Titel: Fürst
Autor: callisto24
* * *
Mit mir nicht, meine Herren
Sylvester
„Das gibt‘s nicht. Was machst du denn in München?“
Grit drehte sich überrascht um. Die Stimme kannte sie doch.
„Micki! Na, das ist ja ein Ding. Wir haben uns doch schon ewig nicht mehr gesehen.“
„Genauer gesagt, seit der Abiturfeier nicht mehr, als du …“
Michael verstummte plötzlich. Eigentlich wollte er sich nicht mehr unbedingt an den schmerzhaften Moment erinnern, in dem Grit ihm gestanden hatte, dass sie für eine Beziehung keinen Nerv mehr besaß. Freundschaft ja, aber ihr Studium in Ökotrophologie und der Umzug in die Nähe der Weihenstephaner Uni gäben ihr keinerlei Raum mehr für Privates. Im Augenblick zumindest, so meinte sie damals.
Michael riss sich kurzerhand aus seinen Erinnerungen.
„Und nun sind wir wieder auf einer Party. Du siehst toll aus, so ganz in Silber.“ Er lächelte sie bewundernd an.
„Danke.“ Sie schüttelte ihre schwarzen Locken zurück. „Aber du hast dich auch nicht lumpen lassen. Anzug und Krawatte, nur weil wir heute Sylvester haben?“
Michael verdrehte die Augen. „Auftrag meines alten Herren. Als künftiger Restaurantchef soll ich nach Mitternacht den Laden schmeißen, da er noch ein Treffen mit einem Geschäftsfreund hat. Darauf kann auch nur ein Gastronom kommen!“
Michael schüttelte den Kopf. „Sylvester würde mir normalerweise etwas Besseres einfallen, als auf so einer streifen Feier rumzuhängen. Oder ein Geschäftsgespräch zu führen.“ Er schnalzte mit der Zunge.
„Aber was treibst du eigentlich hier?“
Grit trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. „Ein Freund hat mich gebeten, auf ihn zu warten. Er möchte mich nachher abholen, und wir werden noch etwas zusammen unternehmen.“ Sie blickte ihn unbehaglich an und versuchte abzulenken.
„Ist das hier denn das Restaurant deiner Eltern? Das wusste ich gar nicht. Vielleicht lerne ich sie dann doch einmal kennen?“
Michael schluckte das ungute Gefühl, das ihn bei dem Wort ‚Freund‘ überkommen hatte, tapfer hinunter. Einen Freund hatte sie also schon wieder. War ja klar, dass sie der kurzen Zeit mit ihm nicht lange nachtrauere.
„Das Lokal gehört uns nicht. Mein Vater hat nur die Leitung hier kurzfristig übernommen, weil Sylvester immer alles auf dem Kopf steht. Deshalb wurde sogar ich vom Kartoffelschäler kurzfristig zum kultivierten Beobachter befördert. Wäre nicht Not am Mann, hätte Paps mich niemals aus der Gemüseküche gelassen. Aber so springt er zwischen zwei Festivitäten hin und her, nur damit irgendwelchen reichen Fabrikbesitzern das Buffet auch wirklich genehm ist.“
„Du bist also doch im Restaurantfach gelandet. Ich dachte, dass dies das Allerletzte für dich gewesen sei?“
„Das war es auch.“ Michael zupfte an seinem engen Kragen herum. „Ich konnte mich zu nichts durchringen. Irgendwie hat mich nichts mehr interessiert. Also besorgte Paps mir einen Praktikantenjob in seiner Küche. „Damit weißt du dann, was dich beim Bund erwartet“, waren seine Worte. Und ich fühle mich auch schon wie bei einer endlosen Strafarbeit.“
Er sah zu Boden. „Erzähl doch lieber du von dir! Wahrscheinlich hast du mehr Spaß als ich.“
„Das würde ich nicht sagen. Irgendwie ist alles sehr kompliziert. Als ob ich auf einmal erwachsen, um nicht zu sagen furchtbar alt geworden wäre.“
In diesem Augenblick sah Michael seinen Vater durch die Schwingtür des Restaurants treten. Sein Blick schweifte suchend durch den geschmückten Raum, um schließlich an Grits silbrig schimmerndem Kleid hängen zu bleiben. So ein seltsames Benehmen hatte Michaels alter Herr allerdings noch nie an den Tag gelegt. Anstatt wie sonst auch mit strengem Gesichtsausdruck Dekoration, Buffet und Service einer gnadenlosen Prüfung zu unterziehen, begann er auf einmal, eigenartig nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten, sich wie ein Teenager durch die Haare zu fahren und unkontrolliert mit den Augen zu zwinkern.
