Dienstag, 21. Juli 2009

Twittering

Und nun zu etwas bei weitem Haarsträubenderen -
dem Twittern

Selbstredend bin ich auch in Twitter, das versteht sich ja wohl von selbst. Allerdings bin ich kein Maßstab, weil ich mich in jeden Quark einlogge, den mir irgendjemand irgendwie, irgendwo, irgendwann vor die Nase hält.

Das Prinzip oder besser gesagt, der Sinn des Ganzen hat sich mir allerdings bislang noch nicht erschlossen.
Ganz ehrlich – was soll das sein? Mit 140 Zeichen kann ich gerade mal erfahren, was eine fremde Person zum Mittagessen hatte, geschweige denn selbst der Welt mehr oder weniger Tiefsinnigeres mittteilen.

Nicht dass ich sonst philosophisches Gedankengut verbreite, aber in einen Satz dieser Länge passt kaum ein Zitat, oder irgendetwas nur halbwegs Interessantes.

Weiß der gewöhnliche Twitterer an sich nun nichts Spannendes zu vermelden, so bleiben ihm noch zwei Gründe, warum er nicht umgehend den unsinnigen Account auflösen sollte.

Punkt Eins: Es handelt sich um eine hervorragende Möglichkeit Prominente jeder Art zu stalken. Da stellt sich nur die Frage, warum um alles in der Welt, Prominente sich die Zeit nehmen, der Welt in 140 Zeichen mitzuteilen, dass sie auf dem Weg ins Fitnessstudio sind.

Ganz im Ernst. Natürlich besitzen sie vielleicht Freunde, die das brennend interessiert, die aus mysteriösen Gründen weder des Telefonierens noch des Briefe Schreibens mächtig sind, sondern sich lieber durch die Kurzbotschaften der Leute, die sie heimlich und im Stillen online verfolgen, wühlen, bis sie die Erkenntnis vom Fitnessstudio erhalten.

Spaßig wäre es natürlich, wenn der Prominente stattdessen kleine Fiesheiten losließe, oder seine unverblümte Meinung äußerte zur hirnverbrannten Serie/Film/Musikstück oder an welchem Kunstwerk auch immer er gerade werkelt.
Aber so dämlich ist natürlich keiner, zumal Verhalten wie dieses vertraglich untersagt sein dürfte.

Warum tut der Prominente also so etwas - twittern?

Ich habe ernsthaft keine Ahnung.
Hat er zu viel Zeit, zu wenig zu tun? Füllt ihn seine kreative Tätigkeit nicht genug aus? Oder sind die Gerüchte wahr, dass es sich bei der Schauspielerei nur in Ausnahmefällen um künstlerische Leistungen handelt, sondern eher um das Auswendiglernen und Interpretieren anderer Menschen Gedankengutes, gepaart mit unstillbarem Geltungsdrang?

Natürlich lassen sich auch für die Prominenz hin und wieder Gründe aufdecken, die zugunsten des Twitterns sprechen. Zum Beispiel und in erster Linie wäre da die Werbung.
Wo wir unter anderem auch gleich bei Punkt zwei wären. Schließlich muss man nicht prominent sein, um Werbung machen zu wollen. Allerdings ist es viel schöner über Celebrities zu lästern, die sich nicht wehren können.
Betätigt sich also besagter Prominente noch auf anderen, vielleicht sogar unbekannten Schaffensgebieten, so bietet Twitter die Möglichkeit dezent darauf hinzuweisen.

Nehmen wir Greg Grunberg, Darsteller aus Heroes oder Alias. Ein toller Kerl, sehr engagiert, und bekannt als passionierter Twitterer. Er promotet nicht nur seine Charity-Band „The Band From TV“, sondern auch „Talk about it“, seine Organisation zum Thema Epilepsie. Dafür reichen auch 140 Zeichen. Es lässt sich der Link zur Werbeseite angeben und zusätzlich noch erwähnen, dass einer seiner Co-Stars sich dort für die gute Sache einsetzt.
Zusätzlich wirbt er wie verrückt für etwas, das sich Yowza nennt, und das mir ebenso unklar geblieben ist, wie der Sinn des Twitterns. Aber Yowza hat irgendetwas mit Handys zu tun, und ich vermute fast, dass er beabsichtigt, es zu verkaufen.

