. Dabei mussten sie doch genau wissen, dass Ilses Nerven, die in letzter Zeit ohnehin bis zum Zerreißen gespannt waren, dieser Prüfung kaum noch gewachsen waren.
Nur Don Carlos, der treue, alte Haushund schien Mitleid zu haben, denn er drehte sich immer wieder zu Ilse um und schenkte ihr einen mitleidigen Blick.
„Doktor Weinapfel hat mir erst gestern wieder gesagt, dass er immer wieder staunt, wie eine Frau in meinem Alter so fit sein kann. Dabei habe ich doch immer dieses Ziehen in der Brust.“
„Ist es immer noch nicht besser geworden?“, warf Ilse pflichtschuldig ein und dachte dabei an ihren vom stundenlangen Hausputz schmerzenden Rücken.
„Lasst uns doch Fahrrad fahren gehen. Wir haben uns den ganzen Tag noch nicht gerührt“, hatte Bernd vorgeschlagen, just in dem Moment, als sie sich zum ersten Mal seit Stunden hinsetzen und die Füße hoch legen wollte. Aber wer konnte den Kindern schon etwas abschlagen, die ihren Vater auch am Wochenende nur zwischen Telefon und Computer zu Gesicht bekamen. Also war Radeln angesagt, auch wenn die Füße schmerzten und Bernds Mutter sowohl den Staub auf den Bilderrahmen, als auch das Mittagessen mit Tiefkühlgemüse bemängelt hatte. Vom Mitfahren war sie natürlich nicht abzubringen, denn „schließlich gehöre ich nun mal zur Familie und wohne bei euch. Also werde ich mitfahren, auch wenn meine alten Knochen reißen.“
Ilse seufzte sehr unpassend, denn gerade erzählte Oma Beate wie begeistert Doktor Weinapfel von ihren täglichen Spaziergängen war.
„So ein netter Mensch, und so überhaupt nicht hochnäsig. Und seine Frau ist ihm immer eine Stütze.“ Den vielsagenden Blick konnte sie sich nicht verkneifen.
„Es reicht!“, platzte Ilse der Kragen und im selben Augenblick der Reifen. Mit einem lauten Zischen entwich die Luft.
„Typisch“, meinte Oma Beate.
„Reißnagel“, stellte Jenny fachkundig fest.
„Der ist hin. Flicken ist nicht mehr“, unterstützte Sophie ihre Schwester.
Nur Don Carlos bemerkte die mühsam zurückgehaltenen Tränen, als Ilse die Bescherung betrachtete.
„Nun reg dich mal nicht künstlich auf, Ilse“, sagte Bernd. „Es ist ja gar nicht mehr weit bis nach Hause. Du schiebst das kleine Stück und wenn du ankommst, hat Mama dir schon einen schönen Tee zubereitet. Du weißt schon, so einen für den man viel Geduld und Arbeit aufwenden muss.“
Ilse blickte auf die dunklen Gewitterwolken, die sich in beängstigendem Tempo am Horizont zusammenballten. „Geduld, die ich nicht habe. Und Arbeit, die ich mir nie mache, meinst du“, sagte sie leise. Aber leise Dinge überhörte Bernd und so rief er nur, während er in die Pedale trat, um den Mädchen hinterher zu jagen: „Bis gleich, Schatz. Wir sehn uns dann.“
Während Ilse den Fünfen, inklusive Don Carlos, nach sah, wusste sie, dass sie diese Familie nicht vermissen werde. Mühsam wendete sie ihr Rad, und als die ersten schweren Tropfen fielen, da stand ihr Entschluss fest. In Zukunft lebte sie ihr Leben nur für sich. Und wenn es mit einem geplatzten Reifen sein musste.

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