„Da wir von ‚furchtbar alt‘ und im Augenblick wohl auch etwas überlastet sprechen“, sagte Michael, „mein Vater ist gerade gekommen und benimmt sich äußerst merkwürdig.“
„Wo ist er denn?“, fragte Grit.
„Schwarzer Anzug, graue Schläfen“, erwiderte Michael, mittlerweile reichlich verwundert.
„Und außerdem läuft er rot an. Da kann doch etwas nicht stimmen.“
Sein Vater bemühte sich unterdessen, zum Ausgang zurück zu gelangen, wobei er versuchte, hinter einem Paar, das gerade im Begriff war, die Mäntel abzulegen, Deckung zu suchen.
Michael schüttelte erstraunt den Kopf.
„Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Er wird doch nicht krank sein?“ Er stellte sein Glas ab und wollte gerade in Richtung Ausgang, als eine Woge neu ankommender Gäste fürs erste jedem den Fluchtweg versperrte.
„Ist das dein Vater?“, fragte Grit mit großen Augen.
Die Gäste gerieten nun doch in Partystimmung. Es wurde geschoben, gedrängt und umarmt, bis sie sich auf einmal zu dritt gegenüberstanden.
„Ihr kennt euch also?“, fragte Michaels Vater, während er sich nervös mit einem Taschentuch die Stirn abtupfte.
„Was ist hier eigentlich los? Ist mit dir auch alles in Ordnung?“
Nun war Grit an der Reihe, nervös zu werden.
„Ich schwöre dir, Micki, ich habe nicht gewusst, dass er dein Vater …“
„Es war ja auch gar nichts. Wir haben uns rein freundschaftlich getroffen. Die ganze Arbeit, der Stress, irgendjemand, mit dem man reden kann …“ Der Mann geriet ins Stottern.
Michael erkannte, dass dies einer der wenigen Momente war, in denen seinem sonst entschiedenen Herrn Vater die Worte fehlten. „Das gibt es doch gar nicht“, dachte er. „Mein Vater in der Midlife-Crisis. Und dann auch noch mit meiner Ex-Freundin. Das ist ja wie in einem schlechten Film.“
„Augenblick mal.“ Grit hatte sich mittlerweile gefangen. „Also haben wir hier keinen Gastronomen von Weltruf, keinen Weltreisenden und vermutlich auch niemanden, der von seiner Frau so schmählich im Stich gelassen wurde, dass mir beinahe die Tränen gekommen wären.“
Ihre Augen warfen Blitze, bis auch Michael zurückwich.
„Champagner, Rosen und Kaviar kann ich offensichtlich auch vergessen. Und Micki …“
Bevor sie abrauschte, sah sie sich noch einmal um: „Am nächsten Sylvester bitte ohne Verwandtschaft!“
Zurück blieben Vater und Sohn im Trubel der Jahreswende.
„Nun“, sagte der Ältere, nachdem er seine übliche Gelassenheit beinahe zurückgewonnen hatte. „Das war dann wohl doch eine Nummer zu groß für mich. Was deine Mutter angeht …“
„Auf die Ausrede bin ich gespannt“, fiel Michael ein. „Andererseits, wenn du mich vom Frondienst in der Küche befreist, dann ließe sich vielleicht darüber reden?“
Sie lächelten sich gequält an und erkannten, dass dies einer dieser seltenen Momente sein musste, in denen Vater und Sohn sich wirklich verstanden.
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