Vielleicht liegt auch genau dort der Hase im Pfeffer. Twittern ist etwas für Handybenutzer. Saß man früher noch gemütlich in der S-Bahn, oder eingequetscht inmitten einer Meute Leidensgenossen, die zur Schule/Uni/Arbeit/Wasauchimmer unterwegs waren, und bemühte sich ein gutes Bauch zwischen sich und dem Vordermann so unterzubringen, dass man ein klein wenig lesen konnte, so wird heute das Handy gezückt. Klein, niedlich und es gibt Geräusche von sich.
Und hat man niemanden, dem man erzählen will, dass die S-Bahn gerade sehr voll ist, dann twittert man die Botschaft eben an die Welt. Vielleicht antwortet ja ein Mitleidender.

Es ist also kein Wunder, dass ich das Twittern nicht begreife, schließlich handelt es sich bei mir um das letzte Exemplar einer aussterbenden Rasse, dem pathologischen Handy-Verweigerer. Nein – es hat nichts mit Strahlung zu tun, oder mit dem Verbauen der Landschaft durch merkwürdige Sendetürme. Auch nicht mit einer Verweigerungshaltung bezüglich der in unserer Gesellschaft zunehmend auftauchenden, wenngleich nach wie vor unsinnigen Überzeugung, dass der Mensch unbedingt überall und ständig erreichbar sein muss.

Eher handelt es sich um eine simple Geldfrage, kombiniert mit dem traurigen Bewusstsein, dass der Handy-Boom ausreichend Gründe liefert für gewisse Zustände, die zum Beispiel in der Demokratischen Republik Kongo herrschen.
Ein reiches Land, ein Land voller Bodenschätze. Traumhaftes Klima, fruchtbare Erde, ein wahres Paradies. Und genau aus diesem Grund bemüht sich unsere westliche Welt – die mit den Handys, den Computern und der Twitterei – möglichst viel Reichtum aus diesem Land herauszuschaffen, ohne der Bevölkerung allzu viel davon abgeben zu müssen.

Das funktioniert wie? Genau – nachdem Kolonialismus und Imperialismus dummerweise nicht mehr so recht zur Diskussion stehen – arbeiten wir subtiler. Mit Bürgerkrieg, Gewalttätigkeiten, Korruption, Bestechung und der stets beliebten Ausbeutung der Bevölkerung.
Nur so lässt sich erklären, dass Kinder (und für mich sind auch junge Männer, die eigentlich in die Schule gehörten noch Kinder) in den Coltan-Minen schuften, ihre mühselig erarbeitete Ausbeute an bewaffneten Rebellentruppen vorbeischmuggeln, um schließlich einen Hungerlohn von irgendeinem dubiosen Zwischenhändler zu kassieren, der dann mit etwas mehr Gewinn an eine Firma verkauft, die auf dasselbe Coltan angewiesen ist, um ihre Billig-Handys produzieren zu können.

Diejenigen, die einem dann nachgeworfen werden.
Habe ich erwähnt, dass Coltan unbedingt notwendig ist zum Bau eines Handys, und dass dieses Metall hauptsächlich und praktisch nur im Kongo existiert?

Zu komisch, dass der Kongolese nichts davon hat, außer Krieg, Gewalt und Zerstörung.
Und wie soll ich meinem kongolesischen Bekannten, der unter Lebensgefahr vor den Zuständen in seiner Heimat geflohen ist, und sich nun in Europa mehr schlecht als recht über Wasser hält, nur weil es dort trotz allem besser ist, als in dem Land seiner Väter, - wie soll ich ihm klarmachen, dass es sich bei dem Handy, das er mir stolz präsentiert, um eine der Wurzeln des Übels handelt?

Aber ich schweife ab. Hauptsächlich weil diese Handy-Problematik niemanden interessiert, außer mir, und kehre zurück zu den wichtigen Dingen des Lebens, zum Twittern.

Ein weiterer Grund für den gewöhnlichen Twitter-User, sich dieser Sache überhaupt auszusetzen, ist der Hauch des Anscheins, man wäre nun in der Lage mit den wirklich wichtigen Menschen auf dieser Erde zu kommunizieren.
Was man natürlich nicht kann, aber es eröffnet sich zumindest die Möglichkeit Obama zu folgen.

Oder jedem Star nach dem eigenen Herzen, der so nett ist, sich an diesem geheimnisvollen Ort zu offenbaren.
Manche stellen sogar großzügig Fotos hinein, Ashton Kutcher von seiner Frau Demi-Moore, Heroes-Crew-Mitglieder vom Heroes-Cast?
Manche tun so, als interessierte sie die Fanmeinung zu Themen wie: Wen küsste Peter Petrelli in der ersten Staffel?
Und da ich gerade bei Peter Petrelli bin: Milo Ventimiglia ist interessanterweise nicht so dämlich, einen Twitter-Account zu unterhalten. Nein, er beauftragt seine Freunde damit, und taucht hin und wieder werbewirksam auf. Schließlich gilt es Comics und T-Shirts zu verkaufen.

Die Motive anderer lassen sich schwerer durchschauen. Jedoch erfuhr auch ich einen tiefschürfenden, lebensverändernden Moment der Prominenten-Nähe, als ich Lou Diamond Phillips beim Tweeten entdeckte. Und nicht nur das. Er verwies auf seine Frau, welche nebenbei ausplauderte, dass sie Deutsche ist. Worauf ich sie natürlich sofort schamlos anquatschte. Und die Gute antwortete mir!!! Ja, jetzt bin ich auch prominent. Irgendwie.
Nach besagter Antwort der Ehefrau eines ruhmbedeckten Darstellers und beflügelt von diesem überwältigenden Erfolg, ließ ich jegliche Zurückhaltung sausen. Ich begann mein finsteres Werk, indem ich dem bemitleidenswerten Greg Grunberg öffentlich vorschlug Amber Benson (welche mir eine PM schickte, als ich ihr folgte – und wenn ich mir das so recht überlege, gehöre ich schon seit dieser denkwürdigen Stunde zur Prominenz) – alias Tara aus Buffy – für seine Band zu engagieren, weil sie so hübsch singt, und ein wenig PR sicher brauchen kann.
Wo ich schon dabei war, schreckte ich auch nicht davor zurück, Lou Diamond Phillips zu erklären, dass er ebenfalls in der Band auftreten solle – da ich einmal sehen wollte, wie Adrian Pasdar und er sich zusammen auf der Bühne machen – und er ziemlich gut singen kann – nebenbei gesagt.
Ich teilte Eric Roberts mit, dass ich sein Fan sei, sicher wollte er das schon immer wissen, und antwortete dem armen Grunberg in Bezug auf seine Titel-Suche mit der Ballade von Mackie Messer.
Der Rest des Abends verflog in einem Anfall von Größenwahn.

Aber zumindest hat sich mir nun ein Grund offenbart, warum ich weiter twittern sollte: Prominente ärgern. Was gibt es Schöneres? Wie wir aus ihren Mittagessen/Fitnessstudio-Beiträgen wissen, handelt es sich schließlich auch nur um Menschen wie du und ich.

Schlimmer noch – sie brauchen Verrückte, die sie auf Schritt und Tritt verfolgen, und ihnen seltsame, unverständliche Botschaften in fremden Zungen schicken, wie ihr täglich Brot.

Ergo tue ich ja nur ein gutes Werk.

Als nachteilig stellt sich dusseligerweise heraus, dass die Twitterei und das Durchsuchen unzähliger belangloser Twitter-Botschaften zu viel Zeit kostet.

Wer schafft das schon? Vielleicht Schauspieler, die ihren Text gelernt haben und nun stundenlang auf ihren Einsatz warten müssen, die nicht zum Auftritt kommen, weil der Regisseur, der keine Zeit zum Twittern hat, die vorige Szene wieder und wieder wiederholt, bis Cast und Crew am Rande des Nervenzusammenbruchs stehen. Und diese armen Schauspieler fangen nun verzweifelt an, nur um sich irgendwie zu beschäftigen, auf ihren Bürgerkriege-verursachenden Handys herum zu tippen.
Wer bin ich, sie zu verurteilen?

Eine weitere Merkwürdigkeit fiel mir allerdings auch auf. Und zwar die komischen Leute, die mir auf einmal aus heiterem Himmel folgen. Klicke ich sie an, entpuppen sie sich, als die Art von Reklametafeln, auf die man ohne Reue verzichten kann. Nichts gegen Porn – aber ich bin altmodisch und ziehe eine gute Fanfiction allemal vor.

Twitter – eine Werbeplattform. Aber trotzdem, wenn ich über zehn Ecken herum mit Milo Ventimiglia sprechen will, dann nehme ich die Gelegenheit doch wahr, oder nicht?

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